Sonderlich erbaut war ich nicht, als der Chef mein neues Projekt vorstellte. Es handelte vom Mythos Neuschwabenland als letzten Rückzugsort deutscher Nationalsozialisten und ist ein Thema, welches dem verschwörungstheoretischen Sumpf jener Leute entstammt, die in ihrem Leben nicht genügend Zuneigung erhalten haben. Welcher vernünftig denkender Mensch gäbe auch nur zehn Cent auf Reichsflugscheiben, eine deutsche Atombombe, Vril, die hohle Erde oder eben Neuschwabenland?
So dachte ich. Nach einiger Zeit der Nachforschung jedoch stehe ich dem Thema aufgeschlossener gegenüber. Niemand war überraschter darüber als ich selbst!
Diesem heiklen Thema wollte ich unvoreingenommen entgegen treten und mich nicht durch Manipulationen von Fanatikern gleich welcher Seite beirren lassen. So stellte ich die Existenz einer geheimen Nazi-Basis in der Antarktis grundsätzlich nicht in Abrede. Vielmehr stellte ich mir die Frage, welche Dinge wohl benötigt wurden, um einen derartigen Stützpunkt zu errichten und zu betreiben und ob es wohl möglich war, diese abseits jeder Bürokratie bereit zu stellen.
Dafür ist es von Vorteil zu wissen, dass Neuschwabenland tatsächlich existiert. Es handelt sich um eine Küstenregion zwischen 10° West und 15° Ost in Ostantarktika. 1938/39 wurde das Gebiet von der Deutschen Antarktischen Expedition überflogen und photogrammetrisch aufgenommen. Bis in das Jahr 1942 hinein wurden detaillierte topographische Karten der bis dahin unbekannten eisfreien Gebirgsregionen erstellt. Von den etwa 11.600 Schrägluftbildern wurden nach offiziellen Angaben nur 1.100 in den 1980er Jahren wieder entdeckt, der Rest bleibt verschollen und gilt als im Krieg verloren gegangen.
Selbstverständlich kann ein verborgener Stützpunkt so fern der Heimat nur in aller Heimlichkeit errichtet und betrieben werden. Es bedarf einer Flotte von Transportschiffen und Versorgern, deren Existenz zu keinem Zeitpunkt nachvollzogen werden darf. Angesichts zurück zu legender Entfernungen, der Fülle zu transportierenden Materials und alliierter Dominanz auf den Weltmeeren bleibt von allen Möglichkeiten allein der Einsatz von U-Booten. Deren Konstruktion, Bau, Einsatz und Verbleib ist hervorragend dokumentiert. So lässt sich keines von der Kriegsmarine übernommenes und in Dienst gestelltes U-Boot mit einer Mission in die Antarktis in Verbindung bringen.
Weitaus lückenhafter jedoch ist der Verbleib von Booten, die in fortgeschrittenen Baustadien vom Auftraggeber storniert oder durch erlittene Beschädigungen unterschiedlichen Schweregrades nicht abgenommen wurden. Es finden sich zahlreiche Boote der Typen VII, IX, XIV und XXI, deren Geschichte mit dem Stapellauf bzw. Ausrüstung abrupt und ohne Hinweise auf eine mögliche Weiterverwendung oder Verschrottung endet.
Dem gegenüber scheint es verhältnismäßig leicht gewesen zu sein, neben Maschinen, Werkzeugen und Ressourcen genügend Menschen zu rekrutieren, die bereit waren, ihr gewohntes Leben gegen ein entbehrungsreiches im Ewigen Eis zu tauschen. Um soziale Kontakte ganzer Familienverbände von einem Tag auf den anderen und für immer zu kappen, sind einschneidende Ereignisse notwendig, von denen es in Kriegszeiten keinen Mangel gibt. Luftangriffe, Evakuierungen und Kampfhandlungen bieten sich als Begründungen geradezu an. So basieren heute anerkannte Opferzahlen des Bombenkrieges auf den Schätzungen damaliger Behörden und ein sehr hoher Prozentsatz bleibt für immer namenlos.
Obgleich es nahezu unmöglich scheint, namhafte Spezialisten in ihrem Fachgebiet in größerer Zahl anzuwerben, war dies nicht immer nachteilig. Es gab viele unbekannte Kreative mit fortschrittlichen Ideen. So entwickelte zum Beispiel ein Unternehmen, welches Ofenschirme, Kohlenkästen und Vogelkäfige produzierte, mit dem Maschinengewehr 42 eine überlegene Universalwaffe, die bis heute in vielen Streitkräften Verwendung findet. Bis heute sind die Namen der Konstrukteure wichtiger Komponenten jener Waffe unbekannt.
Dies alles und noch viel mehr brachten das Fundament meines Standpunktes ins Wanken. Gepaart mit dem Wissen, dass eine Wetterstation in der Arktis als letzte deutsche Einheit im Spätsommer 1945 offiziell kapitulierte und größere organisierte japanische Verbände bis Ende der 40er Jahre in der Mandschurei zu operieren vermochten, trug ich meine Überzeugung zu Grabe, dass es unmöglich sei, einen geheimen Stützpunkt in den eisigen Weiten der Antarktis aufzubauen und - vielleicht - bis heute zu betreiben.