»Was wollen wir denn im Schulgewächshaus?«, fragte Sven mich irritiert.
Manchmal war das Leben in einem Internat echt nicht schlecht. Wir hatten theoretisch Zugang zu allen möglichen Sachen. Ein gerade unverschämt gut ausgerüstetes IT-Labor, einen Schulgarten und alles mögliche andere. Wenn wir mal nicht lernten, dann gab es echt eine Menge Möglichkeiten sich auszuleben. Die einen waren in Clubs oder kreativ und dann waren da noch die, die den Schulgarten zweckentfremdeten.
»Stell dich nicht so an. Die Garten-AG ist nach fünf nie hier oben. Was will ich schon machen?«, flötete ich leise und zog ihn an der Hand mit mir mit.
Er blieb an der Gewächshaustür stehen und meinte: »Aber ich dachte du und Grace seid Freundinnen und sie geht mit mir.«
»Ach? Bist du auf einmal prüde geworden, weil du eine feste Freundin hast?«
Er schluckte deutlich und ich warf meine langen Haare in den Nacken, als ich die Tür zu unserem kleinen Garten Eden öffnete.
Es hätte nur noch Vogelgezwitscher gefehlt und dann wäre dieser Ort vollkommen gewesen. Wir hatten sogar richtige Exoten aus dem Regenwald hier. Aber die meisten Pflanzen entsprachen eher einem gemäßigten bis subtropischen Klima. Ich, als Vorsitzender der Gartenbau-AG, kannte mich richtig gut aus damit.
In einem hinteren Teil der Anlage, breitete ich eine Decke aus und setzte mich darauf, während ich eine ganz neue Welt der Blüten und Düfte beobachtete. Denn nach Einbruch der Dunkelheit war dieser Ort ganz anders, als er tagsüber war.
Sven war noch etwas unsicher, aber wie ich dort, so unschuldig auf der Decke saß, gesellte er sich zu mir und legte mir ungefragt die Hand auf den Oberschenkel. Es war bekannt, wie er tickte. Hübschen Mädchen konnte er nichts abschlagen.
Fast so zart wie die Blütenblätter eine Rose, legte ich kurz meine Lippen auf seine. Er verstand den Wink und ehe ich mich versah, lag er mehr auf, als neben mir und seine Hand schob sich bis zu meinem Slip nach oben.
Plötzlich ertastete er es und zuckte zusammen.
Schneller als erwartet war er einen Meter weit nach hinten geflüchtet und schaute mich an, als sei ich ein Monster. Ich richtete mich auf und meinte: »Was hast du denn? Stört dich etwa dieses kleine Detail?«
»Na klein ist das nicht. Du bist ein Kerl!«, spuckte er mir entgegen und versuchte noch einen Schritt zurückzuweichen.
Ich lachte auf und meinte: »Nicht wirklich. Ich bin ein Hermaphrodit. Also geboren mit beiden Anlagen und wurde nie operiert. Vor ein paar Jahren noch war ich an dieser Schule eingeschrieben als Leander. Dann begannen meine Brüste zu wachsen und irgendwann entschied ich mich, trotz meines Penises als Mädchen zu leben. Dazu gehörte auch mein neuer Name, Luna.«
»Du bist trotzdem ne verfluchte Schwuchtel«, brüllte er und wischte sich hektisch über den Mund.
»Diese engstirnige Haltung hasse ich an Menschen«, sagte ich und trat provokant noch einen Schritt näher, »Pflanzen sind da lockerer. Ich habe übrigens auch eine Vagina, wenn es dich interessiert. Ganz als wäre auch ich eine Pflanze, wurde ich mit beiden Anlagen gesegnet, wenn man es so nennen mag.«
Er schaut mich noch immer total fertig an, während ich meine Bluse zurechtzupfte und schließlich sagte: »Und wer hat denn hier mit mir rumgeknutscht und hätte noch mehr angestellt? Vielleicht verdrängst du nur was? Wer weiß. Vielleicht gefällt es dir ja sogar.«
Sven war fertig mit den Nerven und statt weiter weg von mir zu rutschen, stürmte er auf mich zu.
Ich trat einen halben Schritt beiseite und spürte, wie Ranken vorschnellten, als seien es Tentakel.
Was danach geschah, wollte ich nicht so genau sehen. Er war in die Fänge unserer Solanum tuberosum majetica geraten. Eine von uns gekreuzte Kartoffelsorte, die auch auf torfigen Böden besser gedeihen sollte. Nur irgendetwas war bei Audrey, wie wir diese Pflanze nannte, schief gelaufen. Sie stand auf Blut, ähnlich wie einige fleischfressende Pflanzen. Dies lebte sie zwar erst nach Einbruch der Dunkelheit aus, da tagsüber das Sonnenlicht sie genug nährte, aber gewisse Stoffe, konnten nur so ihrem einzigartigen Organismus zugeführt werden.
Schwerfällig fiel der leblose Körper von Sven neben mir ins Gras. Er war tot, wie ich erwartet hatte.
Hämisch lachte ich und dachte daran, was passiert war und als hätte dieser Gedanke ihn auf den Plan gerufen, kam Pascal aus dem Geräteschuppen hervor. Er trug einen Plastikbeutel mit einigen leeren Bierdosen, sowie Kondomen und leeren Verpackungen von einer der letzten Partys im Keller mit sich, welche er schweigend auf dem Boden verteilte.
Für ihn hatte ich es getan. Hänseleien und Mobbing gehörten auch zum Internatsleben. Pascal kannte mich noch, bevor ich zu Luna wurde. Es war komisch, wie das Leben so spielte. Er war schwul, was die meisten nicht juckte. Nur dieses homophobe Arschloch, das gerade zu Humus wurde. Als er letzte Woche Pascal auflauerte, splitternackt auszog und ihm auf die Stirn Schwuchtel schrieb, war mein Maß voll.
Diese Rache hatte er verdient. Und das auf so viele Arten.
Bedrückt sah mich Pascal an. Das Mondlicht drang durch die großen Fensterfronten ins Gewächshaus und er wirkte noch betrübter als zuvor.
»Er hätte nie aufgehört«, wisperte ich und drückte ihm einen freundschaftlichen Schmatzer auf den Mund.
Kurz schüttelte er den Kopf und meinte dann tonlos: »Was ist mit Grace?«
Ich konnte nur mit den Schultern zucken und den Kopf schütteln, bevor ich mich umdrehte und der Leiche die Hose bis in die Knöchel zog.
Danach gingen wir und ich sagte zu meiner Lieblingszüchtung: »Schlaf gut Audrey und knabber die Leiche nicht an.« Zurück blieb nur ein leises Blätterrascheln, als hätte sie mich verstanden.
Mit freundlichen Grüßen an die Besatzung der Odyseey und ihrer Tentakelkartoffeln.