Das hier ist mein Beitrag zur Monatschallenge Mai 2020
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„Tja“, sagt das Blatt Papier, „ich finde, du musst ja nicht immer was ganz besonderes schreiben.“
„Ach“, meint der Stift, „findest du nicht?“
„Nein“, meint das Papier. „Weißt du, du versuchst immer, das ganz besondere zu schreiben, das was deine Geschichten von allen anderen unterscheidet. Und dabei hast du dann manchmal die abstrusesten Ideen.“
„Mmmpf“, knurrt der Stift.
„Und manchmal“, sagt das Papier, „hast du gar keine. Weil du eben nach dem sooo besonderen suchst. Dass dir das, was dir vor deiner Nase liegt, schon gar nicht mehr auffällt.“
„Ach“, sagt der Stift genervt, „und was meinst du damit? Soll ich meinen Protagonisten vielleicht in der Nase popeln lassen?!“
„Nein“, raschelt das Papier verärgert. „Das nun nicht gerade. Aber … du könntest doch einfach mal darüber schreiben, wie er, sagen wir, frühstückt.“
„Frühstückt?!“ Könnte ein Stift drein schauen, wie die Kuh wenn’s donnert, dann würde er es jetzt tun.
„Klar“, sagt das Papier. „Wieso nicht?“
„Mmh“, sagt der Stift. „Kann’s ja mal versuchen“
Und er legt los.
* * *
Frühstücken ist für mich der beste Moment des Tages.
Wenn ich abends ins Bett gehe, ist es meistens spät. Und ich hab keine Lust dazu. Möchte lieber weiter zocken. Oder lesen. Oder ne Serie bingen…
Na jedenfalls ruft das Bett abends nicht. Meist.
Und wenn ich mich dann hineinkuschele, denn denke ich ans Frühstück. Freue mich darauf. Und dann ist das Bett ne feine Sache. Weil, wenn ich aufstehe gibt’s Frühstück.
Kaffee vor allem.
Kaffee ist mein Lebenselixier. In der Küche steht diese tolle Maschine, die für jede Tasse einzeln den Kaffee frisch malt und sie dann frisch aufbrüht.
Ich liebe das.
Allein der Duft. Und dann der herrliche, bitterere Geschmack.
Am liebsten pur. Milch oder Zucker versauen das nur.
Tja, und dann mein Frühstück.
Also mein Lieblingsfrühstück sieht derzeit so aus. Zuerst brauche ich eine Scheibe von diesem Kastengraubrot, dass mein Mann immer beim Bäcker um die Ecke kauft. Und die wird dann im Toaster geröstet, auf höchster Stufe.
Klar, Brötchen, Weißbrot, Croissants - alles ne feine Sache und ich würde nichts davon ablehnen, wenn man es mir anböte. Aber eigentlich geht nichts über dieses Brot.
Und dann Eier dazu. Um genau zu sein zwei Spiegeleier.
Dafür wird die Pfanne richtig heiß gemacht, auf höchster Stufe.
Und wenn dann das Fett nicht mehr blubbert, also richtig heiß ist, kommen die Eier rein. Und dann werden sie unten knusprig, aber das Eigelb bleibt flüssig. Und dann ab auf den Teller damit.
Zuerst esse ich das Eiweiß. Also das schneide es rundherum weg und verspeise es.
Dann kommt das Eigelb. Dazu breche ich das Brot in Stücke, piekse es auf ne Gabel und tunke es in das Eigelb. Das dann dickflüssig herunter tropft, Himmel, wie oft hab ich mir damit schon die Klamotten eingesaut.
Aber so schmeckt es einfach am besten.
Und immer wieder nen Schluck Kaffee dazu.
Manchmal, da tunke ich nicht mit dem Brot in das Ei.
Da nehme ich diesen gelben Spiegel, noch ganz und heile, vorsichtig auf die Gabel und schiebe ihn so wie er ist in den Mund.
Und dort beiße ich darauf und genieße, wie die warme, klebrige Flüssigkeit über meine Zunge läuft…
Ja, ich weiß. Seltsam, ne? Aber jeder mag eben, was er mag, und mir schmeckt das eben. Also lebt damit, ja?
* * *
„Na, das ist doch schon mal ganz hübsch“, sagt das Papier.
„Hübsch“, schnaubt der Stift.
„Na ja, da sieht man mal, was man aus nem einfachen Frühstück alles machen kann“, sagt das Papier.
„Mag ja sein“, sagt der Stift. „Aber was jetzt?“
Leise raschelt das Papier ein wenig ratlos vor sich hin.
„Nun, du könntest …“, setzt das Papier an, aber der Stift unterbricht es.
„Ne, lass mal. Ein paar Ideen muss ich auch noch selber finden. Ist ja immerhin mein Graphit, was die Geschichte auf dir in Worte fasst.“
„Also mir gefällt dein Graphit“, sagt das Papier, und wenn Papier erröten könnte, würde es das jetzt tun. So aber bleibt es eben weiß.
Der Stift knirscht ein bisschen.
„Ich … werde dann mal versuchen, zu schreiben, was meinem Protagonisten noch weiterhin so durch den Kopf geht.“
„Gut“, sagt das Papier. „Ich halt auch ganz still.“
Und das tut es dann auch.
* * *
Ist es nicht traurig, wenn das sinnlichste, was man an einem Tag zu erwarten hat, das Gefühl von weichem Eigelb im Munde ist?
Und das, obwohl man verheiratet ist?
Na ja, vielleicht gerade weil …
In jedem alten Tatortkrimi, in jedem alten Fernsehdrama ist es ganz normal, dass ein Paar, das, sagen wir, schon zwanzig Jahre verheiratet ist, sich nicht mehr liebt. Man nervt sich, hat Geliebte (Drama) oder bringt sich um. Oder den Geliebten. (Tatort.)
