Die Sonne war schon unergegangen. Nur ein schwacher, roter Schimmer hinter den Baumwipfeln verriet noch, dass es nicht sehr spät sein konnte. Sie ließ ihren Blick vom Himmel, an dem sich schon die ersten Sterne zeigten, zum See schweifen, der wie ein schwarzer Spiegel vor ihr lag. Ein sanfter Windhauch fuhr durch die Blätter und kräuselte leicht die Wasseroberfläche. Kein Mond spiegelte sich auf ihr, denn es war Neumond. Dunkel war es hier, und unheimlich, denn sie war allein. Völlig allein.Zwar brannte neben ihr ein wärmendes Lagerfeuer, doch die Dunkelheit konnte es nicht vertreiben. Es war zu finster. Nicht so wie sonst. Sonst schien der Mond. Diesmal nicht einmal eine blasse Sichel. Aber warum ging sie nicht ins Haus? Dort würden ein prasselnder Kamin und ein gemütlicher Sessel auf sie warten. Das liebte sie doch. Nur ..., diesmal hielt sie irgendetwas hier. Ein innerer Drang, Wunsch, hier draußen in der Dunkelheit und Stille zu bleiben.
Plötzlich, ein Ruf. Der Ruf des Singschwans. Unheimlich schallte er über den See. Wunderschön war der Klang, aber er ließ ihr Herz zu Eis erstarren. zu viel Kälte und Macht war darin. Und zuviel Trauer und Wut ... Eine unerklärliche Traurigkeit erfüllte sie, und Zorn. Sie fühlte alles, was das Tier empfand. Einen unerträglichen Schmerz, der über Welten hinaus reichte. Mitleid machte sich in ihr breit. Sie spürte eine tiefe Verbindung zu diesem mächtigen aber auch unendlich traurigen Geschöpf.
Ein weiterer Ruf. Noch klagender als der erste. Aber auch eine schwache Hoffnung lag darin. Er rief sie. Und sie würde kommen. Ohne ein einziges Zögern sprang sie von den Felsen. Unter ihr war nur das tiefe, schwarze Wasser. Doch es machte ihr keine Angst. Sie war kein Mensch mehr. Nein. Mit diesem Wort breitete sie ihre schneeweißen Schwingen aus, glitt lautlos über den dunklen See. Sie war da.