»Schaahaatz! Sie haben es schon wieder getan!«, rief ich vom Sofa aus und kuschelte mich in meinem Lieblingsshirt in ein Kissen, während es Marcel war, der gerade in der Küche, das chinesische Essen vom Lieferdienst auf Teller und Schüsseln verteilte.
Ich liebte diese Abende, die wir damit verbrachten, schlechte Krimidokus zu schauen und uns durch die verschiedenen Lieferdienste der Region probierten.
Marcel kam zu mir herüber, balancierte dabei ein Tablett mit dem Essen und nachdem er sich gesetzt hatte, drückte er mir einen Kuss auf die Stirn.
»Reg dich nicht immer drüber auf. Pathologie und Rechtsmedizin sind in den meisten Fällen für den Normalsterblichen das Gleiche.«
Ich schmunzelte leicht und zog die Beine näher an meinen Körper unter der Decke, da ich mich nun an ihn lehnen konnte, als ich antwortete: »Aber es nervt mich so. Pathologen sind Gewebespezialisten, Rechtsmediziner untersuchen Leichen nach unnatürlichen Todesursachen. Das ist wie einen Apfel als Birne zu bezeichnen.«
»Was dir auch nur deshalb auffällt«, setzte er an und nahm sich einen Teller mit Gyoza und stecke mir eins in den Mund, »Weil du Bestatterin bist. Aber das liebe ich so an dir.«
Rasch kaute ich herunter und drückte ihm einen Kuss auf den Mund.
Unsere Beziehung lief nun seit etwa zwei Jahren. Auch wenn unser Treffen eher tragisch war. Sein Großvater war gestorben und ich war in dem Betrieb beschäftigt, in dem die Beerdigung geplant wurde. Er und seine Mutter waren die einzigen Verwandten und sie wirkte die ganze Zeit recht blass und kränklich.
Deshalb rutschte mir auch das Herz in die Hose, nachdem er einige Wochen nach der Beisetzung wieder bei uns aufschlug. Es war leider nicht selten, dass in einer Familie zwei Todesfälle kurz nacheinander passierten.
Aber in dem Fall, wollte er mich einfach sehen und ganz klassisch ausführen. Etwas, was mir wirklich schmeichelte. Es dauerte von da an etwas, bis wir zusammen kamen. Aber manchmal lief eben nicht alles ganz glatt.
»Also, Keks. Wie wäre es heute mal mit etwas ausgeflippten? Heute mal kein True Crime, sondern wir schauen uns einen Film an. Rein fiktiv und gruselig«, sagte Marcel und wedelte mit der Fernbedienung.
Nickend schnappte ich mir einen Teller und während wir uns ein, zum Abend passendes asiatisches Horror-Massaker ansahen, vertilgten wir alles vom Tisch.
Ich wusste, wieso ich vor unseren Dateabenden immer fastete. Aber es lohnte sich immer.
Am Ende, als das einfach nur groteske Monster gerade auf die Familie losgehen wollte, lagen da nur noch wir und die beiden Glückskekse, welche noch auf dem Tisch warteten. Ich schnappte sie mir, hielt beide hinter dem Rücken und meinte: »Such du aus. Rechts oder links.«
Marcel schmunzelte und antwortete: »Rechts für dich, links für mich.«Nickend reichte ich seinen Keks und fitzelte die Folie ab, während ich meinte: »Wieso können Chinesen eigentlich keinen guten Nachtisch, sondern reichen immer diese Glückskekse, die irgendwie nach nichts schmecken?«
»Sie können schon leckere Nachtische. Nur unser chinesischer Lieferdienst kann das nicht. Erinnerst du dich noch an die Sesambällchen? Total ekelhaft. Aber wenn du noch Appetit hast, da liegt Pfefferminzeis im Tiefkühlfach«, meinte er und wartete darauf, dass ich meinen Keks öffnete und wie immer ihm das bröselige Backwerk gab.
Ich entfaltete den Keks und lachte, weil ich schon das dritte Mal in Folge, den gleichen Spruch hatte.
»Eine freudige Überraschung erwartet Sie! Glaubt ihr doch selbst nicht. Was steht in deinem drin?«
Doch statt ihn selbst zu öffnen, gab er ihn mir und meinte: »Versuch mal den. Vielleicht prophezeit der dir mal etwas anderes.«
Ich knackte den Keks und erschrak, bevor ich ungläubig zu ihm sah. Er lächelte ahnungsvoll und zog mir den silberfarbenen Ring aus den Fingern: »Ich warte nicht noch mal und lasse den hier ein weiteres Mal einbacken, nur, dass du endlich den richtigen Keks erwischst. Dreimal ist eindeutig genug, um dich zu Bitten meine Frau zu werden.«
Überschwänglich küsste ich ihn und fühlte mich, während gerade der Abspann lief, wie im siebten Himmel.
Das war vor drei Jahren.
Alles heute Abend erinnerte mich an diesen Tag. Das chinesische Essen, welches ich mir hatte kommen lassen. Das trashige amerikanische Remake des Films von damals und natürlich der Ring, der heute noch immer an meiner Hand steckte.
Nur Marcel war nicht hier. Nicht, nachdem wir anfingen zu streiten. Meine Fehlgeburt, keine sechs Monate nach unserer Verlobung, ließ uns spüren, dass wir eine Familie sein wollten. Die darauffolgenden Versuche ein Kind zu bekommen waren fruchtlos. Das zerstörte unsere Liebe und noch bevor wir heiraten konnten, zerbrach etwas zwischen uns. Wir waren verliebt und glücklich und dennoch einsam.
Nun war ich allein einsam.