Isla seufzte leise und fuhr sich mit einer Hand durch ihr langes, dunkelbraunes Haar. Ihre andere Hand ruhte reglos auf ihrem Schoss.
Ihre Bürste lag daneben und Isla griff danach, bemühte sich darum ihr Haar mit ihrer nicht dominanten Haar zur Basis eines Zopfes zusammenzuführen, was ihr aber nicht gelang.
Frustriert schnaufte sie und ließ die Bürste wieder in ihren Schoss fallen.
"Isla?"
Ellens Stimme klang besorgt, als sie zu ihr trat.
Isla blickte zu ihrer jüngeren Schwester hoch.
"Kann ich dir die Haare machen?", fragte Ellen sie sanft.
Alles in Isla schrie danach "Nein" zu sagen, dass sie das selbst konnte.
Das Problem war, dass sie es eben nicht konnte.
Nicht mehr.
Seit diesem dummen Unfall beim Reiten.
Isla erinnerte sich nur bruchstückhaft an den Tag.
Sie und Ellen waren mit Odin und Frigga im Gelände unterwegs gewesen. Sie hatten die beiden Tinker über einen Bachlauf springen lassen wollen, als Odin gescheut hatte.
Das nächste, woran Isla sich erinnerte waren Schmerzen und ohrenbetäubende Sirenen. Das bleiche Gesicht von Ellen.
Dann lange Zeit nichts.
Als sie schließlich wieder zu sich kam, waren da die typischen Krankenhausgerüche und -geräusche.
Träge hatte sie sich umgesehen.
Ihre Eltern saßen an ihrem Bett. Levi und Niilo, ihre fünfjährigen Zwillingsbrüder schliefen in ihren Armen.
Ellen lief vor dem Fenster auf und ab.
"Was … ist passiert?"
Die Worte waren kaum über ihre Lippen, da war Ellen auch schon an ihrer Seite und nach einem kurzen Blick zu ihren Eltern, füllte sie die Lücken in Islas Gedächtnis.
Wenig später war ein Arzt da und teilte ihrem damals 13jährigen Ich die Diagnose mit. Sie würde ihren rechten Arm vermutlich nie wieder bewegen können.
Zwei Jahre waren seitdem vergangen.
Zwei Jahre, während der die Zwillinge gewachsen waren.
Zwei Jahre, während der Ellen langsam zu einer jungen Dame geworden war.
Zwei Jahre, während der sich trotz aller Bemühungen nicht viel an Isla's Zustand geändert hatte. Ihr rechter Arm war noch immer gelähmt. Wenigstens war er nicht mehr taub wie zu Beginn. Das zählte wohl als Fortschritt.
Aber Isla wollte mehr.
Sie wollte nicht mehr hilflos sein und sie war endlich bereit die wichtigsten Schritte dafür zu gehen.
"Hilfst du mir mit dem Zopfgummi?", erwiderte sie schließlich statt "Nein" zu sagen.
Ellen lächelte und nickte.
Zusammen war der Pferdeschwanz schnell gebunden und Isla stand von der Bettkante auf.
Sie straffte sich und ging erhobenen Hauptes die Treppe hinunter und hinaus auf den Hof.
Dort stand er.
Ihr Odin.
Groß, majestätisch.
Ihr innig geliebter Rappe.
Zum ersten Mal seit zwei Jahren war er gesattelt worden.
Für einen Ausritt mit ihr.
Isla trat auf ihn zu und legte ihre Hand an seine Wange.
Odin schnaubte und rieb seine Wange an der ihren, um sie zu begrüßen.
Tränen liefen über Islas Wangen und sie ließ sich von ihrem Vater in den Sattel helfen.
Ellen war in der Zwischenzeit in Friggas Sattel gestiegen und einen Moment später ritten die Schwestern Seite an Seite vom Hof.
Odin wieder unter sich zu spüren war wunderbar.
Sie hatte sich seit dem Unfall nicht getraut mehr zu tun als aufzusitzen und sich von ihrem Vater über den Hof führen zu lassen. Immer ohne Sattel.
Aber sie wollte ihr Leben zurück und sie würde es sich zurückholen.