Der Regen prasselte gegen das Dachfenster. Dann rüttelte eine Sturmbö daran. Ein wenig zog es doch in der alten Wohnung, was für Ann jedoch nur ein weiterer Grund war, sich ein wenig näher an Rachel zu kuscheln.
Es war langsam wirklich herbstlich, was in Kanada hieß: Es wurde langsam auch richtig kalt. Und die Wohnung entsprach wirklich nicht den neusten Standards, wenn es um die Isolierung ging. Als Studenten hatten sie ja nicht wirklich die Wahl. Was sie dafür aber hatten, war eine ganze Menge dicker Decken und heißer Kakao. Schon den ganzen Nachmittag saßen sie hier auf der Couch, aneinander gekuschelt und schauten gemeinsam Netflix.
Ann war es dabei beinahe egal, was sie eigentlich schauten. Es war einfach nur gemütlich.
Im Moment hatte sie den Kopf auf den Schoß ihrer Freundin gebettet und dämmerte vor sich hin, während ein Verbrecher von den Helden quer durch London verfolgt wurde. Es war egal. Sie hatte die Serie schon gesehen. Hauptsache Kuscheln.
Ein Blitz ließ sie zusammenzucken. Gefolgt von lautem Donner, der das Glas im Fenster zum Klirren brachte.
Rachel strich durch Anns kurzes Haar. „Alles okay, mein kleines Kätzchen.“
Ann schaute sie verschlafen an. „An das Wetter gewöhne ich mich nie.“
„Dabei bist du die Kanadierin“, meinte Rachel neckend und stupste sie auf die Nase.
„Ich hätte dennoch lieber besseres Wetter.“ Demonstrativ zog Ann einen Schmollmund.
„Verstehe ich.“ Damit beugte sich Rachel herunter und küsste sie auf die Lippen. „Sieh es positiv: So ein ordentlicher Herbststurm ist besser als ein Hurricane, der dir den Keller wegschwemmt. Oder das Haus.“
„Man könnte auch stabilere Häuser bauen.“ Jetzt grinste Ann und schaute Rachel an. Ab und zu mochte sie es, ihre Freundin mit diesen Dingen aufzuziehen. Mit den üblichen Vorurteilen, die sie gegen die Amerikaner hatte.
„Könnte man. Aber dann könnte man sie ja nicht so schnell verkaufen“, erwiderte Rachel und lachte. „Und hey, ein paar von den Häusern stehen auch schon lang.“
„So lang wie Geschichte hier es erlaubt.“ Dahingehend war Kanada immerhin auch nicht besser, als die USA.
Rachel streckte verspielt die Zunge heraus, streckte sich dann, um an die Fernbedienung auf dem Wohnzimmertisch zu kommen. Wieder donnerte es. „Vielleicht machen wir erst einmal aus.“
„Und gehen ins Bett um zu kuscheln?“, schlug Ann vor.
„Du bist heute ja wirklich schlimm.“
„Es ist kalt.“ So gut es in ihrer liegenden Position ging, schlang Ann die Arme um die Taille ihrer Freundin. „Wirklich, wirklich kalt.“ Was hätte sie nicht für einen richtigen Kamin gegeben. „Und Jonathan ist ja auch nicht wieder da.“
„Ich hoffe nur, dass ihm da draußen nichts passiert“, murmelte Rachel.
Ann hielt inne. Zugegebenermaßen machte der Sturm auch ihr Sorgen. Auch wenn Jonathan ja zumindest nicht draußen oder im Hafen arbeitete. Schlimmstenfalls kam er wahrscheinlich einfach nur später nach Hause. Dennoch seufzte sie und richtete sich auf. „Der ist doch hart im Nehmen“, meinte sie.
Rachel sah zur Tür und verharrte für einen Moment so, ehe sie nickte. „Da hast du wahrscheinlich Recht.“ Sanft strich sie über Rachels Wange. „Von mir aus können wir ins Bett. Ich bin eh zu unmotiviert um zu lernen.“
„Ich könnte dich abfragen.“
„Danke“, meinte Rachel und lächelte. „Vielleicht später.“
Ann lächelte. Sie sollte eigentlich auch die letzte Vorlesung aufbereiten, konnte sich jedoch schon den ganzen Tag nicht dazu aufraffen. „Okay. Ich beschwere mich nicht.“ Wenngleich bibbernd schälte sie sich aus der Decke, unter der sie in ihrem dank dem Teddy-Muster kindlich ausfallenden Jogginganzug gelegen hatte.
„Soll ich noch einmal ein wenig Kakao kochen?“, bot Rachel an.
„Gerne. Danke dir.“ Ann küsste sie auf die Stirn und blieb unschlüssig stehen.
Als Rachel dies bemerkte, kam sie nicht umher die Augen zu verdrehen. „Du kannst schon einmal ins Bett“, flüsterte sie. „Ich komme dann samt heißer Schokolade nach.“
„Du bist die beste.“ Damit eilte Ann über den kühlen alten Parkettboden zu Rachels Schlafzimmer hinüber – das sich dank des großen Bettes am besten dafür eignete. Schon verschwand sie unter den dicken Decken und rollte sich zusammen. Auch hier hämmerten die Regentropfen gegen das Fenster, während in der Ferne der Donner grummelt. Ein Knarzen ging durch das Haus, als eine besonders heftige Sturmbö dagegen traf. Da blieb nur zu hoffen, dass ihnen das Dach nicht wegwehte.
Doch zumindest bis Rachel mit den zwei großen Tassen hinüberkam und die Lichterkette unter der Decke anschaltete, geschah nichts dergleichen. Sie setzte sich auf den Rand des Bettes und strich über Anns Schulter. „Du bist eine kleine Frostbeule“, neckte sie sanft.
Ann schaute sie an. „Da war mir das Kätzchen lieber.“ Auffordernd schlug sie die Decke zur Seite. „Kommst du?“
Rachel legte sich neben sie und rutschte näher. „Schon gut, mein Kätzchen“, flüsterte sie und strich durch Anns Haar. „Ich bin ja schon da.“
Wäre Ann eine wirkliche Katze gewesen, hätte sie geschnurrt. So aber kuschelte sie sich nur so eng wie möglich an ihre Freundin und sog ihren Geruch ein. Dieser Geruch nach Rosen und Schokolade, den Rachel oft mit sich brachte. Ein wunderbarer Geruch.
Und ihre Wärme. Ihre wunderbare Wärme. Ann liebte es. Sie liebte alles an ihr. Und während das Fenster unter den Sturmböen noch mehr Knarzte und sich etwas Hagel zum Regen gesellte, schlummerte sie so irgendwann ein.