Fingerübungen – Disziplin
Die ist ein Betrag zur gleichnamigen Challenge.
„Sie haben mich verstanden, Herr Tersen?“
Wie oft möchte er mich eigentlich noch fragen?
Da ich jedoch auf ihn angewiesen bin, unterdrücke ich eine genervte Antwort und setze stattdessen eine freundliche Miene auf. „Ja, natürlich, Herr Doktor.“
„Gut! Disziplin ist das Wichtigste! Leute, die das nicht können, haben hier nämlich nichts zu suchen.“
Er lächelt mich freundlich an.
Ist es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, das ich an ihm selbst keine Augmentierung entdecken kann? Oder sind seine nur nicht sichtbar?
Ich komme jedoch nicht weiter dazu, mir darüber Gedanken zu machen, denn Dr. Peters fährt mit seiner Rede fort:
„Gesunde Ernährung, viel Gemüse und nur wenig Fett. Dazu viel Bewegung. Ihr Körper muss in bester Verfassung sein, wenn wir mit der Behandlung beginnen.“
Ich nicke und zwinge mich weiterhin, höflich zu bleiben. „Ich werde mich natürlich daran halten.“
„Das erwarte ich von Ihnen. Schließlich sind die Medikamente nicht ohne, die sie vorab nehmen müssen. Wenn Sie für einen fitten Organismus sorgen, arbeiten wir Hand in Hand. Ansonsten geht das in die Hose.“
„Ich werde diszipliniert sein, Herr Peters.“ Bewusst wähle ich meinen Satz – Disziplin gehört offensichtlich zu seiner Lieblingstugend.
Worauf habe ich mich da nur eingelassen?
Ein wenig mulmig ist mir schon bei der ganzen Sache. War es ein Fehler, zuzustimmen?
„Sehr schön. Und wie ich Ihnen sagte, benötigen wir diese Chemie nur vor der Behandlung. Sind Ihre Augmentierungen erst einmal platziert, brauchen wir nichts mehr zu befürchten.“
Ich verstehe leider zu wenig von der Sache. Schließlich bin ich kein Mediziner. Es ist seltsam, dass es dauerhaft keine Abstoßungsreaktionen meines Körpers geben soll, nur weil ich vorher diese Pillen einnehme.
Ich hoffe einfach, mein Arzt weiß, was er tut.
„Es wird Zeit, dass ich Sie etwas rumführe. Sie sollten ja wissen, was in einigen Wochen auf Sie zukommt. Und den Rundgang durch unser Labor können Sie gleich zu Ihrem täglichen Schrittekontigent dazuzählen.“
Wie recht er hat! Alles wird ja durch meine Fitnessuhr festgehalten.
Kaum zu glauben, dass es Zeiten gab, in denen ich diese Spione freiwillig getragen habe. Aber als zukünftiger Augmentierter habe ich eine entsprechende Erklärung unterschreiben müssen.
Natürlich gilt dies nicht für die Superreichen, die können sich durch eine Art Kaution davon freikaufen. Nur leider gehöre ich nicht dazu.
Ich möchte lieber nicht darüber nachdenken. Daher bedanke ich mich artig für diese Gelegenheit, bevor ich brav hinter Herrn Peters hinterherlaufe.
Wie ein dressierter Hund.
Nein, diese Gedanken sind absurd.
Der gute Mann hat recht – ich muss disziplinierter werden.
Diese vielen Gänge, durch die er mich führt, sind verwirrend. Mal rechts, mal links, und alles in einem getünchten Weiß. Fast ein wenig unheimlich.
Nun geht es auch noch eine Treppe hinauf. Was letztlich auch keine Rolle spielt, ich habe schon lange die Orientierung verloren.
Wieder laufen wir an vielen Türen vorbei. Sie sind durch leuchtende Displays bezeichnet: OP II/2.3, OP II/2.354...
