Um jeden Preis hat sie gesagt.
Und dabei wollte ich doch nichts anderes als möglichst bald auf meiner Couch sitzen und gemütlich meinen Chaitee schlürfen.
"Wir müssen diese Ausgabe um jeden Preis bis morgen Früh rausbringen."
Mir dröhnt immer noch der Kopf von ihrer schrillen Stimme.
Den ganzen Tag hab ich mich konzentrieren müssen, hab geschwitzt und mir die Haut blutig gekratzt, weil das dumme Hemd von der noch dümmeren Reinigung mit irgendeinem Mittel behandelt wurde, das meiner Haut so gar nicht taugte. Und was hats genützt? Fast nichts.
Wie immer sind diese Meetings relativ ergebnislos verlaufen. Manchmal frag ich mich echt, wozu wir die überhaupt abhalten.
In der Zeit könnte ich was Vernünftiges arbeiten, verdammt nochmal!
Und jetzt! Jetzt, wo ich endlich Feierabend habe, kommt sie mit diesem Artikel daher. Der muss heute noch fertig werden, das ist ja sooo wichtig.
Warum nur. Warum kann ich nie nein zu ihr sagen?
Wie ein folgsames Hündchen erfülle ich ihr jeden Wunsch. Klar, sie ist meine Chefin. Und dann sind da noch diese Gefühle...
Also setze ich mich nochmal für zwei Stunden hin, kratz ein paar Google und Wikipedia Artikel zusammen, schreib ein paar Zeilen, schick das ganze per Mail an Clarissa und will den Laptop um 8 endlich zuklappen, als mir dieses seltsame Dokument auffällt, das ganz sicher nicht ich auf meinem Desktop abgespeichert habe.
Als ich eine Stunde später im Taxi Richtung Flughafen sitze, denke ich mir immer noch: 'Ich hätte es ignorieren sollen. Ich hätte es einfach nicht anklicken sollen. Warum bin ich nicht einfach nach Hause gegangen? Das geht mich doch gar nichts an!'
"Clarissa!"
Vor lauter Eile stolpere ich wie ein Betrunkener über meine eigenen Füße. Verdammte Axt, diese Frau treibt mich noch in den Wahnsinn.
Ich habe Schweiss im Gesicht, meine Haare fühlen sich an, als wäre ein Sturm über sie hinweg gefegt und mein Hemd hat an den aufgekratzten Stellen lauter kleine Blutfleckchen.
'Ich sehe aus wie ein Penner.' Denke ich mir und laufe weiter durch die langgezogene Flughalle.
Da vorne steht sie, am Terminal 2, zwei große weiße Koffer mit schwarzen Punkten neben sich.
Gemessenen Schrittes gehe ich auf sie zu. Entschlossen ziehe ich das eben vorhin ausgedruckte Formular aus der Jackentasche und halte es ihr hin.
Clarissa sieht mich entgeistert an.
"Franz? Was machst du denn hier? Ich dachte, du schreibst noch an dem Artikel?"
"Was ist das hier?" Ich wedele mit dem Stück Papier vor ihrer Nase herum.
Sie schnappt sich das mittlerweile stark in Mitleidenschaft gezogenene Blatt und überfliegt es. Ihre Augen werden groß.
"Wie zur Hölle ist das denn bei dir gelandet?"
Ein Mann, der in der Schlange hinter ihr ansteht, schüttelt den Kopf, murmelt etwas Unverständliches und drängelt sich ohne ein Wort der Entschuldigung an ihr vorbei.
"Hör mal, Franz, ich muss meinen Flug erwischen. Können wir morgen am Telefon darüber reden?"
Nein, Clarissa, nein."
Ich fahre mir mit der Hand durch die Haare in dem verzweifelten Versuch durch ein bisschen mehr Ordnung mich selbst etwas zu beruhigen.
"Ich will jetzt darüber reden." Verdammt. Meine Stimme zittert.
"Ich will dir jetzt sagen, dass du die nervigste aller Chefinnen bist. Die schwierigste und anspruchvollste. Und das mich allein deine schrille Stimme manchmal zur Weissglut bringen kann."
Während ich rede wird Clarissa erst ganz blass, dann sehr rot. Ich sehe ihr an, dass sie mich am liebsten auf der Stelle erwürgen würde.
"Aber ich liebe dich auch. Ich...
ich liebe dich.
Und zwar genauso wie du bist. Also bitte flieg nicht. Bitte lass dir nicht die Nase operieren."
Clarissa kriegt kein Wort heraus. Das Papier mit der Terminvereinbarung für die Schönheits-OP segelt - hin und her, hin und her - langsam zu Boden.
Langsam löst sich Clarissa aus der Starre, sie strafft sich, nimmt die Schultern zurück und sieht mir genau in die Augen.
"Franz Xaver Birnbaum. Ich hoffe für dich, dass du das ernst meinst."
Sie nimmt ihre beiden Koffer und geht Richtung Ausgang davon.
Völlig verdattert brauche ich einen Moment um zu kapieren, dass sie mir nicht sofort die Kündigung ausgesprochen hat.
Ein bisschen trottelig schlurfe ich hinter ihr her und wage mich noch einen Schritt weiter.
"Mmmm...mmm.morgen Abend Essen bei mir?"
"8 Uhr, ich möchte ein Nudelgericht mit Gemüse, vegetarisch."
Ich kann mein Glück kaum fassen.
Und doch will ich es nicht mehr los lassen.
Um keinen Preis der Welt.