Das konnte ja wohl nicht Robs Ernst sein! Ich wusste ja, dass er absolut nicht nachdenkt, bevor er handelt und eigentlich hätte es mich wenig überraschen sollen, nachdem er letztens von diesem Dreckskatzenvieh seines Kommilitonen geschwärmt hatte. Soooo niedlich, so weeeiiich, blablabla.
Aber ernsthaft, was sollte dieses Fellbündel mitten in unserer Küche?
Und was war das für ein Haufen Zeug im Flur?!
»Rob!«, schnauzte ich statt einer Begrüßung. »Was, zur Hölle, soll das hier?!«
Rob, der mit dem Rücken zu mir am Boden gekniet hatte, um die erbämliche Miniaturausgabe einer räudigen Katze mit einem köttelähnlichen Stück Zeug zu sich zu locken, zuckte zusammen.
»Äh, Jojo, das … also …«, begann er im Aufrichten, aber ich hatte keine Lust auf Gestotter.
»… ist mal wieder einfach so passiert?«, mutmaßte ich also und konnte in Robs Gesicht lesen, dass das exakt die Quintessenz war. Am liebsten hätte ich Rob noch ein bisschen angeschrien. Das würde meine Laune deutlich verbessern. Dennoch beherrschte ich mich mühsam und ließ es zugunsten unserer »Erst fragen, dann aufregen«-Regel bleiben. Die hatten wir etabliert, nachdem unsere letzte Auseinandersetzung kurz vor Weihnachten … sagen wir, durch mich nicht unerheblich eskaliert war.
»Wo hast du das da bitteschön her?«, fragte ich stattdessen und deutete auf das Offensichtliche.
»Frieda ist kein ›das da‹, sondern ein Katzenmädchen!«, verteidigte Rob das befellte Vieh, das sich seit meiner Ankunft in unserer gemeinsamen Wohnung noch keinen Millimeter bewegt hatte. Aber Moment – Frieda? Das Tier konnte niemals länger als eine Stunde hier sein und Rob hatte ihm schon einen Namen gegeben? Und so einen bescheuerten dazu!
Bevor ich mich noch einmal echauffieren konnte, redete Rob von sich aus weiter.
»Ich war doch letzten Samstag bei Ben und der hat doch auch eine Katze … die durfte ich streicheln und mit ihr spielen und irgendwann hat sie sich zu mir gelegt und geschnurrt und …«
»Fokus, Rob! Fokus!«
»Also, jedenfalls hat Ben gesagt, dass der Freund, von dem er seine Katze hat, wieder Katzennachwuchs bekommen hat. Also, nicht der Freund, sondern dessen Katze. Frieda ist quasi die Schwester von Tinkabell.«
»Tinkabell?!«
»Na ja, Bens Katze. Eigentlich hieß sie Elsa, wegen des Wurfs. Du weißt schon. Aber Ben wollte nicht, dass seine Katze wie eine Kuh heißt, und hat sie dann Tinkabell getauft.«
»Oh Gott.«
»Jedenfalls hat Ben gesagt, dass alle Katzenkinder aus dem neuen Wurf ein Zuhause gefunden haben, aber Frieda war noch übrig. Weil sie halt etwas kleiner und zurückhaltender war als der Rest.«
»Lass mich raten: Du hattest Mitleid, hast Ben gesagt, dass du Frieda nehmen wirst, ihr habt alles in die Wege geleitet und du hast dir online die komplette Erstausstattung inklusive Kratzbaum gegönnt?«
»Ja, so ungefähr. Letzte Woche war ich zweimal bei Frieda und vorhin hab ich sie abgeholt. Jetzt ist sie unse…«
»Moooment«, unterbrach ich ihn. »Dieses Fellbündel ist deine Katze! Nicht unsere! Zieh mich nicht in deine hirnrissigen Ideen mit rein! Wie konntest du dir den ganzen Kram inklusive Flohzirkus überhaupt leisten?«
»Dispo … «
Ich schüttelte wortlos den Kopf.
