Der bezauberndste Duft weht in die Katakomben der Grauen Feste (wo ich eigentlich meinen Winterschlaf halten will) und weckt mich aus beinahe ebenso süßen Träumen.
Etwas verschlafen hebe ich den Kopf und wittere.
Da, ganz eindeutig: Keksgeruch!
Mein innerer Staubsauger schaltet um auf Hochbetrieb und ich springe aus dem Körbchen. Wer backt denn hier so lecker? Mit hochgereckter Nase drehe ich mich im Kreis, um den Geruch zu orten.
Da ist er plötzlich fort.
Verdutzt starre ich auf eine Steinwand meiner Festung. Wo ist meine Duftspur hin? Ich wittere noch ein paar Mal, doch die Spur taucht nicht wieder auf.
Merkwürdig ...
Detektiv Grauwolf nimmt den Fall an!
Zunächst einmal muss ich mich orientieren, und da ich beim Bau der Festung wie in meinen Geschichten und in Minecraft üblich hoffnungslos übertrieben habe, fällt mir das gar nicht so leicht.
Ich bin in einem Kellerraum. Auf dem Boden liegt ein Körbchen, aber das hilft mir wenig, immerhin habe ich es selbst hier runter geschleppt. Also keine Wegmarke ... hm, gehen wir einfach mal die Treppe rauf, irgendwo werden wir schon herauskommen!
'Irgendwo' entpuppt sich als langer, mäßig erhellter Flur mit unzähligen abzweigenden Türen. Einer der vielen Gänge im Berg, die zu den gut geschützten Gästezimmern führen. Hier könnte eine kleine Armee die Winterinvasion aussitzen.
Ein Großteil der Räume ist allerdings unbewohnt, nur eine Handvoll wurde von Gästen personalisiert. Denn ich habe viiiel mehr Gästezimmer als Gäste. Übertreiberwahn eben.
Während ich durch den Gang tapse, spähe ich in die Zimmer zu den Seiten. Es führt immer eine kurze Treppe hinab, unter der Heizungsrohre verlaufen, wenn ich mich recht erinnere. So ist es hier unten immerhin warm, auch wenn der Rest eher feuchtkalten Dungeoncharme ausströmt.
Eines ist jedenfalls sicher: Hier hatte der Plätzchenduft garantiert nicht seinen Ursprung! Die Zimmer haben kein fließendes Wasser, keinen Strom und deshalb auch keinen Herd, in dem Plätzchen duften könnten. Stattdessen behilft man sich hier mit romantischem Kerzenschein und Wasserschüsseln, einem gelegentlichen Kamin in einem Lesezimmer - davon kann man nie zu viele haben! - und das eigentliche Koch- und Backleben findet weiter oben statt.
Was soll ich sagen, ich mag Fantasy eben! Geheimnisvolle, verwinkelte Gemäuer, das einfache Leben, Krieg und Helden ...
Allerdings verstehe ich so langsam, warum moderne Gebäude überall Flurpläne mit Rettungswegen haben! Mein Gedächtnis und meine Größenwahnsinnarchitektur vertragen sich nicht besonders gut miteinander.
Endlich stolpere ich über ein Zeichen von Leben. Eine dunkle Spur aus kleinen, schmalen, länglichen Dingern auf dem Boden ... mal schnuppern ... oh, Tannennadeln!
Das ist aber höchst merkwürdig. Wie kommen denn Tannennadeln in dieses Gemäuer mehrere Meter unter der Erde?
In meinem Gedächtnis klingelt etwas wie kleine Glöckchen. Da war doch dieses Menschenfest, so ein wichtiges, großes.
Jetzt fällt es mir wieder ein: Weihnachten! Huppala, hab ich überhaupt schon Geschenke? Ist das Jahr schon wieder um?! Das hat doch früher immer viel länger gedauert!
Ich folge der Tannenspur, als mir ein ermutigender Duft um die Nase streicht. Zimtsterne! Herrlich! Ich beschleunige und ... wieder ist der Duft fort.
Blöder Trollduft!
Ich lande an einer T-förmigen Kreuzung, und zwar aus dem Gang kommend, der im rechten Winkel auf den geraden Gang trifft.
Dass mir gegenüber eine Standwand steht, ist ein sehr gutes Zeichen. Ich bin am Rand meiner im Berg verborgenen Basis angekommen, sonst wäre diese Kreuzung eher ein +.
