»Gabriel, hol mir mal die Drei von letzter Woche«, sagte der formlose Geist aus einer Materiewolke, bevor er eine Gestalt annahm, die an einen Engel ohne Flügel erinnerte.
Ich rollte mit den Augen und wusste, wen er meinte, auch wenn der Alte, wie er sich gerne bezeichnen ließ, wieder mal so unfassbar ungenau sagte, was er wollte, dass ich mir die Haare ausraufen mochte.
Ich brauchte nicht lange, um die Drei, von welchen er sprach, zu finden. Da war ein Cherubim, ein Seraphim und ein Throne, welche erst vor wenigen Tagen erschaffne wurden. Ich sah nichts Besonderes in ihnen. Sie waren kleine Zahnräder im großen Ganzen der Welt. Aber irgendetwas schien er dennoch in ihnen zu sehen, was ich nicht bemerken konnte. Ehrfürchtig traten sie zu ihm in den großen Saal, wo er all seine Schöpfungen zum Leben erweckte.
»Hier sind Sie, Herr. Aber was willst du mit so geringen Wesen?«, fragte ich etwas unsicher.
Er jedoch lächelte und meinte: »Ich habe etwas ganz Besonderes vor mit euch, meinen Kindern. Denn genauso wie jedes Tier dort unten im Garten, seid ihr Engel auch meine Kinder.«
Dabei deutete er auf sein neustes Projekt, welches er erst vor wenigen Tagen, es mögen vier oder fünf gewesen sein, begonnen hatte. Inzwischen war es das Thema unter uns Engeln. Er nannte es Erde und erschuf Leben, um es zu beobachten. Einiges davon, darunter einige wirklich fortschrittliche Affen, war ganz possierlich. Aber wirklich intelligent konnte man nichts davon nennen.
»Ich möchte euch Drei zu einer neuen Gattung von Tier machen. Ihr verkörpert die Tugenden und Aufgaben eurer Zünfte, wie kaum jemand aus euren Chören und ich glaube, das fehlt meinen Geschöpfen«, führte er weiter aus.
»Was soll das heißen, oh Herr?«, fragte der Cherub und schaute unsicher durch eine Schicht flauschigem, kondensierten Wassers herunter und beobachtete dabei, wie ein Affe den anderen nieder rang, wegschleppte von seiner Familie und nicht gerade einvernehmlich sich mit ihm fortpflanzte.
Schockiert schaute auch der Seraph hinab und beschaute das Schauspiel, als unser Vater meinte: »Na das habe ich nicht so vor mit euch. Zumindest nicht ganz. Ihr sollt euch und auch eben diesen Affen auf Augenhöhe begegnen und eine neue Spezies zeugen. Ich habe auch schon einen Namen dafür. Menschen sollt ihr euch nennen und die Könige dieser Welt sein. Aber dafür fehlt auch euch etwas. Doch das kann ich schnell korrigieren.«
Der bisher schweigsame Throne schüttelte den Kopf und meinte: »Na so geht das auch nicht. Sie haben keine nennbaren Krallen oder Hörner oder Zähne, um für sich zu Sorgen oder ihre Brut zu beschützen. Da fehlt noch ziemlich viel. Vielleicht würden auch unsere Flügel ihnen ganz gut stehen.«
»Eure Flügel werdet ihr aber nicht behalten. Ich werde sie umformen zu etwas, was ihr dort unten dringender brauchen werdet. Aber keine Furcht. Damit werdet ihr zu den Engeln, die mir am nächsten kommen«, ertönte er barsch und selbst ich als Erzengel erschrak.
»Aber Vater!, setzte ich an, wurde aber mit einer Handbewegung zum Schweigen gebracht.
»Ich hoffe, ihr seid einverstanden und wollt das auch tun. Denn wenn ihr das macht, gibt es vorläufig keinen Weg zurück zu uns in den Himmel. Aber nur für etwa 30 Sonnenzyklen. Vielleicht auch etwas mehr. Danach würdet ihr hier oben wieder willkommen sein.«
Artig wie Schafe nickten alle Drei, worauf der Alte seine Hände hob und ihre Körper veränderte. Als Erstes verschwanden die, wenn auch mickrigen Flügel. Danach veränderten sich die Proportionen. Die des Thrones wurden deutlich Sanduhrförmiger, während die anderen beiden Rundungen bekamen. Abgesehen davon, dass sie auch Körperteile entwickelten, die ein Engel im Normalfall nicht einmal hatte.
Erst danach holte der Schöpfer eine Schachtel hervor und drei blendende, weiße Lichtkugeln, welche sich in der Mitte des Bauches in die Körper der früheren Engel brannten und verschwanden.
Erst danach wandte sich unser Vater wieder an mich und meinte: »Gabriel, bitte bring sie an den Platz, an den sie jetzt gehören. Danach müssen wir alle Engel zusammentrommeln und sie sollen sich vor ihnen verneigen.«
»Vater, was soll das alles?«, fragte ich etwas irritiert und betrachtete die fast haarlosen und so gar nicht mehr himmlischen Wesen.
»Diese Menschen, mein lieber Sohn, werden die Erde von mir erben. Ich bin nach sechst Tagen der Schöpfung müde geworden. Ich setze mich zur Ruhe und ihr sollt über sie wachen und sie studieren. Ihre Entwicklung.«
Kurz schaute ich verwirrt und mit einem Fingerschnippen teleportierte ich sie unwissenden Geschöpfe in einen besonders idyllischen Teil ihrer Welt, bevor ich meinte: »Aber warum?«
»Sie besitzen meine neuste Erfindung. Ich nenne sie Seelen. Sie geben ihnen eine Kraft, die ihr Engel nicht kennt. Etwas, was auch ich besitze und sie entsprechend mir gleich macht.
Ich kann dir sogar die nächsten Geschehnisse vorher sagen. Der Cherub wird ab nun Lilith genannt. Sie wird ihren eigenen Weg gehen, Forschergeist entwickeln und herumexperimentieren, was sie erschaffen kann. Aber sich nicht, wie der Seraph, den wir Eva nennen wollen, zu meiner Aufgabe herablassen. Was auch gut so ist.
Eva, wird sich streng daran halten, dass ich sie zur Urmutter einer neuen Spezies machen will und der doch wilde Throne einfach alles begatten, was er finden kann. So und nicht anders habe ich sie geschaffen. Alles danach lasse ich für euch in Unkenntnis.«
Darauf verstummte unser Vater für lange Zeit. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu tun, was mir aufgetragen wurde.
Ich verstand nicht, was das alles sollte. Wieso er das tat und was danach alles, noch unter seinen Augen mit meinen Brüdern passierte.
Natürlich wollte niemand diese Menschen anerkennen, auch wenn es fast alle widerwillig taten. Auch nicht dann, als lange Zeit später, Gott selbst einen Teil von sich auf die Erde schickte und als seinen Sohn bezeichnete. Wir waren so unwissend und blind für seine Schöpfung, die die Gabe, selbst zu erschaffen bekommen hatte.