„Mama, und wo wird der Weihnachtsmann dann fliegen?“ wollte die kleine Lisa wissen. Sie war gerade in dem Alter, in dem kleine Kinder viele Fragen stellen, und ihre Mutter wusste nicht, woher sie die Geduld aufnahm, für alles eine Antwort zu finden.
„Da oben am Himmel“, sprach sie, zeigte mit dem Finger nach oben und folgte diesem mit ihren eigenen Augen, um die Antwort glaubwürdig erscheinen zu lassen.
„Das ist doof“, meinte darauf Lisa. „Dann kann man ihn ja gar nicht sehen, es ist ja so bewölkt.“
„Es ist ja auch noch nicht Weihnachten“, antwortete Lisas Mutter und achtete darauf, dass ihre Tochter die letzten Meter zum Kindergarten nicht stolperte. Als sie endlich im Haus waren, sprach sie zwar noch zu ihrer Tochter, dass sie sie am Mittag abholen würde, doch Lisa war mit ihren Gedanken irgendwo da oben im Himmel und bei dem Glück, das der Weihnachtsmann den Kindern bringen soll. Die Erzieherin lächelte und antwortete ihr, dass sie es ihr sagen wird, sobald sie danach fragen würde.
Genau zu der Zeit tobte da oben, dort, wo Lisa hingesehen hatte, ein Sturm, der nur von unten aussah wie eine blassgraue Wand aus Watte. Tatsächlich peitschte der Wind kleinste Wassertröpfen hin und her, die in der Kälte gefroren. Wer ahnte schon, dass dieses Hin und Her, das Ab und Auf, ein Tanz der Moleküle, in der Kälte zu etwas wird, das kaum einzigartiger in dieser Welt erschaffen werden kann? Dieses Spiel dauerte genau so lange, bis sie da war: Die perfekte Schneeflocke, die sich mit den tausenden und abertausenden von anderen Flocken auf den Weg zur Erde machte. Doch was konnte eine Flocke schon ausrichten? Diese einzelne Flocke, die eben noch in den Wolken hin- und hergeweht wurde? Doch je tiefer sie kam, desto mehr Ruhe und Gewissheit wohnte in ihr, etwas Glückliches vollbringen zu können.
Die Erzieherin brauchte am Mittag mehrere Anläufe, um Lisa aus dem Spiel mit den anderen Kindern zu lösen, so sehr war sie in ihren Gedanken bei den Bauklötzchen, die mal eine Burg bildeten, mal Autos und heute auch mal den Schlitten eines Weihnachtsmanns. Sie erzählte jedem, dass der Weihnachtsmann jedes Kind glücklich machen konnte. Die anderen protestierten noch, dass das ja gar nicht stimme, doch Lisa war sich so sicher wie nie zuvor. Voller Trotz rief sie irgendwann: „Und wenn ich an Weihnachten glücklich bin, dann war das der Weihnachtsmann!“ Das war der Moment, an dem die Erzieherin endlich zu ihr durchdringen konnte, um ihr zu sagen, dass ihre Mutter gleich kommen würde, um sie abzuholen. Und so fing sie an, sich anzuziehen und bereit zu machen, als ihre Mutter schon in der Tür stand. Die Erzieherin wechselte noch ein paar Worte mit der Mutter und fragte sie, was sie Lisa denn vom Weihnachtsmann erzählt habe, doch Lisas Mutter wusste auch nicht, wo ihre Tochter all das Wissen in sich aufsog. Stattdessen freuten sich beide, dass sie von etwas so überzeugt war.
„Lisa, zieh’ deine Mütze auf, draußen hat es angefangen zu schneien“, sagte ihre Mutter noch, bevor Lisa sich von allen verabschiedete.
„Es schneit? Lass uns rausgehen, gucken!“ Und schon war Lisa unterwegs und schaute wieder hoch in den Himmel, der immer noch so Grau in Grau verhangen war. Schneeflocken legten sich auf ihr Gesicht, sodass sie anfing zu blinzeln. Laut rief sie: „SCHNEE!“ Sie streckte ihre Hand aus, um ein paar Flocken zu fangen: „Schau mal, Mama!“ Natürlich musste ihre Mutter schauen, als genau in diesem Moment eben diese eine perfekte Flocke auf dem Handschuh landete. Die Flocke sah das Schönste, was sie sich wünschen konnte: Die Freude und Lachen eines Kindes. Und Lisa sprach voller Glück: „Oh, wie schön. Dann ist ja der Weihnachtsmann heute schon unterwegs!“