Stichwort Mantel …
(Wirklich Fingerübungen – d.h. nicht korrigiert, sondern einfach so aus Freude losgeschrieben)
„Lydia das ist wirklich albern“, zische ich.
Und ist es auch.
„Was soll ich mit diesem dünnen Stoff anfangen?“
„Das ist doch der Vampirumhang, den ich dir bestellt habe!“, erklärt sie stolz.
Wie bitte?
„Für was habe ich meinen Mantel? Den nehmen wir! Das hier ist übrigens kein Vampirumhang, sondern ein Cape“, brumme ich verstimmt. „Ich stelle einen Vampir dar, nicht Superman.“
Meine Schwester verdreht entnervt die Augen. „Oh, Thomas, man merkt, dass du schon lange nicht mehr auf Fasching warst. Du kannst doch nicht ernsthaft den Mantel als Teil des Kostüms verwenden wollen?“
„Was hast du gegen ihn? Er sieht gut aus und ist…“
„Viel zu schade für einen Maskenball“, unterbricht sie mich sofort. Ja, Lydia nimmt mal wieder kein Blatt vor dem Mund. „Außerdem ist er viel zu schwer und würde dich beim Tanzen nur behindern.“
„Das las mal meine Sorge sein“, antworte ich zähneknirschend. Ich befürchte mittlerweile das schlimmste.
„Nein, bitte höre auf mich. So ein leichter Stoff ist viel praktischer. Du kannst dann theatralisch mit ihm durch die Luft fuchteln, so dass er sexy herumflattert, ehe du einer schönen Dame an die Gurgel gehst.“
„Haha!“ Heute bin ich auf ihren Humor nicht gut zu sprechen. „Ich wollte eigentlich ein wenig düster aussehen und nicht aussehen wie eine Comicfigur!“
„Wenn ich mich nicht irre, hast du diese ganzen Superheldenheftchen doch gelesen, oder? Glaub mir, das mit dem Cape ist die bessere Idee. Kommen wir doch zu den anderen Dingen. Was hälst du von dem Rest des Kostüms?“
Es ist wohl besser, das Thema fallenzulassen und es später auf meine Weise zu versuchen. Und das Hemd mit Jabot samt passender Weste gefallen mir optisch tatsächlich, es sieht alles sehr edel aus, auch wenn die Qualität natürlich zu wünschen übriglässt.
Bei der Perücke mit den lagen weißen, mit schwarzen Strähnen durchsetztes Haar, habe ich auch nichts entgegenzusetzen.
Grundsätzlich bin ich damit einverstanden, auf Faschingsartikel zurückzugreifen.
Nur mit dem Mantel, da bin ich eigen.
„Das ist in Ordnung.“
„Siehst du. Das wird sicher großartig. Keiner wird dich erkennen.“
Ich lächle sie nachsichtig an. „Natürlich wird es das nicht. Da mich außer dir keiner kennt.“
„Männer!“ Genervt zieht sie ihre Augenbrauen in die Höhe. Ich kommentiere es nicht weiter, da ich weiß, dass es nur gespielt ist und sie sehr wohl weiß, wie recht ich habe.
Ich sollte ihr dankbar sein, dass sie mir alle Utensilien besorgt hat. Ich selbst hatte die letzten Wochen einfach keinen Kopf hierzu.
„Dann treffen wir uns morgen?“
„Ja, gegen sechs Uhr abends.“
~~~~~
„Thomas, nun sei nicht so ungeduldig. Ich bin ja fast fertig“, erklärt Lydia mit leicht genervter Stimme.
Ich bin es auch. „Findest du nicht, dass du ein wenig übertreibst? Ich schwitze ja jetzt schon unter der Schminke!“
„Ein Vampir hat nun mal weiß auszusehen. Also halt still.“
„Na du musst es ja wissen!“ Sie übertreibt maßlos.
„Das ist doch der Sinn von Fasching. Du siehst ein wenig gruslig aus, aber jeder weiß, dass es nur von der Schminke kommt. So sind nun mal die Regeln!“
„Ja, Chefin“, grinse ich sie an, bevor ich ergeben die Augen schließe. Sie hat recht. Ich komme mir aber so hinter diesen Lagen von Farben und dem Kunstblut, was sie auch noch auftragen möchte, ein wenig albern vor, fürchte jedoch, dass sie mit ihrer Einschätzung recht hat.