Aber die Frage ist nun ... links oder rechts?
Ich suche weitere Tannennadeln, doch die Spur endet kurz vor der Kreuzung.
Wer war denn so verrückt, hier zu fegen?
Auch mein wegweisender Keksduft kehrt nicht zurück, also wende ich mich auf gut Glück nach links. Eine Zeitlang erklingt nur das Tapsen meiner Pfoten auf Steinboden und zwischendurch auf staubigem Teppich. Ich passiere mehrere Gänge, die an meinem Gang enden. Dann höre ich ein feines Knistern.
Mein Ohr zuckt und mein Kopf fährt sofort herum. Das Geräusch dringt aus einer der Gästekammern, deren Türen auf den Quergängen liegen. Ich biege also ab und schleiche mich an die offenstehende Tür heran. Dann schiebe ich den Kopf ins Innere.
Ich erhasche einen Blick auf einen riesigen Haufen Gold. Dann bewegt dieser sich plötzlich.
"Ahhh! Der Geist von König Midas!", quieke ich und springe zurück.
Aus dem Gold taucht ein Tigerkopf auf. "Marv?"
Ich bin noch wie erstarrt vom Schreck. Dann blinzele ich. "Iffy?"
Der momentan tigerförmige Dämon wühlt sich aus dem Goldhaufen. Der stellt sich als gar nicht so solide heraus, wie ich im ersten Moment dachte. Stattdessen ist es ein Haufen flauschiger, goldener Fäden, die bei jeder Bewegung knistern.
"Lametta?", frage ich. "Warum hast du hier lauter Lametta?"
"Tja, ich, also ..." Der dezent glitzernde Tiger sucht nach einer Ausrede. "Öhh, das sind Recherchen. Genau. Ich untersuche das Weihnachtsfest und Möglichkeiten, es für die Menschen zu verderben! So, das ist mein fieser Plan."
"Hast du mit Lametta gespielt?", frage ich. "Wie ein Kätzchen?"
"Was machst du eigentlich hier?", fragt Ifrit schnell. "Ich hätte dich jetzt bei den Vorbereitungen für's Fest vermutet."
"Welches Fest?", frage ich.
Ifrit starrt mich entgeistert an.
"Weihnachten?", frage ich kleinlaut.
"Hast du wieder beim Schreiben alles andere vergessen?" Ifrit seufzt. "Genau, Weihnachten."
"Ich hab geschlafen", gestehe ich kleinstlaut. "Wo ist denn das Fest?"
"In der Haupthalle."
"Und die Haupthalle ist ...?"
Ifrit sieht mich mit großen Augen an. "Achso, du hast ja keinen Orientierungssinn. Du musst auf den großen Seitengang und dann nach rechts."
"Rechts?", ächze ich. Da hab ich all die Strecke links zurückgelegt ...
"Und am Ende dann dem Quergang folgen, dann kommst du zur Treppe nach oben. Ab da ... findest du schon."
"Kommst du nicht mit?", frage ich verwundert.
Ifrit schnippst mit dem Ohr ein Stück Lametta vom Tigerkopf. "Weihnachtsgeträller bereitet mir körperliche Schmerzen. Nein, danke, ich bleibe hier und ... recherchiere."
"Na dann ... viel Spaß!" Ich stupse meine beste Freundin kurz an und schlüpfe durch die Tür wieder nach draußen. Dann folge ich ihren Anweisungen durch die langen Gänge bis zu einer breiten Treppe, die mich ein Stockwerk höher steht.
Ratlos sehe ich mich um. Wohin denn ... KEKSE!
Plötzlich ist der Duft wieder da und ich flitze ihm hinterdrein. Wieder ist die Spur nach wenigen Metern erloschen, doch immerhin bin ich ... wenige Meter weiter. Vor mir ist eine weitere Kreuzung, diesmal ein +. Gründlich untersuche ich jeden Weg nach Tannennadeln. Nein, da sind keine, aber dafür bemerke ich ein Licht im linken Gang. Neugierig folge ich dem Schimmer und treffe auf eine weitere offene Tür. Diesmal nicht zu einem Gästezimmer, sondern zu einem Lesezimmer. Ein großes Lesezimmer mit Sesseln, Teppichen und einem gerade erloschenen Kamin. Neben dem Kamin steht ein Tannenbaum, auf dem elektrische Kerzen funkeln. Und darunter liegen bunt verpackte Geschenke.
