Black Angel, kurz Angel, war der Name, den sie sich gegeben hatte. Was ihr richtiger Name war, weiß ich bis heute nicht, selbst wenn sie sich mir damals als Ebony vorstellte. Dies bezog sich wahrscheinlich auf ihr seltsam schwarzes Haar, das sämtliches Licht zu verschlingen schien. Auf die Frage, ob dies irgendeine neumodische Modifikation oder eine Mutation war, hat sie jedoch nie geantwortet. Sie lachte dann einfach, trank etwas und wechselte das Thema.
Ich vermutete daher immer, dass sie ein Mutant war, selbst wenn ihre Augen nicht golden waren. Vielleicht hatte sie sich operativ die Farbe ändern lassen. Vielleicht trug sie nur richtig gute Kontaktlinsen. Ich wusste es nicht.
Doch Angel war eine faszinierende Person. Sie wusste immer, was zu tun war und so grausam es manchmal auch war, schien sie seltsamen Spaß an ihrer Arbeit zu haben.
Die Arbeit. Ja, das war, wie ich sie getroffen hatte. Ich arbeitete damals in der Spionage, erst für die UF, später für die Rebellion, dann auf Auftragsbasis, was meistens bedeutete, dass irgendwelche reiche Leute mich beauftragten. Firmenspionage war ein Teil des Geschäfts, manchmal auch Staatsspionage und manchmal war ich so etwas wie eine glorifizierte Privatdetektivin, die Tage damit verbrachte hinter irgendwelchen Ehepartnern herzuspionieren. Ha. Spionage. Genau.
Dabei war ich lange schon davon überzeugt gewesen, dass Ehe ein Konzept aus dem letzten Jahrhundert war. Na ja, und den Jahrhunderten davor. Mittlerweile war es etwas, das nur die reichen, die einflussreichen Menschen taten, weil ansonsten Erbschaftsfragen schnell Kleinkriege auslösten.
Tja, in der Welt nach dem Krieg musste man ja irgendwie an Geld kommen, nicht? Im Krieg war alles einfacher gewesen.
Wo war ich?
Ach ja. Ebony. Ich wollte vom schwarzen Engel erzählen. Auch sie war Spionin. Aber auch soviel mehr. Sie beherrschte die Geige wie niemand anderes. Ich habe tatsächlich Videos in der Trix gefunden von jemanden, der vielleicht Ebony war und auf einem Konzert spielte. Vielleicht war das ein Leben, das sie zurückgelassen hatte. Warum auch immer …
Denn wenn man mit anderen zusammenarbeitete, war das meist eine Regel: Man stellte keine Fragen über die Vergangenheit. Von niemanden.
Und so … ja, so akzeptierte ich einfach, dass sie manchmal, wenn wir abends in ihrem Apartment saßen und Wein tranken, diese wunderbare weiße Geige herausholte und spielte. Wenn sie spielte, dann verlor sie sich gänzlich darin und es war, als würde man irgendeiner andersweltlichen Musik lauschen.
Wir lernten uns auf einem Auftrag in Sachen Firmenspionage kennen. Sie war mir empfohlen worden, da sie besondere „Talente“ hatte, wenn es darum ging, an die richtigen Menschen zu kommen. Also schickte ich ihr eine Anfrage und wir trafen uns in einem Ort nahe Litston. Wir hatten ein Einkaufszentrum als Treffpunkt abgemacht, in einem kleinen Restaurant, wo wir einfach nur saßen, aßen, redeten, ohne den Job zu erwähnen. Es ging darum zu sehen, ob wir einander vertrauen konnten. Es lohnt sich nicht mit jemanden zu arbeiten, mit dem man nicht klarkommt.
Doch das Engelchen wusste von Anfang an zu beeindrucken. Sie war in ein rotes Kleid gekleidet, das aus einem Film hätte kommen können und sich eng an ihre Formen anschmiegte. Ihr Grafitschwarzes Haar hatte sie unter einem Hut versteckt. Sie lächelte mich an auf eine Art, die deutlich verführerisch sein sollte.
Es war ein guter Abend, der uns später an eine Bar und dann zu ihrem Apartment brachte. Dort schliefen wir erst miteinander, ehe ich mich an den eigentlichen Grund für unser Treffen erinnerte.
Also sprachen wir über den Job. Ich zeigte ihr, was ich bereits wusste, was wir genau herausfinden sollten und wir verbrachten den Rest damit einen Plan auszudenken.
Zugegebenermaßen: Ihre Methoden liefen oft auf ähnliche Dinge hinaus. Sie war sich ihrer Anziehungskraft, die sie auf beinahe jeden, den sie traf, auslöste, bewusst. Also war für sie die beste Art an eine Information zu kommen, die richtigen Leute zu bezirzen. Manche hätten sich daran gestört, doch sie schien es meistens zu genießen.
Meistens … denn leider bleibt es ein Fakt dieser Welt, dass es jene gibt, die unschöne Dinge tun. Auch in diesen Situationen.
Ich sehe mich nicht als Kämpferin. Habe ich nie. Doch natürlich hatte ich das wichtigste gelernt. Das eine Mal, dass ich nahe daran gekommen bin zu sterben, war, als ich sie rettete. Vor jemanden, von dem sie sich Informationen erhofft hatte, während er in ihr nur einen Weg sah, kranke Fantasien auszuleben. Wie ich hatte er angenommen, dass sie Mutantin war und hatte angefangen, sie zu foltern. Aber mit etwas Hilfe schaffte ich es sie rauszuholen.
Sie sprach darüber nie wieder und ich brachte es nicht auf.
Doch die wenigsten Job erforderten Kämpfe. Nein, meistens reichte es, die richtigen Leute zu bereden, zu überzeugen, zu manipulieren, zu bestechen, oder - ja - sie zu bezirzen.
Ich weiß nicht, ob ich die Gefühle, die ich für sie empfand, als Liebe bezeichnen würde. Sie war etwas Besonderes. Ich hatte zu ihr eine engere Bindung, als zu irgendjemand anderem aus dem Job. Sie war die einzige, mit der ich die Abende und manchmal ganze Nächte verbrachte. Mit der ich auch ohne Job in ihrem komplett weiß eingerichteten Apartment oben in einem der Wolkenkratzer saß. Ich nannte sie manchmal Engelchen, um sie zu ärgern.
Und dann verschwand sie vor sechs Monaten. Sie meldete sich nicht mehr und ihr Apartment war verlassen.
Ich weiß nicht, was der Grund für ihr verschwinden war. Wollte sie mir aus dem Weg gehen oder sehe ich mich damit nur als zu wichtig an? Sie war eine Frau, die viele Liebhaber*innen hatte. Eine Frau, die viele Leute kannte. Vielleicht auch die falschen …
Ich wünschte, ich könnte sie wiedersehen. Alles was mir bleibt, ist zu hoffen, dass ihr nichts zugestoßen ist, dass sie noch lebt und unbeschadet ist. Ich hoffe es wirklich. Denn für mich war sie mehr als eine Kollegin gewesen. Sie war eine Freundin. Jemand besonderes. Mein schwarzer Engel.