Sie hatte irgendwann aufgehört mitzuzählen. Es hatte weder Bedeutung noch einen Nutzen für sie, zu wissen, ob sie 143, 601 oder 825 Jahre alt war. Jedes weitere Jahr, das verstrich, erinnerte sie lediglich schmerzlichst daran, dass die Welt sich weiterdrehte, während für sie die Zeit stehen geblieben war. Eine Falte um die hellen, blauen Augen wäre für sie eine Freude gewesen, ein graues Haar geradezu ein Segen.
An Stelle dessen war sie jung und bildschön. Das lange, schwarze Haar fiel ihr in sanften Wellen über den Rücken und verdeutlichte noch einmal, wie blass die ebenmäßige Haut eigentlich war. Heller als Porzellan, aber gewiss nicht so zerbrechlich, wie ihre restliche Erscheinung vermuten ließ.
Nichts von all dem zeugte von den Jahrzehnten, die ihre Seele, aber nicht ihren Körper geprägt hatten. Sie war perfekt und hasste es über alle Maße.
Millonen von Menschen verzehrten sich nach dem Dasein, das sie führte. Ein ewiges Leben, ohne einen Gedanken an den gewaltigen Preis zu verschwenden, den es mit sich brachte. Einst war sie eine von ihnen gewesen. Jung und naiv und bestrebt nach mehr.
Sie bereute es. Bereute es mit jedem weiteren Tag, den sie über sich ergehen lassen musste. Bereute es, das ewige Eis dem fließenden Wasser vorgezogen zu haben.
Nun war sie gezwungen, mit den Konsequenzen zu leben. Falls das Dasein, das sie fristete, überhaupt noch ein Leben war.
Sie war dazu gezwungen, mit anzusehen, wie die Welt um sie herum sich veränderte. Alles und jeder fiel dem Rad der Zeit zum Opfer. Nur sie nicht.
Für sie war die Zeit vor einer sehr sehr langen Zeit eingefroren.
Das war mein erster kleiner Text als Schreibübung. Ich hoffe, er gefällt euch. :)