"Was?" Befana, die bis dahin vor der Feuerstelle ihres Knusperhäuschens gelümmelt und in alten Folianten geblättert hatte, blickte entsetzt auf, "Gottes Sohn? Geboren? Wann?"
"Grad erst", ihre Freundin Sibelia zuckte mit dem Daumen zum Wald hinter der offenen Tür. Ein Käuzchen flog klagend ums Haus. Das verdammte Vieh nervte sie schon eine ganze Weile. Anscheinend hatte es ihr was sagen wollen. Befana sprang auf die Füße. Fahrig rannte sie in ihrem Häuschen umher. "Ich hab einen Berg Geschenke gekauft und gezaubert! Und gebastelt!", sie drehte sich zu Sibelia um, "Gebastelt!", schrie sie, "Ich hasse basteln!"
Mit hektischen Bewegungen räumte sie die in leuchtendes Papier mit silbernen Schleifchen versehenen Präsente in einen leinenen Reisesack, "Warum man mir immer zu spät Bescheid gibt", schimpfte sie dabei. Während sie den Sack verschnürte und in ihre Schuhe schlüpfte moserte sie weiter. "Mein Besen ist noch in der Inspektion! Wenn Du mich zur Werkstatt bringen könntest?"
Sibelia nickte.
Mit einem letzten Blick vor dem Spiegel gab Befana das hoffnungslose Unterfangen auf, ihre wild abstehende rote Mähne in Ordnung zu bringen. Und was sie anhatte!
Homewear! Einen grünen Hosenanzug aus Samt! Wirklich nicht das richtige Outfit, um Gottes Sohn auf der Welt zu begrüßen.
Sibelia, deren Besen schon vor der Tür brummte, weil sie den Motor angelassen hatte, las ihre Gedanken. "Underdressed ist immer weniger peinlich als overdressed", meinte sie lahm.
"Jaja", Befana erklomm hinter ihr den Besen. Einen Lichtschweif hinter sich herziehend durchpflügten sie den tiefschwarzen, mit goldenen Sternen betupften Himmel, bis sich unter ihnen die Schatten der Stadt abzeichneten. In einer leer gefegten Straße landeten sie. Befana glitt vom Besen, schwirrte zu einem großen hölzernen Tor und hämmerte dagegen: "Bruno! Wach auf! Ich brauch` meinen Besen!"
In den schief stehenden Häuschen klappten die Läden auf. Schlafmützen wippten hinaus. "Was ist denn hier los?"
"Kann man nicht mal in Ruhe...?"
"Seid still!", Befana kramte ihren Zauberstab aus der Hosentasche und klappte ihn auf, "Haltet alle die Klappe!" Hektisch damit herum wedelnd erreichte sie, dass sich alle zurückzogen. Bruno war herbei geschlurft. Befana lief hinter ihm her, mit den Augen in der Werkstatt ihren Besen suchend.
"Sibelia sagt, es eilt?"
"Ja",sie legte den Reisesack neben sich auf den Boden und rupfte ihren reparierten Besen aus der Parkbucht, "Gottes Sohn ist geboren! Ich werde zu spät kommen." Wütende Tränen funkelten in ihren Augen.
Bruno verschränkte die behaarten Arme über seinem Wanst und nickte bedächtig. "Is weit bis Palästina."
"Vielleicht hättest du schon mal vor fliegen...", warf Sibelia vom Eingang her scheu ein.
"Jaja, hätte hätte Fahradkette." Ruppig zerrte Befana Besen und Sack nach draußen. "Ich muss los."
In schwarzer Nacht fegte Befana alleine über den Himmel, versunken in unglückliche Gedanken. Diese bescheuerten drei Könige. Sie schluckte schwer. Sie konnten sie nicht leiden, weil sie so gerne für Kinder zauberte. Sie verschenkte Sachen, die sich die Kleinen wünschten, selbst die Ärmsten. Spielzeug. Puppen, hölzerne Figuren und Bauklötze. Darüber beschwerten sich die Herren andauernd bei Gott.
Sie nähme ihre Sache nicht ernst, behaupteten sie.
Sie raubte ihrem Amt die Würde.
Unter ihr flog Sizilien dahin.
Sie haben sie hintergangen! Verzweifelt schluchzte sie auf. Allein der Anblick einer Schar Delfine, die über das graue Meer sprangen, versöhnte sie ein wenig. "Die Kinder lieben dich!", sangen sie ihr zu.
