»Scheiße, was soll das denn? Rob, bring endlich diese dämlichen Pfandflaschen weg!«, fluchte ich, als mir beim Öffnen des Küchenschranks ein ganzes Battalion an leeren Glas- und Plastikflaschen entgegen fiel. Wie lange hortete dieser Vollidiot den Müll schon wieder?
Ungerührt nahm ich die neue Rolle Küchentücher aus dem Schrank, ließ die Tür offen und die Flaschen liegen, stieg über das Chaos hinweg und tat, was ich eigentlich vor gehabt hatte: Ich wischte den Rest Tomatensaft von der Arbeitsplatte, der vom Gemüseschneiden übrig geblieben war.
Heute war Mittwoch und das hieß, dass ich mit dem Kochen dran war. Da meine Künste sich in diesem Bereich auf Nudeln in verschiedenen Soßen und Pellkartoffeln mit Quark beschränkten, gab es bei uns unter der Woche in der Regel zweimal Nudeln. Freitags war unser heiliger Burger-Tag, Dienstags und Donnerstags war Rob dran. Und es wollte mir einfach nicht in den Kopf, wie dieser verplante Typ es trotz Uni zweimal die Woche schaffte, ein kleines Drei-Gänge-Menü auf die Beine zu stellen. Manchmal fragte ich mich, warum ich überhaupt für uns kochte und nicht einfach Rob das Feld überließ. Allerdings zog das meist weitere Fragen nach sich, wie »Wenn er kocht, wäre ich dann jede Woche fürs Staubsaugen und Bad putzen zuständig?« oder »Warum lebe ich überhaupt mit diesem seltsamen Typen in einer WG zusammen?«
Rob – mit vollem Namen Robin, aber da er bereits alle Batman-Witze der Welt auswendig kannte, hasste er es verständlicherweise, bei vollem Namen genannt zu werden – und ich waren eigentlich grundverschieden. Er studierte Philosophie, ich studierte Jura. Selbe Uni, völlig anderer Ansatz. Er war chaotisch, verträumt und chronisch mittellos, ich hatte einen guten finanziellen Background, strukturierte meinen Tag und hatte gern für alles eine schöne rationale Erklärung. Ich war gut im Lernen und hatte fest vor, mein Studium in der Regelzeit durchzuziehen, während er bereits jetzt den Anschein machte, einer dieser ewigen Studenten zu werden, die man irgendwann im fünfzehnten Semester rausschmeißt oder die einfach in ihrer Uni kleben bleiben und mit ihr verwachsen. Ich mochte Bücher und versank am Abend gern in einem Grisham oder einem Nesbø, während er stundenlang im Internet surfte und sich durch soziale Netzwerke trieb. Vor allem Streaming- und Fotoportale hatten es ihm angetan, da vergaß er regelmäßig die Zeit und klickte sich vom hundertsten ins tausendste, während ich im Nebenzimmer das tat, was man wochentags nach Mitternacht nun mal tun sollte: Schlafen.
Vermutlich war die einzige Erklärung für Robs Kochkünste, dass der liebe Gott ein paar Mal zu tief in den »Fehler und komische Angewohnheiten«-Topf gegriffen hatte, als er Rob gemacht hatte, und es ihm peinlich war. Also am Ende noch schnell eine Cocktailkirsche oben drauf, die machen ja aus dem seltsamsten Dessert noch irgendwie was Ansehnliches. Fertig war der Rob. Nach seinen kulinarischen Meisterleistungen die Küche aufzuräumen, war allerdings nicht so sein Ding. Und ganz im Ernst: Es war besser für uns alle, wenn ich mich darum kümmerte. Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie er einmal bei der Reinigung des Ceranfeldes fast unsere Küche abgefackelt hätte und die hässliche Schnittwunde seiner »Ich kann meinen Kram auch selbst abwaschen, aber greif dabei mal eben ins Küchenmesser«-Aktion stand mir auch noch sehr lebhaft vor Augen.
Trotz alledem lebte ich seit drei Semestern mit diesem Typen zusammen, der gerade in Boxershorts und schlabberigem T-Shirt in die Küche geschlurft kam.
»Mann, Jojo«, nuschelte er, »mach doch nicht so einen Aufstand. Morgen bring ich die Flaschen alle zum Rewe.«
»Ja, genau wie du das vorgestern und letzten Freitag und vor zwei Wochen schon tun wolltest. Wie passen die überhaupt alle in diesen dämlichen Schrank?!«
Rob zuckte die Schultern und grinste schief. »Passen sie nicht, oder?«
Ich schnaubte nur und wandte mich dem Nudelwasser zu, das zu kochen begonnen hatte. Rob sammelte hinter mir die Flaschen auf und quetschte sie, den Geräuschen nach, in große Plastiktüten.
Gerade als ich die Spaghetti aus der Packung ins Wasser geschüttet hatte, umfingen mich zwei nackte Arme und zogen mich an Robs Körper. Noch so eine unangenehme Eigenart von ihm, die ich nicht kapierte: Er war verdammt nähebedürftig. Wie ein kleines Kind.
»Sei mir nicht böse, ja? Jojo?«, fragte er und stützte das Kinn auf meine Schulter. »Morgen nach der Uni bring ich sie wirklich weg.«
»Schon gut. Und jetzt sieh zu, dass du mit deinem Philo-Kram fertig wirst. In ein paar Minuten gibt's Essen.«
~*~
Nach dem Abwasch saß ich in meinem Zimmer, arbeitete die Vorlesungen vom Vormittag nach und erstellte die Gliederung für meine Hausarbeit. Ein Klopfen an der Tür riss mich aus meiner Konzentration.
