Es war schon der dritte Vortrag heute, den sie tapfer über sich ergehen ließ.
Zuerst hatte ein reicher Händler aus dem Süden darüber gesprochen, dass es allen Bevölkerungsschichten zu Gute käme, wenn er und seinesgleichen ihren Gewinn maximierten - immerhin wären sie es, die durch ihre Spenden die Tempel unterhielten, die der allgemeinen Bevölkerung in allen Lebenslagen beistanden.
Dass sie nicht lachte - die meisten Spenden erhielten die Tempel von dankbaren Gläubigen! Die jährliche Großspende war zwar allen bekannt, aber sie bezweifelte sehr, dass sie ausreichte, um die Geweihten ein ganzes Jahr ihrer Arbeit zu ermöglichen.
Der zweite Vortrag wurde von einer Gräfin aus dem Westen des Mittelreichs gehalten, die sich lang und breit darüber ausließ, wie Erziehung die Jugend forme und dass daher Bildung der einzige Weg sei, wie man dem schleichenden Verfall der Kultur Einhalt gebieten könne.
Verfall der Kultur? So ein Unsinn! Wenn es den Leuten nicht gut ging, stahlen sie eben, um zu überleben! Glaubte sie wirklich, täglicher Unterricht würde ihnen zu einem besseren Leben verhelfen? Das konnte man doch nicht essen!
Der aktuelle, dritte Vortrag, kam von einem Fürsten, der die Streitenden Königreiche einen wollte, weil die ständigen Fehden und Scharmützel das Leid der Bevölkerung nur vermehrten.
Sie dachte schon, dies sei der erste sinnvolle Beitrag des Abends, einer, der sich wirklich mit dem Thema dieser Veranstaltung beschäftigen würde. Doch als auch er sich in dieselbe geistlose Propaganda für seine eigenen Zwecke verstrickte, dem Machtzuwachs, den eine Vereinigung beider Reiche mit sich brächte, gab sie das Zuhören auf.
Demütig zu Boden blickend schob sie sich mit ihrem Tablett weiter durch die Schar der Zuhörer, die, ohne ihr einen Blick zu schenken, die Erfrischungen an sich nahmen, dann den Rednern zuhörten oder mit anderen über das Gesagte diskutierten.
Waren die Reichen und Mächtigen wirklich so blind, dass sie nicht verstanden, woran es der einfachen Bevölkerung fehlte? Oder waren sie von ihrer eigenen Macht so korrumpiert, dass sie glaubten, ihr Geschwätz würde irgendetwas bedeuten?
Was auch immer sie dachten - sie fand den Diskussionsabend, den der Hesindetempel veranstaltet hatte, gut. Er half tatsächlich - zumindest ihr und einigen ihrer Kollegen, die sie beim unauffälligen Bedienen der illustren Gästeschar entdeckt hatte. Mindestens vier andere hatten sich unter die Diener gemischt.
Aber das machte nichts.
Es waren genug reiche Leute anwesend, um jedem der Taschendiebe ein paar sorglose Tage zu bescheren.