Irgendwo, irgendwann, auf einer Wiese
Faust wachte auf. Er fühlte sich leicht. Der Boden war warm und weich. Er erhob sich und schaute sich um. Weite Wiesen zeichneten die Landschaft, in der Ferne waren Hügel zu sehen, bewachsen von eben diesen. Eine alte, knorrige Weide stand einige Dutzend Meter von ihm entfernt da, regungslos, da kein Wind wehte.
„Hell...“, stellte er fest. Tatsächlich war die Sonne nicht zu sehen, obwohl es so hell war, dass er die Augen zusammenkniff, um sehen zu können. Erkennen konnte er den Ort nicht, jedenfalls hat er ihn bisher nie gesehen.
„Was ist das? Wo? Ich...“ Er versuchte, sich zu erinnern, wie er auf diese Wiesen gekommen sein könnte. Erfolglos. Faust machte sich auf den Weg, wohin wusste er nicht. Fasziniert von jenem sonderbaren Ort ging er Meile um Meile, Schritt um Schritt, mit jedem Vorwärtskommen fühlte er sich leichter und losgelöster. Es war fast, als gleite er schwerelos über die sanften, grünen Grashalme zu seinen Füßen.
Faust blieb an einem kleinen Bach stehen, der sich seinen Weg hangabwärts bahnte.
Das ruhige Plätschern war das einzige, das er hörte. Er kniete sich hin und hielt seine Hand ins Wasser. Es fühlte sich angenehm kühl an.
„Ein wundervoller Ort“, sagte er sich und schloss die Augen. Faust genoss den Moment, er fühlte sich befreit. Es war, als wären die Ketten, die ihn Tag um Tag, Jahr um Jahr an den Boden banden, verschwunden. So schlief er ein, den Kopf gebettet auf den grünen Decken der Natur, neben einem kleinen Bächlein, und fühlte sich frei.
Eine Stimme weckte ihn auf.
„Heinrich. Steh auf, Heinrich.“
„Wer ist da?“, fragte Faust, noch mit geschlossenen Augen.
„Du musst aufstehen, Heinrich. Es ist Zeit.“, sagte die Stimme mit einer fast engelsgleichen Ruhe. Er öffnete die Augen. Vor ihm stand ein junger Mann. Er leuchtete wie die Sonne selbst, sein Gesicht wirkte auf ihn wie das eines alten Freundes.
„Komm, Heinrich, komm.“ Der Junge reichte ihm seine Hand und half ihm auf. Nun sah Faust, dass zwei weitere junge Männer anwesend waren, ein wenig weiter weg. Sie lächelten ihn an.
„Wer sind Sie? Ich... ich kenne Sie, aber woher?“, fragte er.
„Das tut nicht zur Sache, Heinrich. Du kennst mich, ja, aber viel wichtiger: Ich kenne dich. Länger als du denkst.“, antwortete die Gestalt.
Faust hakte nach: „Wie ist dein Name, Freund? Wie soll ich dich nennen?“
Das Wort Freund benutzte er instinktiv. Aber schon eine Sekunde später bereute er es, den eigentlich Fremden als seinen Freund bezeichnet zu haben.
„Wer ist wie Gott?“, war die Antwort.
„Wer ist wie was? Ich verstehe nicht ganz.“ Faust wusste nicht, was er mit dieser Frage anfangen sollte. Wer war denn wie Gott?
„Komm, Heinrich, wir gehen.“, sagte der mysteriöse Mann, nahm ihn an der Hand und führte ihn zu der alten Weide, die er zuvor schon gesehen hatte. Dort sah er Faust lange tief in die Augen, die beiden anderen Männer standen direkt neben ihnen.
„Du wirst jetzt gehen. Wir sehen uns in einer anderen Zeit, Heinrich.“ Er lächelte.
Alles wurde hell. Den Doktor umgab jetzt ein unangenehm grelles Licht. Die drei Gestalten wurden immer schemenhafter, dann verschwanden sie. In der Helligkeit hörte er noch etwas nachhallen.
„Nimm dich vor der Versuchung in Acht!“, war, was er von diesem Echo entnehmen konnte. Und das Wort Erleuchtung.
Seine Umgebung wurde dunkler. Alles wurde schwarz, dann rot. Er sah Blut, überall.
Bilder von Klingen zeigten sich vor seinen Augen, von Wunden, von Lachen von dem roten Lebenselixier. Er schrie, weil er nicht anders konnte.
Dann wachte Faust auf. Er lag in seinem Bett. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hob er die Decke an und bereitete sich auf einen unangenehmen Anblick vor. Zu seiner Überraschung fand er auf seinem Oberkörper keine Wunde.