Ich würde am liebsten alles absagen – aber ich möchte meine Schwester nicht enttäuschen. So lange ist es her, dass ich nicht mehr auf einer solchen Veranstaltung war und sie hatte schon immer eine große Freude daran, sich und andere zu verkleiden.
Nachdem sie endlich fertig ist, betrachtete ich mich neugierig im Spiegel. Mit den langen Haaren sehe ich tatsächlich wie ein anderer Mensch aus.
„Hallo Dracula“, flüstert sie mir ins Ohr. „Du bist perfekt – bis auf das Wichtigste!“
„Was meinst du damit?“, frage ich misstrauisch.
„Vampirzähne!“ Sie kann ihren triumphierenden Unterton nicht unterdrücken.
„Ich weiß, dass das dazugehört. Aber ich habe keine Lust, diese Plastikdinger in meinen Mund zu stecken. Davon abgesehen…“
„Sei kein Spielverderber!“ Sie zeigt mir eine kleine Plastiktüte, die genau das enthält, was ich befürchte. „Es ist kein ganzes Gebiss, nur vier Eckzähne zum Aufstecken. Und du brauchst es ja nicht die ganze Zeit zu tragen. Ich bin sicher, sie stören dich nicht sonderlich.“
„Dann gib her“, brumme ich statt einer direkten Antwort. Lange Diskussionen bringen hier nicht viel.
„Ich werde sie aber nicht schon während der Fahrt tragen.“
~~~~~
Endlich ist es soweit. Nach einer Stunde Fahrt erblicke ich die Parkplätze der Festhalle.
Wie gut, dass ich nicht trinke und mir daher keinen Kopf um den Rückweg machen muss.
Ich bin früh dran und habe daher noch ein wenig Zeit.
Dann kann ich mir besser in Ruhe einen Überblick verschaffen und mir einen guten Platz reservieren.
Lydia wird später kommen. Glücklicherweise.
Gut gelaunt steige ich aus meinem SUV.
Dieses alberne Cape lasse ich Auto.
Wofür habe ich schließlich meinen Mantel? Weshalb sollte ich mich an einem solchen Abend von ihm trennen? So habe ich wenigstens ein Kleidungsstück, welches mir vertraut ist.
Den Mantel, den ich auch sonst bei jeder Gelegenheit trage und den ich in zwei fast identischen Ausführungen besitze - mit dem einzigen Unterschied, dass die Wintervariante mit einem warmen Innenfutter ausgestattet ist.
Dieses Kleidungsstück ist so konstruiert, dass ich es so tragen kann, indem ich nur den oberen Mantelknopf schließe. So wirkt er tatsächlich fast auch wie ein Umhang.
Und wirkt so wesentlich düsterer als dieses alberne Cape, welches mir Lydia andrehen wollte.
Zufrieden nähere ich mich meinem Ziel. Den Mantel liegt angenehm auf meinen Schultern.
Als ich die Halle erblicke, fällt mir ein, dass ich die Zähne in meinem KFZ liegengelassen habe.
Nicht absichtlich, aber vermutlich wollte mir mein Unterbewusstsein diese Schmach ersparen. Meine Schwester ist da sehr pragmatisch, ich hatte aber schon eine Abneigung gegen diese Dinger, als sie sie mir das erste Mal zeigte.
Davon abgesehen, ist das sicher nicht gesund, dieses Plastik im Mund.
Lächelnd beschleunige ich meine Schritte. Umkehren kommt nicht in Frage. Davon abgesehen, habe ich eine viel einfachere Lösung für das Problem.
Spitze Zähne – sie müssen nicht besonders lang sein, ein wenig würde schon ausreichen, um die Verkleidung wirkungsvoll erscheinen zu lassen.
Es ist dunkel, und keiner blickt in meine Richtung.
Als ich wenig später am kleinen Tisch mit der Kasse ankomme, blicke ich dem jungen Mann freundlich entgegen.
„Einmal Eintritt bitte!“
Er ahnt nicht, dass die vier spitzen Eckzähne, die deutlich in meinem Mund zu sehen sind, keine aufgesetzten aus Plastik sind, sondern mir selbst gehören und ich sie täglich penibel putze, damit die Blutspuren nicht mein schönes Aussehen ruinieren.
Sie sind nun mal echt – genauso wie mein geliebter Mantel, der zu mir gehört und ohne den ich mich einfach nicht wohl in meiner Haut fühle ….