Weshalb kann man sie nicht einfach durchnummerieren mit 1, 2, 3 usw.? Dient das der Verschleierung?
„Hier, Herr Terson, dieser Raum ist für Sie reserviert. Lassen Sie sich nicht täuschen, es fehlen einige Dinge, aber wir haben erst vor Kurzem frisch gestrichen!“
Zögernd trete ich hinter ihm ein. Das ist kein Raum, eher ein Saal.
Ich kann nicht nur einen, sondern sogar drei Operationstische entdecken. Dazu mehrere Computer mit Monitoren, Kabel und Platinen, verschlossene Schränke und große metallene Kisten, die mit diversen Schachteln gefüllt sind. Auf den Regalen entdecke ich mehrere Desinfektionssprays, neben Einmaltüchern und Handschuhen. Die Hängeschränke sind mit mir unbekannten Bezeichnungen beschriftet – es handelt sich hier wohl um medizinische Fachbegriffe.
Provisorium oder nicht, leer ist es hier nicht gerade.
Der Doktor ist voll in seinem Element. Man erkennt, das ist sein Zuhause.
Während er sich zufrieden die Hände reibt, fährt er fort: „Wir werden mit drei Bereichen bei Ihnen anfangen: Zunächst implantieren wir den Chip ins Gehirn. Er ist kompatibel mit zukünftigen Erweiterungen und besitzt ausreichend Speicher. Perfekt mit Ihren Gehirnsynapsen verbunden, können Sie mithilfe Ihrer Gedanken problemlos auf jede Verbesserung zugreifen!“
Möchte ich das wirklich? Und wer sagt mir, dass es tatsächlich auf diesen Aspekt begrenzt sein wird?
Bevor ich Einwände einbringen kann, fährt er auch schon fort: „Hier benötigen Sie ebenfalls einige Disziplin und konstantes Training, aber ich schätze, nach einem halben Jahr haben Sie sich an alles gewöhnt und können es sich gar nicht mehr anders vorstellen. Sie werden es nicht mehr missen wollen. Neben der verbesserten Sicht haben Sie ein Radar, welches Ihnen auch bei Nacht Hindernisse mithilfe akustischer Signale erkennen lässt. Nicht zu vergessen die verbesserten Beine und Arme.“
Ich schlucke. Sie werden mir bei den Gliedmaßen Teile meines natürlichen Gewebes entfernen und stattdessen Platten einbauen - so habe ich mehr Kraft. Dies wird zunächst nicht sichtbar sein. Wenn mein Körper es gut annimmt, wird dieser Umbau jedoch weitergehen.
Ich werde mehr und mehr zum Cyborg.
Es ist es nicht wert. Nein, nur um eine Ausbildung bei der Polizei zu beginnen, ist es unverhältnismäßig, sich dieser Prozedur zu unterziehen.
Aber ich habe zugesagt. Nicht umsonst habe ich die Aufnahmeprüfung mit Bravour bestanden. Natürlich war ich einverstanden damit, mich chirurgisch verbessern zu lassen. Zahlt ja mein zukünftiger Arbeitgeber.
Wie schon gesagt, für eine Ausbildung im öffentlichen Dienst, der ansonsten lausig bezahlt sein wird, absolut schwachsinnig.
Aber ich habe auch andere Gründe, mich augmentieren zu lassen. Mir leisten könnte ich es mir jedenfalls nicht.
Nein, ich habe mich genau deshalb für diese Ausbildung entschieden.
Bei allem Zweifel, ob die Entscheidung richtig ist – meine einzige Motivation ist es, gratis an diese körperlichen Verbesserungen ranzukommen.
Ich werde alles tun, was man von mir verlangt. Gehorsam und Disziplin zeigen.
Und wenn sie mit ihrer Behandlung fertig sind, nehme ich diese Fitnessuhr ab. Und zeige ihnen, wer hinter der Maske des netten Herrn Tersen steckt.