Es waren einmal drei Holzsammler: Die Brüder Subara und Naka Shidesu, jünger und nicht mit ihnen Verwandt war Chisana Buranchi. Die Gebrüder, sie waren von derbem Charakter, Subara schnell mit den Fäusten und Naka schnell mit dem Dolch, wie es kam, dass sie mit Chisana in die Wälder gingen, dass konnte sich niemand im Dorf erklären. Denn der junge Bursche, er war von edlem Gemüt, reiner Seele und großem Herz, seine Naivität, war seine Schwäche. So verließen die drei einen jeden Tag das Dorf um in den Schneesturmbergen Holz zu sammeln. Die Brüder, sie fürchteten den Weg in die Berge nicht, so hatten sie für Kritiger und Drachen ein schmackhaftes Opfer bei sich. Auf ihrem Weg ins Gebirge mussten sie den Kotashi überqueren, damals überführten den Fluss noch keine Brücken und nur ein Fährmann übersetzte das Gewässer.
Als sie eines Tages, es war der späte Monat der Irrlichter, im Wald der Berge zu Gange waren, brach ein Schneesturm über sie herein. Sie rannten so schnell sie ihre Beine trugen. Doch der Fährmann, er war am anderen Ufer und hatte dort Schutz gesucht. So saßen sie auf der Halbinsel fest. Da die drei den Sturm im Freien nicht überleben konnten, beschlossen sie in das Haus des Fährmanns einzudringen und in der Not Schutz zu suchen. Sie verriegelten Tür und Fenster und ließen sich auf den Boden sinken. Der alte Subara fiel bald in tiefen Schlaf, sein Bruder wetzte den Dolch und Chisana er lauschte dem Sturm, in seiner Furcht vor der Naturgewalt konnte er die Augen nicht schließen.
Es rauschte und schüttelte. Ruckelte und heulte die ganze Nacht. In den Wolfsstunden, direkt nach dem Geisterstundenschlag, heulten die Winde besonders laut. Subara er schnarchte laut, Naka, verfiel ebenso immer mehr dem Schlaf und Chisana: Er war immer noch wach und voll Furcht.
Plötzlich gab es einen fürchterlichen Schlag, als wollte der Sturm das Dach entreißen, um die schlafenden ihrer Träume zu berauben. Die Tür flog förmlich aus den Angeln. Ein eisiger Wind glitt in rasender Geschwindigkeit in das Haus. Es war wie eine Wolke aus Schneeflocken! Chisana war verwundert. Seine Verwunderung, sie wurde zu entsetzen, als sich aus der Wolke eine Frau schälte. Die wunderschöne Frau mit der eiskalten Aura beugte sich zu dem schlafenden Subara und entzog ihm in einem Augenblick sein Odem. Da sprang Naka auf sie zu und stach mit seinem Dolch ein. Doch seine Klinge, sie wurde wie sein Arm starr zu Eis. Als er panisch von der Frau zurückweichen wollte, stolperte er, stürzte und sein Arm zerbrach in tausend Stücke. Da nahm die Schneeflockenfrau auch ihm den Odem und eine Raureifschicht bildete sich auf seinem Körper. Nun drehte sie sich zu Chisana, Kälte lag in ihren Augen. Ihr weißes Gewand flatterte wie ihren Ebenholzhaare im Wind, welcher sich immer noch heulend den Weg durch die geöffnete Tür bahnte. Ihr Nebel ergriff ihn und so näherte sie sich ihm. Angst schlug höher in Chisanas Brust. Die Frau hielt inne, sie schien zu überlegen. Da sprach sie in leiser Stimme, mit eisigem Atem und freundlichen Zügen: "Deine Kameraden haben diesen Berg entweiht, sie nahmen mir meinen Schrein und machten Holz daraus, was sie verfeuerten. Welch unheiliges gebaren! Ich schwor mir den Schwur all jene zu töten die sie um sich scharrten und irgendwann verdarben. Deine Seele sie scheint rein und jung dazu, was hast du schon gelebt und gesehen? Ich lasse dir dein Leben, doch nur, wenn du versprichst, dass du es nie erwähnst. Nicht deinen Eltern, nicht deinen Kindern und nicht der Frau die du ehelichst." Eiszapfen schwebten bedrohlich in der Luft, ihre Spitzen richteten sich auf den jungen Mann.