Ihr Herz wurde wärmer, denn ja, das war wahr.
Aber Jesus war auch ein Kind! Egal, wer sein Vater war.
Sie hatte so zauberhafte Dinge für ihn geschaffen. Einen weichen Strampler aus Schafswolle. Eine hölzerne Rassel. In langen Nächten hatte sie mit eigener Hand Esel, Schafe und Häschen geschnitzt. Ihre Finger waren ganz blutig gewesen, aber das waren wenigstens Sachen für Kinder!
Diese blöden Könige salbaderten über Weihrauch und Myrrhe. Bei der Versammlung hatte sie leise angemerkt, dass Kinde damit nichts anfangen könnten, aber diese arroganten Klappspaten hatten sie einfach überstimmt. Kurz, als sie schon Judäa unter sich hatte, kam ihr der Gedanke, sie hätten ihr absichtlich nicht rechtzeitig von der Geburt erzählt, damit nicht auffiel, dass sich das Baby Jesus mehr über ihre Geschenke freute.
Im milchigen Dunst des Morgens landete sie in Bethlehem.
Und wusste sofort, dass sie zu spät war.
Die kleinen hölzernen Häuschen zeugten von den Menschenmassen, die sie wegen der Zählung kürzlich noch bewohnt hatten. Die eigentlichen Bewohner, die ersten waren schon wach, waren mit Aufräumen beschäftigt. Alles sah aus, wie nach einem riesigen Festival auf dem Blocksberg. Die Leute ließen immer irgendwelchen Dreck liegen. Aber dafür hatte sie jetzt kein Auge. Über den staubigen Sand schlurfte sie mit niedergedrückten Schultern zu dem Stall, von dem sie instinktiv fühlte, dass es der richtige war. Als sie eintrat, glotze ihr ein kauendes Schaf entgegen. Sie zitterte vor Trauer und Verzweiflung.
Schritt weiter in den Raum hinein auf die leere Krippe zu. Ihre Tränen floßen unaufhaltsam. Sack und Besen zerrte sie hinter sich her. Neben dem Esel, der sich mit eingeklappten Pfötchen auf dem Strohhaufen niedergelassen hatte und sie gleichmütig ansah, lag ein Bündel Stoff. Sie nahm es an sich.
Roch daran.
Nach Baby, duftete es, nach Milch und Puder.
Schluchzend sank sie ins Stroh, presste das Tuch gegen ihr Antlitz und weinte bitterlich.
Kein Zauber für sie.
Kein Weihnachtszauber .
Sie wusste nicht, wie lange sie schon in Selbstmitleid gebadet hatte, was normalerweise nicht ihre Art war. Aber irgendwann hörte sie Kinderlachen draußen. Zwei Jungs, die Fangen spielten. Einer rannte hinein, aber noch bevor er sich hinter einem Heuballen verstecken konnte, sah er sie.
"Oje", er kam einen Schritt näher, "warum bist du denn so traurig?"
Der Freund war hinterher gehastet, hielt nun aber auch inne. Hinter ihm tauchten zwei Mädchen in geflickten Kleidern auf, die vorsichtig über seine Schulter linsten.
Befana blickte auf.
In die weichen, so unschuldigen Gesichter der Kinder, die voller Mitleid auf sie hinab schauten. Sie lächelte und wischte sich die Augen. "Nichts", sagte sie weich, "es ist nichts, das euch belasten darf."
Sie griff ihren Sack und öffnete ihn. Neugierig kamen die Kinder näher.
"Ich bin gekommen, Geschenke zu bringen", sie zwinkerte den Mädchen zu, holte eine kleine Stoffpuppe mit Zöpfen in einer Minitunika heraus, "es ist noch mehr da. Vielleicht holt ihr eure Freunde."
Einer der Knaben, dem sie ein hölzernes Schiff geschenkt hatte, das er wie einen Schatz an sich presste, nickte zuerst wachsam, dann schwang er herum und rauschte hinaus. In weniger als fünf Minuten war der Stall voller Kinder, Mädchen und Jungen in zerlumpten Kleidern und edlen Gewändern. Mit verfilztem Haar und leuchtenden Zöpfen.
Und einem nach dem anderen holte Befana das Spielzeug aus ihrem Sack, das es sich immer gewünscht hatte.
Der Stall strahlte im Glanz des Weihnachtszauber.
Ihre Seele füllte sich mit Glück.