Der Wind raschelte im Geäst, ließ eine sanfte, würzige Brise bis zur Klippe wehen. Die junge Frau stand ein paar Meter vom Rand der hohen Klippe entfernt, tief unten das tosende, rauschende Meer. „Schau nie zurück“ hatten sie ihr gesagt, „wenn du gehst, sieh nicht zurück, dreh dich nicht um. Bewahre es tief in deinem Herzen, doch geh voran, sieh nicht zurück.“
Die junge Frau sah zurück, während der Wind in ihre langen Haare fuhr. Sie blickte zurück zu dem Ort, der ihr für lange Zeit eine Heimat gewesen war. Sie blickte auf die großen Wälder, die endlos schienen und bis hinauf zu den sanften Hügeln reichten. In der Ferne konnte sie den Rauch der Feuer ausmachen, welche die Häuser wärmten, wo sie so viel ihrer Lebenszeit verbracht hatte. Sie blickte zum Himmel, an dem einzelne Wolkenfetzen trieben. Sie erinnerte sich an strahlenden Sonnenschein und stürmische Gewitter, die sie hier erlebt hatte. Sie blickte zurück auf das, was sie hinter sich lassen würde, um nie mehr zurückzuschauen.
Die würzige Waldluft und die krautige Wiesenluft stiegen der Frau in die Nase, die salzige See und das vertraute Gefühl von Heimat. Tränen rannen ihr über die Wangen und tropften auf den Boden, tränkten das Gras. Ein letzter Blick, ein letztes Lebewohl. Sie hatte sich entschieden.
Schweren Herzens und doch mit Vorfreude in der Brust wandte sich die junge Frau ab. Sie hatte Abschied genommen. Sie würde nicht zurücksehen, sie würde auf die Klippen zugehen und tun, was zu tun war.
Ein Schritt, dann noch einer, barfuß über feuchtes, weiches Gras, der Rand der Klippe kam näher. Unten rauschte das endlose Meer, die Wellen brandeten unaufhörlich an das Land und gegen die Felsen.
Die junge Frau schloss die Augen und nahm einen tiefen Atemzug - sie würde nicht zurücksehen, nur nach vorne. In ihrem Bauch spürte sie ein aufgeregtes Flattern, ihr Herz hüpfte. Sie öffnete die Augen und sah zum Himmel empor, zu den Wolken, ein Lächeln auf den Lippen, das bis zu ihren Augen reichte und durch die Tränen hindurchleuchtete. Dann stieß sie sich ab und sprang. Sie würde nicht zurücksehen, sie würde nicht zurückkehren. Dies war ein Abschied für immer.
Im Sprung toste der Wind um ihren Körper, ließ das lange Haar fliegen und ihr weites Gewand flattern, ein freudig-herausfordernder Schrei entrang sich der Kehle der Frau. Zwei gewaltige Schwingen entfalteten sich auf ihrem Rücken, golden und silbern und trugen sie die Gestalt fort, weit hinaus übers Meer.
Ihr Ziel kannte die junge Frau nicht. Sie hatte sich entschieden, zu springen, wohl wissend, dass es ein Ziel gab. Ein Ziel, das weit weg und nicht in ihrer Heimat lag. Sie vertraute darauf, dass die Schwingen sie tragen würden, ihr Herz sie lenken und leiten würde und ihr Ziel kannte. Sie vertraute darauf, dass sich der Abschied gelohnt hatte. In ihrem Herzen würde sie ihre alte Heimat für immer bewahren. Ihre Schwingen würden sie zu einem neuen Ort tragen, dem entgegen, was das Leben und das Schicksal für sie bereithielten. Sie würde sich dem stellen und nicht zurückschauen.