"Ich finde dich, egal zu welcher Zeit...", mit diesen Worten fielen die Eiszapfen laut klirrenden zu Boden und die Schneeflockenfrau verließ die Hütte wieder.
Langsam taute Chisana auf. Was war geschehen? Er eilte zur Tür und schloss sie mit aller Kraft. Dann wendete er sich seinen Kameraden zu. Sie waren beide tot. Steif und starr. Beide erfroren. Ihre Gesichter zeigten Furcht, Scham und Reue, welch befremdliche Mischung!
Zur morgendlichen Stunde endete der Sturm, der Fährmann setzte über und fand drei Männer in seinem Haus. Zunächst hielt er sie allesamt für tot, doch Chisana öffnete seine Augen und offenbarte, dass er die Nacht um die beiden Seelen getrauert und für sie gebetet hatte. Die Gebrüder wurden begraben und da sie keine Familie hatten, außer sich selbst, versprach der Fährmann sich fortan um ihre Gräber zu kümmern, da sie unter seinem Dach ihr Ende fanden.
Chisana ging Tage später wieder seinem Berufe nach und wanderte tagtäglich in den Wald. Er mied die heiligen Pässe und errichtete einen neuen Schrein für die Schneeflockenfrau. Er erzählte niemandem von seinen Bemühungen und noch weniger von den Ereignissen jener Nacht, welche alles verändert haben sollte. So gingen drei Jahre ins Land.
Als er eines Abends nach vollbrachtem Tagewerk wieder heimwärts wanderte, begegnete ihm ein junges hübsches Mädchen, das ihm so gefiel, dass der sonst eher schweigsame Mann sich auf ein Gespräch mit ihr einließ. Das Mädchen erzählte ihm, dass es auf Wanderschaft sei um ein neues Heim zu finden, was es hoffte in den fernen Ländern von Editoria oder Acadia.
Als sie einander den Weg teilten und Chisana sein Dorf erspähte, fasst er den Mut zusammen, welche er sich nach der Nacht der tanzenden Schneeflocken geschworen hatte:
"Die Sonne, sie zeigt ihr Rötekleid, die Nacht, sie wird noch kälter als der Tag. Im Monat des Irrlichts zu diesen Stunden zu reisen, es ist zu unsicher. So komm mit in mein bescheidenes Heim, meine Mutter und Ich, wir werden dich als unseren Gast willkommen heißen. Erhole dich und tritt die Reise den Morgen an!"
Die junge Frau nahm dieses Anerbieten mit einem schüchtern Lächeln entgegen. Sie folgte Chisana in die Holzhütte und stellte sich der Mutter als Fushigi Dane vor. Als sie die Nacht, in der die Windgeister wild tobten, bei der freundlichen Familie verbracht hatte, wollte sie sich in der Früh wieder auf den Weg ihrer beschwerlichen Reise machen, welche vielleicht von Erfolg gekrönt seien, würde. Die Mutter, eine Greisin mit großem Herz, bat sie länger bei ihnen zu verweilen. Zu lieb war ihr das Mädchen für die gefährliche Reise. Auch Chisana stimmte mit ein und ließ ein Feuer in seiner Zunge erkennen, dessen Glutnest sein Herz zu seien schien. So konnte es nicht widersprechen und blieb im Haus des Holzsammlers.
Es vergingen nicht viele Wochen und das Jahr des Obsidianwiesels hatte erst vor kurzem seinen Platz eingenommen. Da wurden die Herzen von Fushigi und Chisana von einem alten Zauber gerührt. Wärme flutete ihre Herzen und sie fühlten sich zugezogen, wie sie es noch nie zu einem Menschen getan hatten. Sie erklärten ihre Liebe noch im Monat des Wolfes, kurz bevor er dem Otter heulen konnte. Im Frühling dann, heirateten sie.
Wie es nun passiert, wenn Liebe ihrer Wege geht, gebar Fushigi im Monat der Irrlichter ihr erstes Kind, fünf weitere sollten folgen. Fushigi war eine liebe Frau sie half ihrer Schwiegermutter, bis zu deren Tod, aufopfernd und voller Herzlichkeit. Sie pflegte fortan ihr Grab und zog die Kinder groß, während ihr Mann voll Eifer arbeitete, um sie alle zu ernähren. Die Kinder wuchsen heran und es war, als sei die Familie auf einer Woge des Glücks, dass es bald über die Grenzen hinaus schallte. Noch mehr als ihr Glück, rühmte man die Schönheit von Fushigi, welche trotz betagter Jahre immer noch ein junges Gesicht zur Schau trug. Das Alter es schien es gut mit ihr und keinen Tag fehlte es ihr an Kraft und Herzlichkeit.