Ich hatte immer gehofft, das müsste nicht so sein. Aber momentan bin ich mir da nicht sicher.
Wir sind noch nicht so lange verheiratet, wie denn auch, die gleichgeschlechtliche Ehe gibt es ja noch nicht lange in diesem Land. Also gibt es auch Max und Stefan Müller noch nicht so lange. Aber zusammen sind wir schon seit fast zehn Jahren.
Na ja das mit dem nicht mehr lieben ist Blödsinn.
Ich weiß, dass Max mich noch liebt. Ich ihn auch, im übrigen.
Es ist nur … Max ist so ein Hans Dampf in allen Gassen. Er ist überall dabei, setzt sich hierfür ein, engagiert sich dafür … also ich mag das ja an ihm. Er hat so ein großes Herz, und er ist so voller Leidenschaft, und wenn ihm eine Sache wichtig ist, dann kämpft er dafür und lässt sich durch nichts davon abbringen.
Ich hatte mir nur gewünscht, dass ich auch so eine Sache bin.
Max ist auf einer Kundgebung unterwegs. Wofür?
Keine Ahnung.
Vielleicht für die Rechte der LGBT+ Community?
Gegen Umweltverschmutzung?
Für bedingungsloses Grundeinkommen?
Gegen Massentierhaltung?
Wirklich, ich weiße es nicht, hab den Überblick verlieren.
Also nicht dass man mich falsch versteht. Das sind alles super wichtige Sachen, und ich stehe da an seiner Seite und setze mich auch dafür ein und so.
Aber so ab und zu mal wäre so ein bisschen altmodisches Familienleben zwischen Demo und Mahnwachen ganz nett.
Was solls, ich trinke mir erst mal nen Kaffee.
* * *
„Das ist jetzt aber traurig“, sagt das Papier.
„Na und?!“, motzt der Stift., „Muss ja nicht immer alles Friede - Freude - flache, in der Pfanne gebackene und regional unterschiedlich bezeichnete Eierspeise sein!“
Das Papier kichert. Nun, es raschelt, aber das soll halt ein Kichern sein.
„Na komm schon!“, sagt es. „Auch mit Graphit- Grau kann man Regenbogenfarben und Glitzer schaffen!“
„Hast recht“, sagte der Stift. Und beginnt erneut zu schreiben.
* * *
Max hat mir ne Nachricht getextet. Er ist auf der Demo am Rathaus. Für die Schließung des Örtlichen Freibades. Nein, sorry, dagegen. Wie gesagt, man verliert den Überblick.
Ich solle auch dorthin kommen. Er vermisst mich.
Ein bisschen bin ich muckelig und will nicht. Er hätte mir einfach mal heute Morgen Bescheid sagen können. Er hätte einfach bei mir bleiben können. Er hätte mich gleich heute Morgen … nein besser nicht, er ist los, als ich noch schlief, und er weiß, dass man mich nicht weckt, bevor ich nicht unbedingt aufstehen muss, wenn einem das Leben und die körperliche Unversehrtheit lieb sind.
Nichtsdestotrotz. Er hätte einfach mal für mich da sein können.
Kumpels haben mich zu nem Ausflug eingeladen.
Ne Decke, ein paar Bier, ab aufs Fahrrad und in den Park. Später paar Würste auf den Grill.
Tja, also, was nun?
Demo oder Park?
Gemeindepolitisches Engagement oder ein einfacher Ausflug?
Max oder die Kumpels?
* * *
„Na, was nun?“, sagt das Papier ungeduldig.
„Ich mach ja schon!“, sagt der Stift.
* * *
Ich hab mich für die Politik entscheiden. Für die Demo.
Na ja, genau genommen für Max.
Sorry Kumpels, aber mein Mann ist mir einfach der wichtigste.
Wir haben uns durchgesetzt, das Freibad wird erhalten bleiben. Tolle Sache, das.
Und Max war so happy.
Und dann hat er mich zum Essen ausgeführt. In dieses kleine Bistro, das ich so mag. In der Nähe des alten Stellwerkes. Die haben tolle Gerichte da. (Und man kann da auch prima frühstücken.)
Und beim Essen hat Max mir dann gesagt, dass wir in den Urlaub fahren werden.
Total spießig, auf die Hütte seiner Großeltern. Oben im Harz, mitten im Wald. Total einsam.
Spießig, mag sein, aber wunderbar.
Weil wir zwei Wochen nur für uns sein werden.
Nix mit Demos und Kundgebungen oder was auch immer.
Keine Handys. Ist eh kein Empfang da oben.
Einfach nur wir zwei.
Ganz ehrlich?
Der Tag hatte also doch noch mehr zu bieten als köstlich glitschiges Eigelb.
Scheiße, ja, ich liebe meinen Max.
Er ist nicht immer einfach, aber das bin ich sicher auch nicht.
Doch am Ende des Tages sind wir ein Paar. Ein fest mit einander verbundenes Paar. Das sich aus tiefstem Herzen liebt.
Heute Abend werde ich gerne ins Bett gehen. Mit Max. Und viel Zeit
Und dann, ja, dann freuen wir uns gemeinsam auf das Frühstück.
***
„Na siehste“, sagt das Papier. „Kannst es noch.“
„Gut geworden?“, fragt der Stift.
„Klar“, sagt das Papier.
„Na dann“, sagt der Stift. „Machen wir Feierabend. Bin müde.“
„Gute Nacht“, sagt das Papier.
„Gute Nacht“, sagt der Stift.
Und dann rollt er sanft auf das zufrieden knisternde Echt Bütten.
Und wenn Stifte und Papier in Wahrheit schlafen könnten, dann würden sie genau das jetzt tun.