Prompt: Ostereier (08.04.2020)
Start: 18:07 Uhr
Ende: 18:52 Uhr
"Puh! Was riecht hier denn so nach Essig?"
Sarah kam gerade von der Schule nach Hause.
Etwas angewidert zog sie die Nase in Falten.
Achso ja, es war wieder soweit. Ostereier färben.
Wie erwartet fand sie auf dem Esstisch die sechs Schüsseln mit den Farben in Essigwasser aufgelöst vor.
'Urgh, wie ich diesen Geruch hasse.' dachte sie, sagte aber nichts.
Was hätte sie auch sagen sollen. Hätte eh nichts geändert.
Die Eier mussten nunmal bunt werden und basta.
"Hallo Sarah, wie war die Schule?" Ihre Mutter brachte die ersten 6 gekochten Eier aus der Küche.
"Lars! Komm runter, es geht los! Deine Schwester ist auch schon da!"
Mit polternden Schritten stürmte Lars, 5 Jahre, die Treppe hinunter, rutschte mit den Socken fast auf den glatten Stufen aus und stampfte trampelnd in seiner lauten Art zum Küchentisch.
"Mama, ich will die Blau und die Grün!"
Nerviger kleiner Bruder. Sarah konnte ihn nicht leiden.
Er war ihr zu laut und zu ungestüm.
Und auch viel zu egoistisch. Immer hieß es nur "Ich will, ich will, ich will."
Sie schmiss ihre Schultasche in die Ecke, ging Hände waschen und setzte sich artig hinter die Schüsseln mit Gelb und Rot.
Wie jedes Jahr.
Ihre Mutter hatte Orange und Lila.
Kaum waren die ersten 6 Eier gefärbt und auf die mit Zeitungspapier unterlegten Ofengitter verteilt, schrie der schrille Wasserkocher auch schon zum zweiten Mal.
Sarah hasste das Geräusch. Es tat ihr in den Ohren weh.
Aber sie sagte nichts. Nur ihre Laune wurde immer schlechter.
Und Kopfweh bekam sie auch.
"Wie war denn nun die Schule?" Fragte Mama nochmal nach.
Aber im selben Moment fing Lars an mit der Schüssel zu kippeln in der die blaue Farbe war.
"Nicht, Lars! Du wirfst sie noch um, dann können wir keine blauen Eier mehr machen!" Schimpfte Mama.
'Dummer Lars.' Dachte Sarah.
'Aber Mama interessiert ja eh nicht, wie es mir wirklich geht.
Die will nur hören, das alles gut läuft.
Von der Strafarbeit bei Frau Mönke darf ich ihr auf jeden Fall nicht erzählen. Das gibt nur wieder Schimpfe.
Dass eigentlich Melanie diejenige war, die geschwätzt hat, glaubt sie mir sowieso nicht. Genauso wenig wie Frau Mönke.'
Sarah schwätzte nie.
Sie war ein ruhiges Mädchen, das viel lieber aufpassen und zuhören wollte, anstatt sich zu unterhalten.
Aber ausgerechnet in dem Moment, als sie zu Melanie gezischt hatte, das diese endlich leise sein solle, musste Frau Mönke herkucken.
Und schon war sie die Schuldige. Melanie hat nur gegrinst, die blöde Kuh.
Nach dem 5. schrillen Alarmton des Eierkochers waren endlich alle 30 Eier gefärbt.
"Kann ich jetzt auf mein Zimmer?" Fragte Sarah.
Sie hatte absolut keine Lust mehr.
Lars hatte es geschafft jedes Mal Theater zu machen, sobald Mama sich mit Sarah unterhalten wollte, also hatten sie es bald aufgegeben.
Außerdem hatte er angefangen alle Kinderreime und -lieder aufzusagen und zu singen, die ihm einfielen.
Sarah wäre beinahe wahnsinnig geworden.
Wie nervig konnte jemand nur sein.
Sie hasste Lars in diesem Moment aufrichtig.
Aber sie sagte wieder nichts.
