Prompt: Iᴄʜ ʙɪɴ ɴɪᴄʜᴛ ᴛʀᴀᴜʀɪɢ﹐ ɪᴄʜ ғᴜ̈ʜʟᴇ ɢᴀʀ ɴɪᴄʜᴛs. 28.2.2020 nachgeschrieben
Noch nie habe ich Opa in einem Anzug gesehen. Jetzt stehe ich mit Mama zu meiner Linken und Oma Lise zu meiner Rechten vor dem aufgebahrten Sarg und Blicke hinab auf Opa. Opa in einem Anzug. Opa sieht irgendwie nicht aus wie Opa. Er sieht so unecht aus. Unecht wie eine Puppe. Unecht wie diese Figuren aus dem Londoner Wachsfiguren Kabinett in dem ich letztes Jahr mit meinen Eltern war. Dieser merkwürdige Anzug tut sein Übriges. Oma meint. "Mein Kind. Du darfst traurig sein...lass die Tränen ruhig raus. Schäm dich nicht." Sie schnieft und tätschelt mir immer wieder die Hand. Dann holt sie eines dieser Stofftaschentücher aus ihrer Handtasche und putzt sich die Nase. Mama weint auch. Papa weint auch, obwohl Opa ihn gar nicht wirklich mochte. Mein kleiner Bruder Nino weint auch - obwohl er Opa gar nicht so lange kannte wie ich. Alle weinen sie. Alle sind traurig. Nur ich nicht. Ich stehe da und schaue auf den Wachsfiguren Opa in dem merkwürdigen Anzug hinunter.
Während der Beerdigung starre ich immer wieder das Kreuz an, das hinter dem Pfarrer steht. Ob Jesus auch einen Anzug getragen hat? Bei seiner Beerdigung?
Nach dem Gottesdienst gehen alle noch zum "Leichenschmaus".
"Du Mama?" Ich ziehe meiner Mama am Ärmel ihrer schwarzen Hosenanzugs. Alle sind heute schwarz gekleidet. Auch ich.
"Wieso heißt das Leichenschmaus? Essen wir jetzt Opa?" Mama verschluckt sich und muss mächtig husten.
"Wie kommst du denn auf die Idee?"
"Naja, Herr Maier der Bestatter hat erzählt, dass die Toten Leute Leichen heißen."
"Schätzchen. Zerbrich` dir darüber heute nicht deinen Kopf. Du musst sehr traurig sein wegen Opa. Weine ruhig."
Mama drückt mich und fängt gleich wieder an zu weinen. Ich stehe da und lasse die Umarmung über mich ergehen. Ihre heißen Tränen fließen über meine Haare und sickern in meine Kopfhaut ein.
Ich weine nicht. Ich weiß nicht mal, ob der Wachsopa im Anzug überhaupt mein Opa ist. Er sieht so anders aus. Ich bin nicht traurig. Ich bin nicht wütend. Der Fremde im Sarg - ich kenne ihn nicht. Ich fühle nichts. Gar nichts.