»Aber Jojo, jetzt sei doch nicht so. Frieda ist wirklich ganz bezaubernd und du wirst sie lieben, verspro…«
»Lass mich mal eines klarstellen: Ich mag keine Katzen! Und bevor du fragst: Ich mag auch keine anderen Haustiere! Sie machen Dreck, sind im Weg, verteilen überall ihr Zeug, sie stinken und haaren, machen nur Arbeit und kosten Geld! Geld, das du nicht hast, übrigens! Wenn ich dich mal an die Haushaltsliste erinnern darf.«
»Aber Jojo …«, begann Rob erneut, doch ich schnaubte nur. Verwirrenderweise ließ er sich nicht beirren. »Das wird schon irgendwie. Vielleicht fange ich doch mal an zu jobben. Ich mach auch sauber, wegen mir dreimal die Woche. Und ich werd mich auch gut um sie kümmern.«
»Du kannst dich nicht mal um dich selber kümmern, Rob!«
»Ach, jetzt sei doch nicht so!« Rob setzte mal wieder seine Steine-zum-Heulen-bringen-Miene auf. »Du hast sie ja noch nicht einmal richtig begrüßt! Geschweige denn angeschaut! Du wirst sie lieben, glaub mir. Frieda ist ganz bezaubernd, nur noch ein bisschen schüchtern. Gib ihr doch erst mal eine Chance!«
Und leiser fügte er an: »Und mir auch.«
Ich fuhr mir durchs Haar und stieß das missbilligendste Geräusch aus, das ich zustande brachte. Für eine Sekunde spielte ich mit dem Gedanken, ob es möglich war, das alles inklusive Katze zurückzugeben und so zu tun, als wäre nichts passiert. Aber dann hatte ich vermutlich nicht nur für den Rest des Jahres Robs Steine-zum-Heulen-bringen-Miene vor der Nase, sondern für immer. Sah ganz so aus, als wäre es Zeit für mich, mich in mein Schicksal zu fügen. Ich seufzte ergeben.
»Gib mal her.«
Ich nahm Rob das stinkende Bröckchen mit dieser halb festen, halb weichen Konsistenz ab, mit dem er die ganze Zeit nervös gespielt hatte, ließ mich in die Hocke gleiten und streckte die Hand in Richtung Katze. Das Tier starrte mich an, Rob starrte mich an und ich entschloss mich, stoisch so lange auszuharren, bis irgendwer den ersten Schritt machte. Und wenn das ich selbst wäre, weil ich nach mehreren Minuten einen Krampf im Fuß bekam.
Entgegen meiner Erwartung – und offenbar auch entgegen Robs Erwartung, wenn man das plötzliche Einatmen seinerseits so interpretieren wollte – bewegte sich Mini-Frieda einen tapsigen Schritt auf mich zu. Wer weiß, vielleicht war der Gestank von diesem Leckerli für Katzen ja tatsächlich verführerisch. Die Katze streckte jedenfalls vorsichtig die Nase vor und schnupperte, glotzte mich an, glotzte Rob an, glotzte das Leckerli an und schien zu überlegen, ob ich ihr das Fell über die Ohren ziehen würde, wenn sie nur nahe genug an mich ran käme.
Ich zwang mich dazu, meine Körperhaltung von »superangespannt und genervt« in »entspannt und freundlich« zu transferieren. Angeblich spüren Tiere so was ja.
»Na, komm schon, Frieda«, sagte ich leise und war überrascht, wie sanft meine Stimme klang. Rob anscheinend auch – wieder so ein hastiges Einatmen neben mir. Was sollte das denn heißen? Hielt der mich etwa für einen Choleriker?
Bevor meine Gedanken sich in eine Wutspirale verabschiedeten, machte Frieda noch einen tapsigen Schritt. Und dann noch einen. Und noch einen. Dann spürte ich ganz langsam und vorsichtig zuerst Haare, dann kleine Zähne an meinen Fingerspitzen und nur einen Augenblick später war das Leckerli in der Katze verschwunden.
Sie starrte mich an.
Ich starrte sie an.
Rob reichte mir ein weiteres Leckerli.
Das Spiel wiederholte sich.
Noch ein Leckerli.
Und noch eins.
Unvermittelt bemerkte ich, wie meine Finger angefangen hatten, durch das unglaublich weiche, flauschige Fell an Friedas Hinterkopf zu gleiten.
Wie ich sie im Nacken kraulte.
Wie sie unbeholfen und ganz leise anfing zu schnurren.
Noch ein Leckerli.
Kraulen.
Geschlossene Katzenaugen.
Schnurrversuche.
Robs Finger, die sanft an meinen entlang streiften, während er Frieda ebenfalls am Kopf streichelte.
»Können wir sie behalten?«
Pause.
Streicheln.
Schnurren.
»Erst mal nur auf Probe. Und du leerst jeden Tag das Katzenklo.«
»Versprochen!«
Ich musste nicht den Kopf drehen, um zu wissen, dass Rob übers ganze Gesicht strahlte.
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Die Vorgeschichte von Jojo und Rob könnt ihr in »#cookforyourlove« nachlesen: https://belletristica.com/de/books/20331-cookforyourlove/chapter/84514-1-advent
Weitere Geschichten findet ihr in meinem Bücherregal »Jojo & Rob« – schaut doch mal rein! ^_^