Weil sie wusste, was ihre Mutter sagen würde:
"Sarah, du bist doch schon groß. Schau, du bist die große Schwester.
Du verstehst doch bestimmt, dass Lars noch klein ist und einfach gerne spielt."
Ja ja. Lars, Lars, Lars. Immer Lars. Und was war mit ihr?
Sarah wollte so schnell wie möglich weg vom Küchentisch.
Weg von Lars.
Weg von Mama.
Sie war so traurig und wütend. Ihr war zum Heulen zumute.
Aber sie schluckte die Tränen tapfer hinunter, nahm ihre Schultasche und ging nach oben.
"Ich geh jetzt rauf, muss noch Hausaufgaben machen."
Murmelte sie gerade laut genug, damit ihre Mutter es verstand und verzog sich.
"Mami! Was is'n mit Sarah los? Is die vielleicht doof?"
Lars stand auf dem Stuhl anstatt zu sitzen und kippelte ihn gefährlich hin und her.
"Lass das bitte, Lars. Wenn du umfällst...!" Tadelte ihn Mama.
"Nein. Sarah ist nicht doof. Komm, hilf mir lieber sauber machen.
Hier, nimm eine von den Schüsseln, aber pass auf, dass du sie nicht verschüttest!"
*Klirr* lag schon die erste Schüssel am Boden.
Mama drehte sich um und sah Lars wütend an:
"Ja sag mal hörst du mir nicht zu! Ich hab doch gesagt pass auf!"
Lars begann zu weinen und zu plärren.
Mama holte energisch einen Lappen, Besen und Kehrschaufel und begann zu putzen.
Sarah, die die Tür aufgemacht hatte, als sie das Klirren hörte, kam wieder runter.
"Mama, was ist denn passiert?"
"Nichts. Lars hat eine Schüssel runter geworfen."
Lars stand noch immer da und schniefte und schluchzte.
"Komm mit, Lars. Ich hab ein schönes Malbuch von Tante Winnie bekommen und ein paar Buntstifte dazu. Da kannst du malen."
Mit einem unsicheren Blick auf Mama, die nicht reagierte, lief Lars die Treppe rauf.
Sarah ging im nach und gab ihm die versprochenen Sachen.
Sie strich ihm über den Kopf und sagte:
"Mama meint das nicht so. Sie ist nicht böse auf dich.
Sie hat viel Stress, weil sie arbeiten und Haushalt machen muss.
Es ist nicht deine Schuld. Ok?"
Noch sehr zaghaft, aber nicht mehr ganz so aufgelöst, nickte der kleine Mann und griff schließlich beherzt zu den Malstiften.
Sarah lief derweil die Treppe wieder runter und half ihrer Mutter, ohne ein Wort zu sagen.
Sie räumte die restlichen Schüsseln ab, spülte sie, verräumte sie im Küchenschrank und packte die schon getrockneten Eier in die Pappschachteln zurück.
Noch immer wortlos verschwand sie wieder in ihrem Zimmer, wo noch immer Lars beim Malen am Boden saß.
Es tat ihr zwar in der Seele weh, wie er mit seinem Fuxikraxi all die schönen Bilder verschandelte, aber wenigstens war er ruhig.
Nur ab und an schniefte er noch ein bisschen.
Vermutlich weil er sich an das Schreien von Mama erinnerte.
Sarah machte Matheaufgaben.
Die machte sie immer zuerst, weil sie Mathe hasste und es so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte.
Dann Deutsch und schließlich Englisch. Ihr Lieblingsfach.
Lange brauchte sie für die Hausaufgaben nie. Dafür waren sie zu leicht.
Also nahm sie meistens eines ihrer geliebten Bücher und las stundenlang darin oder schrieb in ihr Tagebuch. Natürlich in Geheimschrift, die nur sie selber lesen konnte.
Und am Ende von fast jedem Eintrag schrieb sie denselben Satz:
Aber eines Tages, das schwör ich dir, liebes Tagebuch, eines Tages, da lauf ich einfach weg und dann sehen sie schon, was sie davon haben.