Das mechanische Piepen der Krankenhausgeräte wurde leiser und leiser. Ferner wurde das Geschrei der Ärzte, weit weg zogen die grellen Lichter des OP. Selbst die elektrischen Schocks, die der leitende Arzt setzte, bewegten ihm kaum. Einige Muskeln zuckten noch einmal auf, dann entspannte sich alles. Jeder Muskel seines Körpers erschlaffte, seine Sinne schienen ihm zu entgleiten. Erst, als er von völliger Dunkelheit und völliger Stille umschlossen wurde, riss er sich los. Er setzte sich auf. Der Raum war leer. Er blickte an sich hinab. Sein Körper lag unter ihm, kalt, hart und bleich. Vor ihm erhob sich ein senkrechter Schatten in der Luft. Ihm wurde kalt. Die Schwärze des Raumes war zum Schatten hingezogen. Wie eine Materie sammelte sich all die Dunkelheit vor ihm, nahm eine schemenhafte, unwirkliche Gestalt an.
Eine schwarze, knochige Hand reckte sich ihm entgegen. Sie gehörte zu einer Gestalt, schwärzer als die Nacht, das Gesicht nicht erkennbar, mit einer großen, dunklen Sense über der Schulter.
„Wer bist du?“, fragte er. Seine Stimme klang nicht nach ihm selbst. Sie klang nicht einmal menschlich. Der Klang war eher vergleichbar mit einem Windspiel, dessen zarte Klänge in verschiedenen Melodien spielten.
Die Gestalt streckte einen Finger aus. Sie schrieb in die Dunkelheit die Worte „Ereshkigal“ und „tenebris angelus“.
Er stand aus der Liege auf. Alles fühlte sich leicht an. Die Gestalt bedeutete ihm, zu folgen.
Es war ein seltsamer Anblick. Mit jedem Schritt, den er auf die Gestalt zumachte, bewegte er sich Meilen, tiefer in die Schatten. Alles Licht verblasste und er erkannte kaum mehr etwas. Die Gestalt nahm ihn an der Hand, zog ihn fort.
„Wohin gehen wir?“, fragte er.
„Lux“ erschien ein Bild in seinem Kopf.
Das Licht.
Er begann, einzelne Strahlen zu erkennen, die grell weiß die Finsternis durchschnitten. Strahl um Strahl erhellte sich der Ort, bis er erkannte, wo er sich befand. Es war eine Wiese, bedeckt mit weißen, duftenden Blumen bis zu den Knien, und die grellen Strahlen gehörten einer untergehenden Sonne. Er blieb stehen, legte sich hin und rollte sich durchs sanfte, weiche Gras.
Die Schattengestalt hielt ihm wieder ihre dunkle, knochige Hand entgegen. Aber er wollte nicht gehen. Es war so ein schöner Ort, die Luft erfüllte ihn mit einem unbeschreiblichen Gefühl. Es war, als läge die gesamte Liebe des Universums in ihm. Es fühlte sich an wie Leben.
Die Gestalt streckte die Hand ein wenig mehr.
„Veni“, erschienen wieder die Buchstaben in seinem Kopf. „Komm.“
Aber er wollte dieses Gefühl nicht missen müssen. Er drückte sich Blumen ins Gesicht, nahm ihren süßen Duft wahr, ließ die Blüten seine Wangen streicheln.
„Veni“, erschien es wieder in seinem Kopf. Die Gestalt deutete an den Horizont. Die Sonne senkte sich tiefer. Aber er wollte bleiben. Er wollte die Nacht an diesem magischen Ort erleben. Die Energie, die nach Sonnenuntergang die Luft erfüllen sollte.
„Veni!“, drängte sie ihn. Aber er war sich sicher. Hier wollte er bleiben.
„Nein“, antwortete er mit seiner klangvollen, melodischen Stimme entschieden. Die Gestalt trat einen Schritt zurück. Die Dunkelheit, die einst in ihr vereint war, trat aus ihr aus, landete wie Tintenflecke auf dem Himmelszelt, während die Sonne hinter dem Horizont verschwand. Dunkelheit umhüllte ihn. Er hörte Schreie, Stimmen, Weinen, er hörte Geräte, und er sah ein grelles, kaltes Licht.
Die Schreie eines Babys erfüllten den Kreißsaal.