"Wow", murmele ich beeindruckt. Das kann doch nur ein Mensch platziert haben. Sprich, Mobu.
"Hallo?", rufe ich. "Mobu? Bist du hier?"
Ich trete in das Zimmer und sehe mich um. Vielleicht im Kamin? Hatschie! Nein, hier versteckt sich kein Feuerelb. Unter dem Sofa?
Leises Trappeln erklingt aus dem Flur. Ich habe mich schnell genug umgedreht, um einen Schatten an der Tür vorbeihuschen zu sehen.
"He! Hallo?" Ich renne auf den Gang, aber - der ist leer.
Wie war das noch gleich? Geheimnisvolle, verwinkelte Gemäuer, das einfache Leben, Krieg und Helden - aber die Geister habe ich nicht gemietet!
"H-hallo? Wer ist da?"
Ich tapse vorsichtig in die Richtung, in die der Schatten gehuscht ist.
Das ist eine schleche Idee!, schreit mein logisch denkendes Bewusstsein. Du solltest umdrehen und in die andere Richtung laufen!
Du bist in einer Sackgasse, antwortet ein noch logischer denkender Teil von mir. Du musst zur Kreuzung und dann auf offenes Gelände!
"Hallo?", frage ich nochmal.
"Marv? Was tust du denn hier unten?" Eine kleine Gestalt hoppelt um die Ecke.
Ich atme auf. "Xenon!"
"Ja! Wer denn sonst? Sag mal - du hast doch nicht in die Geschenke geguckt?"
"Du meinst diese nach Brotchips duftenden Päckchen?", frage ich.
"Genau! Da sind ... ähh ... Handys drin." Xenon lächelt nervös.
"Große Handys."
Der Otter nickt. "Kommst du mit? Mobu braucht unsere Hilfe in der Küche."
"Klar!" Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Die Küche. Kekse!
Xenon hüpft voraus und ich tapse hinterdrein. Zielsicher führt der Fleckenhalsotter mich in die belebten Teile der Burg, wo Figuren mit Mehl oder Förmchen herumwuseln. Xenon stupst die Tür zur Küche auf, als wir hindurchhuschen.
Und da ist der Duft! Zimtsterne! Ahornsiruphörnchen! Verzierte Plätzchen! Mandelhörnchen! Kekse mit Marmelade! Brotchipskekse! Schokokekse!
Ich schmatze versonnen und bleibe einen Moment einfach stehen und schnuppere.
"Marvin, ich muss dich bitten, aus dem Weg zu gehen", sagt Mobu förmlich. Ich öffne die Augen und stelle fest, dass der Feuerelb mit einem Tablett in den Händen vor mir steht.
"Tschuldigung." Ich hopse zur Seite und presse die Pfoten gegen eine Ofentür - es gibt hier zehn Öfen, und alle laufen auf Hochtouren, entsprechend warm ist es auch -, um die nächste Portion Plätzchen verliebt anzuhimmeln. "Das riecht aber lecker!"
"Die sind nicht für dich!", sagt Mobu.
Ich falle aus allen Wolken. "N-nicht?"
Vor meinen Augen füllt Mobu die Kekse in eine große Dose. Dann klopft er an die Tür. Die wird geöffnet, eine menschliche Buchfigur kommt herein, nimmt die Dose und rauscht damit von dannen.
Die Tür fällt ins Schloss und ich habe eine Idee, warum der Keksduft immer nur in kleinen, abgeschnittenen Wolken bei mir ankam.
Dann wandert mein Blick über Berge bunter Keksdosen. Über leere Tische, wo offenbar vorher Kekse gestapelt waren.
Das ist ... eine Fabrik!
Wütend fahre ich zu Mobu herum. "Was machst du mit meinen Keksen?"
"Das sind nicht deine Kekse", erklärt der Elb. Über seiner Robe trägt er eine Bärchen-Schürze und die langen, schwarzen Haare hat er diesmal zu einem Zopf zusammengefasst. In seinem dichten Bart klebt Mehl. "Wir beladen eines der Luftschiffe und senden sie zur Taverne."
"Oh." Meine Enttäuschung ist etwas gemindert. "Aber in der Taverne gibt es doch sowieso immer endlos viele Kekse."
"Eben nicht", brummt Mobu. "Das sind alles Kekse, die User gespendet haben. Aber da das immer wieder mal welche machen, gehen die Kekse nie aus. Diesmal habe ich mich gemeldet."
