Nervös strich sich Johanna über ihre Haare.
Sie war nervös.
Mehr als das.
Es war ein Risiko, das wusste sie. Wenn jemand herausfinden würde, dass sie…
‚Denk einfach nicht daran‘.
Johanna bildete sich normalerweise viel auf ihre Unabhängigkeit ein. Dass sie anders war. Sich nicht in die übliche Schablone der Angepasstheit pressen ließ.
Bevor es überhaupt „in“ geworden war, hatte sie sich bereits Tattoos stechen lassen. Nein, keine Ganzkörperbemalungen, diese gefielen ihr auch nicht. Aber sie liebte ihre Muster und die Darstellungen auf ihren Armen und Beinen. Sie hatte diese nicht, weil sie einfach hübsch – oder hässlich, dass sollte es ja auch geben – waren. Nein, jedes gestochene Motiv hatte eine ganz eigene Bedeutung.
Das keltische Muster um ihren rechten Oberarm – weil sie sich für die Kelten interessierte und alles darüber las, was sie finden konnte. Der Adler, da sie sich so sehr nach Freiheit sehnte. Der Anker, da sie das Meer liebte und am liebsten in einem Boot die Welt umsegelt hätte…
Und… und … und
Nun stand sie also vor dem Gebäude.
Warum, um alles in der Welt, tat sie das?
Sie brauchte das nicht.
Sie war doch glücklich, als Single. Man ersparte sich dadurch viel Stress, Streit und war frei und unabhängig.
Trotzdem hatte sie eine E-Mail an die Agentur geschrieben.
Die Anzeige – sie hatte sie spontan angesprochen.
Ein Pop-Up Werbefenster auf einer Website, und darauf reinzufallen, war peinlich genug.
Und nun stand sie nun doch vor dieser alten Villa.
Nach der Vorauszahlung – genauso blöd und dämlich - hatte man ihr diese Adresse gegeben.
Hier sollte der Typ auf sie warten, der angeblich perfekt zu ihr passen sollte.
Kaum zu glauben, oder?
Sie hatte sich natürlich entsprechend gestylt. Und auch geschminkt, was sie aber sonst selten tat. Sie war eher eine Anhängerin des Mottos, dass natürliche Schönheit wichtig war und ein Farbkasten daran nicht änderte.
Trotzdem stand sie nun da, in einem leichten langen orangenen Kleid, die langen Haare in einem lockeren Dutt verknotet.
Eindeutig ein Risiko, hier zu stehen. Sich einzugestehen, dass sie sich eben doch alleine fühlte.
Wieso hatte sie das nur getan? Diese Villa sah alles andere als bewohnt aus. Und es sah sehr danach aus, dass man sie einfach betrogen hatte. Ihr die Adresse eines verlassenen Gebäudes genannt hatte.
Unsicher ging sie auf die Villa zu. Das alte, verwitterte Gartentor klemmte zuerst, ließ sich dann aber doch mit einem Quietschen öffnen.
Langsam ging sie weiter. Der alte Weg war mit Laub bedeckt.
Glücklicherweise war der Weg bis zur Türe nicht weit.
Als sie diese jedoch erreicht hatte, sank ihr Mut noch weiter. Das Klingelschild war ohne Namen und die Plastikabdeckung gelb-trüb und an der linken Seite kaputt.
Trotzdem drückte sie den Knopf, wenn auch fast ohne Hoffnung. Da sie nun schon mal hier war…
Zu ihrer Überraschung hörte man doch tatsächlich den Klang einer Glocke ertönen.
Ein furchtbarer Ton.
Also wartete sie eben.
Nichts geschah.
Erneut klingelte sie.
Wieder keine Reaktion und sie wollte sich schon abwenden, als sie schwere Schritte hörte, die sich der Tür näherten.
Sollte wider Erwarten doch der Mann ihrer Träume in diesem Haus auf sie warten?
Gespannt wartete sie.
Langsam öffnete sich die Türe.
Das erste was sie sah, war ein schwarzer Anzug. Weiter trug der Mann ein weißes Hemd mit einer hellblauen Krawatte.
Dies war auch die Farbe seiner Augen, mit denen er sie wortlos musterte.
Verdammt! Sie hasste Anzugträger! Das hatte sie doch im Fragebogen extra unter ‚sonstiges‘ geschrieben.
Spießigkeit verachtete sie, es war für sie gleichbedeutend mit Langeweile.
Wenn sie auch zugeben musste, dass dieser Typ unverschämt gut aussah und ihm sein Outfit zweifelllos stand.
Allerdings sprach es nicht gerade für ihn, dass er sich für ihr erstes Treffen, dem „Blinddate“, so formal angezogen hatte. Oder wollte er etwa Eindruck schinden?
Da er sich nicht regte, schluckte sie mühsam ihren Kloß hinunter und streckte ihm ihre vor Aufregung feuchte Hand entgegen: „Hi. Ich bin Johanna .. oder ähh … also, du kannst mich auch Jo nennen. Und du bist Aiden, nicht wahr?“