So vergingen die Jahre, als eines Abends in einem Monat der Irrlichter, das Paar in trauter Stille beisammensaß, wieder ein Schneesturm über das Dorf zog. Chisana erschauerte, dass Alter es ließ ihn sich an seine Jugend erinnern und so auch an jene Nacht, welche alles verändert zu haben schien. Noch einmal tauchten die Brüder Subara und Naka Shidesu vor seinem inneren Auge auf. Noch einmal sah er das Gesicht der Schneeflockenfrau vor sich. Ihr Haar wie Ebenholz und ihr Gesicht so weiß wie Schnee. In diesem Moment erblickt er das Gesicht seiner Frau, die ihm schöner als je zuvor schien und eine gewisse Ähnlichkeit mit der Schneeflockenfrau besaß. Immer mehr verdichteten sich die Gedanken, wurden schneller, wie ein Schneeball, der den Hang hinab mitriss und ehe sich Gedanken der Warnung in ihm neu formieren konnten, öffnete er den Mund und sprach: "Ich erinnere mich, wie schön...", er brach ab.
Doch Fushigi hatte ihn bereits vernommen und fragte in aufrichtiger Aufmerksamkeit, was diese Worte bedeuten sollten. Eine Lawine an Emotionen und Gedanken bahnte sich an, doch im letzten Moment der Erkenntnis sprach Chisana: "Ich erinnere mich, wie schön es war, als ich dich das erste Mal sah."
Fushigi sie wünschte zu erfahren, was diese Worte genauer meinten und doch schien sie zu fürchten, das Chisana ihrem Bitten nachkommen würde. Er lächelte und vertröstete sie auf einen späteren Tag.
Sechs Jahre nach diesem Abend lag Chisana in alter Gebrechlichkeit in seinem Bett und Fushigi, sie pflegte ihn mit Hingabe. Sie legte ihm Wickel auf den Kopf und wollte ihm Ruhe geben, doch er hielt sie am Ärmel fest.
"Bitte bleib."
Er erzählte ihr, wie er die Schneeflockenfrau traf, voll Dankbarkeit war, wie sie sein Leben lenkte zu dem Moment, wo er Fushigi traf. "Dann bekam ich die Ehre sie nicht nur verehre, sondern auch zu ehelichen. Sie schenkte mir sechs Flocken, die mir so lieb sind, dass sie nichts ersetzen kann."
Tränen rannen über Fushigis Gesicht und formten sich zu kleinen Hagelkörnern, ehe sie auf dem hölzernen Boden fielen und zersprangen.
"Verzeih."
"Warum?", schluchzte Fushigi den Kopf schüttelnd: "Warum?"
"Du machtest mein Leben schön, ich wollte mich bedanken und ohne Geheimnis von dir gehen."
"Ich wollte dich nicht täuschen, doch als ich dich damals in der Hütte sah, ich spürte etwas, etwas unbekanntes. Ich versuchte es zu unterdrücken und doch musste ich dich wiedersehen. Wie glücklich bin ich, dass du dich erinnert hast und mir noch sechs weitere Jahre schenktest."
Ihre Gestalt schien kälter, ihre Gewand war dem einer Schneedecke gleich und ihre Augen sie waren aus himmelsblaun in Silberfunken getaucht. Und doch! Ihr Gesicht es vermittelte eine Wärme, Tränen verließen die Augen voll aufrichtigem Dank und Erkenntnis das ihre Zeit nun ihr Ende fand.
Ja das war sie, die Schneeflockenfrau, die sein Leben verändert hatte.
"Wie schön."
Sie drückte ihm einen letzten Kuß auf die Stirne, der, obgleich eiskalt, wie der Frühling wärmte.
Er lächelte.
War tot.
Er verließ den Körper und wandelte sich zu Frost, seine Seele, sie würde die Schneeflockenfrau auf ewig begleiten.