Ich mache große Augen. "Die wachsen nicht einfach so in der Taverne?"
"Marv, Kekse wachsen nicht in Tavernen", sagt Xenon. "Weiß doch jedes Kind!"
"Ich dachte, das wäre halt eine magische Taverne", verteidige ich mich schmollend.
"Nun ... fast", sagt Mobu und tritt an einen weiteren Ofen, um Kekse herauszuholen. Danach stellt er den Ofen aus - offenbar nähert sich die Produktion bereits ihrem Ende. Wenn meine Schätzungen über die Menge an bereits gefüllten Keksdosen stimmen, ist das kein Wunder. Das Luftschiff müsste bald voll sein.
Ich helfe Mobu pflichtschuldigst beim Einpacken, indem ich die Kekse vom Boden stibitze, die danebenfallen. Die sind alle so unglaublich köstlich! Und frisch aus dem Ofen mag ich sie am liebsten. Mjam!
Am Ende wird es in der Küche schließlich kühler und Mobu trägt die letzte Dose selbst zur Taverne. Xenon hüpft auf meinen Rücken, als ich dem Elb folge, und bestätigt dabei Ifrits Befürchtungen, indem er lauthals Weihnachtslieder kräht.
Wir nehmen das größte Luftschiff, den Himmelswaljäger aus poliertem Holz, ein längliches, erstaunlich wendiges Steampunk-Luftschiff mit Segeln, Steuerflossen und einem radioaktiven Flugkern im Bug. Sobald Mobu am erstaunlich komplexen Steuer steht, schleiche ich mich in den Lagerraum.
Ich nage am Deckel der ersten Dose. Die muss sich doch öffnen lassen ...!
"Die Kekse sind für die Tavernengäste!", grollt eine bedrohliche Stimme aus der Dunkelheit. Ich mache einen erschrockenen Satz in die Luft. "Knochenknurpsler! Was machst du hier?"
"Kekse bewachen", erläutert der Horrorwolf und schenkt mir ein leicht glühendes, zahnlastiges Grinsen.
"Ich wollte nur, ähh, kontrollieren, dass ..."
"Nur. Für. Tavernengäste." Knochenknurpsler sieht mich drohend an. "Das willst du den Belletristicans doch gönnen, oder?"
"Ich wollte doch bloß ein paar ..." Murrend trotte ich wieder an Deck und setze mich in den Bug, bis die Taverne auf einem bereits recht verschneiten Hügel vor uns auftaucht und das Luftschiff sich zum Boden senkt. Dann wird die Ladung über die seitlichen Kräne vor der Taverne abgesenkt. Wehmütige sehe ich zu, wie Belletristicans die vielen Dosen in Empfang nehmen.
Lebt wohl, meine köstlichen Lieblinge!
Obwohl - Moment mal!
Ich hüpfe auf die nächste Plattform, die vom Schiff abgesenkt wird. Dann trotte ich an der langen, routinierten Schlange vorbei, die Kekse weiterreichen.
Das sieht so aus, als würden sie das häufiger machen. Komisch, wieso habe ich das nie mitbekommen?
Ich husche ins Tavernenlager und zerre eine Keksdose zur Seite.
"Marv!", ruft Xenon, der oben auf den Dosen herumturnt. "Lass das!"
Ich ziehe meine Dose zum roten Sofa und robbe darunter. "Ich bin jetzt ein Tavernengast!"
"Maaarv!", jammert Xenon. "Gib die wieder her!"
"Meine!" Ich nage den Deckel herunter und schnuppere. Brotchipskekse, immer noch warm! Genüsslich tauche ich die Schnauze rein.
"Lass ihn", sagt Mobu zu Xenon, der aufgetaucht ist, um zu gucken, wohin ich verschwunden bin. "Eine Dose können wir entbehren. Den Rest kriegen die Belletristicans ja."
Ich knuspere zufrieden Brotchipskekse, während weiterer Plätzchenduft die Taverne durchströmt. Nach und nach wird die Ladung eingelagert und die ersten Kekse an Gäste verteilt.
Weihnachtsvorfreude macht sich breit, als würden die Kekse dieses warme, kribbelnde Gefühl in die Mägen transportieren. Das Feuer prasselt im Kamin und hier und da wird heimlich ein Geschenk eingepackt.
Nicht mehr lange ... ich freu mich drauf.