»Jojo?«
»Hm?«, machte ich und sah von meinem BGB auf, an das ich neue farbige Marker geklebt hatte.
»Ist kein Bier mehr da. Brötchen für morgen Früh haben wir auch nicht mehr. Ich geh eben zum Rewe rüber. Willst du auch was?«
»Ich brauch nichts. Aber nimm die Pfandflaschen mit.«
Rob blieb im Türrahmen stehen und druckste herum.
»Was ist denn noch?«
»Ich hab vergessen, dass wir in der Kammer ja noch die zwei Bierkästen mit den ganzen leeren Flaschen stehen haben. Das krieg ich alles alleine nicht weg und deshalb dachte ich …«
Ich stöhnte entnervt auf.
»Ernsthaft? Dann nimm die halt beim nächsten Mal mit. Ich muss mich echt ums Schuldrecht kümmern und ich hab keine Lust, hier zu sitzen, bis es draußen wieder hell wird.«
»Aber wenn wir schon mal unterwegs wären … und dann müsste ich den vollen Kasten nicht alleine zurück tragen. Es dauert auch nicht lange, versprochen. Ich bezahl auch diesmal alles.«
Rob war so kleinlaut, dass ich erneut entnervt aufstöhnte, mich aber erhob.
»Als ob. Na, dann los – und beeil dich diesmal wirklich.«
~*~
Im Supermarkt standen wir natürlich eine Ewigkeit am Automaten und ich durfte mehrere Minuten lang dem Schauspiel beiwohnen, wie eine Flasche nach der anderen in dem stinkenden Loch verschwand, gescannt wurde und dann am Ende geräuschvoll ihr kümmerliches Leben aushauchte. Bierkästen und Glasflaschen waren zum Glück schon durch.
Not my circus, not my monkeys, dachte ich und wartete einfach stoisch, bis Rob fertig war. Dem genervten Stöhnen hinter mir entnahm ich, dass die sechs weiteren Zuschauer unserer Performance das nicht ganz so gelassen sahen, wie ich.
Irgendwann war es geschafft, wir verschwanden in der Getränkeabteilung und schleppten kurz darauf einen neuen Kasten Bier zur Kasse. Rob musste ganze 70 Cent bezahlen.
»Gut, dass du heute zahlst, das hätte ich finanziell echt nicht stemmen können«, kommentierte ich, doch meine Ironie prallte an Robs breitem Grinsen ab.
Auf dem Heimweg blieb er so plötzlich stehen, dass mir der Ruck fast den Arm abriss.
»Was ist?«
»Wir haben die Brötchen vergessen!«
»Dann isst du halt morgen Früh mal Müsli. Oder du machst es wie ich: Kaffee und go!«
»Ohne mein Schokobrötchen krieg ich die erste Vorlesung niemals auf die Reihe. Wir müssen zurück!«
»Dein Ernst?! Woher nimmst du die Gewissheit, dass ich dich jetzt nicht stehenlasse und einfach nach Hause gehe?«
Wäre Rob ein Hund, hätte er jetzt die Ohren hängen lassen und mich dermaßen traurig angeblickt, dass sogar ein Stein angefangen hätte, hemmungslos zu heulen. Okay, der Blick war nah dran. Zum Glück war ich kein Stein.
»Weil du der beste Mitbewohner bist, den einer wie ich haben kann, und weil du mein Freund bist und mich nicht einfach hängen lassen würdest.«
Ich seufzte ergeben und wandte mich um.
»Dafür bist du die ganze nächste Woche mit Kochen dran.«
~*~
Natürlich wurde es nicht bereits hell, als ich die Rohfassung meiner Hausarbeit fertig hatte. Vier Uhr morgens war trotzdem vier Uhr morgens. Mit nur zweieinhalb Stunden Schlaf ordentlich funktionieren im ersten Vorlesungsblock? Da würde definitiv ein Extrakoffeinschub nötig sein.
Natürlich war es nicht Robs Schuld, dass ich bis jetzt an dem Text gesessen hatte – der kleine Ausflug ins Land, wo Bier und Brötchen flossen, hatte immerhin nur eine halbe Stunde gedauert. Aber wer war ich, dass ich ihm nicht trotzdem auf die Nase binden würde, dass ich nach seiner Aktion bis in den frühen Morgen hatte ackern müssen.
Grinsend räumte ich meine Aufzeichnungen und die Gesetzestexte zusammen, klappte den Laptop zu und verstaute alles in meiner Tasche für die Uni. Als ich kurz darauf für eine hygienische Kurzfassung durch den dunklen Flur ins Bad schlurfte, brannte in Robs Zimmer noch Licht. Oder vielmehr: Das hektische Flackern des Laptop-Bildschirms, das ich durch den Türspalt erkennen konnte, verriet mir, dass dieser Kerl immer noch wach war. Vermutlich war er wieder beim Schauen einer dieser Serien versackt, bei denen alle paar Tage irgendein neuer Scheiß total angesagt war.
Kopfschüttelnd tappte ich ins Bad und verkrümelte mich nach einer Katzenwäsche und Zähneputzen in mein Bett. Zum Glück war ich hundemüde und schlief ein, bevor ich mir wieder den Kopf über die Überlebensfähigkeit meines verqueren Mitbewohners zerbrechen konnte.