Die Faultiere (Folivora ["Blattverschlinger"], auch Tardigrada ["Langsamschreiter"] oder Phyllophaga ["Blattfresser"]) bilden eine Unterordnung der zahnarmen Säugetiere (Pilosa), sie sind damit mit den Ameisenbären (Vermilingua) und den Gürteltieren (Dasypoda) verwandt.
Es existieren sechs rezente Arten, die sich auf die beiden Familien der Zweifinger-Faultiere (Choloepodidae, 2 Arten) und der Dreifinger-Faultiere (Bradypodidae, 4 Arten) verteilen. Die zwar ähnlich aussehen, aber sich genetisch betrachtet die Verwandtschaft von Hund zu Katze teilen. Sie haben sich also konvergent entwickelt, dass bedeutet, dass beide Evolutionslinien in der gleichen Lebensweise ein optisch ähnliches Optimum gefunden haben bzw. dieselben Anpassungen aufgrund des gleichen Lebensraums (Kronendach eines Regenwaldes) ausbildeten.
Während man sich in der Fachsprache nicht wirklich für eine der drei lateinischen Namen einigen kann und somit alle Verwendung finden, ist der Begriff des "Faultieres" scheinbar unumstößlich. Schon bereits mit ihrer Entdeckung durch die Europäer klebte ein schlechter Ruf am zotteligen Fell, sie wurden zu trägen, verachtenswerten Tieren stilisiert. Doch dieser Gedankengang ist keinesfalls rein europäisch, auch südamerikanische Indianerlegenden widmen sich der vermeintlichen Faulheit und dem langsamen Lebenstil dieser Tiere.
Doch warum ist das Faultier so faul, dass man es im deutschen nur so nennen kann? Oder haben wir da einfach etwas falsch verstanden?
Um uns diesen Fragen zu widmen, sollten wir uns noch mal vor Augen führen, wie ein Faultier aussieht. Faultiere besitzen einen recht kleinen Kopf (im Verhältnis zur Körperproportion), einen recht kurzen Hals (Zweifingerfaultiere besitzen 5 bis 6, selten 7 Halswirbel, Dreifingerfaultiere ebenso, aber zusätzlich drei bis vier verlagerte Brustwirbel, weshalb man lange Annahm, dass sie 10 Halswirbel hätten, was aber nicht stimmt), kleine Knopfaugen und winzige Ohren. Die Arme und Beine sind kräftig, lang und hängt es erstmal am Baum sieht es fast aus wie eine Handtasche. Was die Evolution sich dabei dachte? Vielleicht dachte sie sich, dass sie vor Niedlichkeit keine Fressfeinde hätten...
Nun, das ist aber nicht der Fall!
Die Harpyie (Harpia harpyja), ein großer, kräftiger Greifvogel macht Jagd auf Faultiere und Affen. Während Affen behände klettern und so versuchen den mächtigen Klauen des Greifvogels zu entkommen, haben "Faultiere" einen anderen Weg gewählt: Sie bewegen sich unglaublich langsam! Was erstmal unglaublich dumm klingt, ist bei näherer Betrachtung eine ganz brauchbare Strategie und das "Faultier" hat sie meisterhaft perfektioniert. Der Grundgedanke bei dieser Strategie ist die Tarnung, dass Faultier gibt vor ein Haufen hängender Lianen zu sein, etwas was in seinem Lebensraum keine Seltenheit ist. Als Fleischfresser zeigt die Harpyie kein Interesse an dem vermeintlichen Pflanzenmaterial und fliegt weiter. Das setzt voraus, dass das Faultier bei jedem Kletterschritt überprüft, wo es gerade hingreift und sich nicht als Faultier verrät. Beobachten wir ein Faultier in menschlicher Obhut, so werden wir auch dort dieses Verhalten feststellen können. Beständig schaut es umher, nicht nur wohin es greifen muss, damit es nicht abstürzt, sondern auch in die potenziellen Richtungen aus denen ein Beutegreifer (die Harpyie) geflogen kommen könnte. Doch bedacht langsam und aufmerksam sein reicht nicht. Die Harpyie ist ein Topjäger mit scharfen Augen, Klauen und Schnabel, damit letztere beiden das Faultier nicht erreichten, hat es im Laufe seiner Existenz einige Anpassungen erlebt. Diese Patches erfolgten über mehrere Jahrmillionen, die Evolution ist gelegentlich ein langsames Entwicklerstudio. Fest steht, das bereits vor 30 Millionen an Faultier.exe gearbeitet wurde. Generell sind die Fossilbefunde in Richtung der heute lebenden Faultiere spärlich, wenn gleich nicht existent, was das Verständnis zu ihrer Entwicklung nur schwer begreiflich macht. Fest steht, dass sich in beiden Faultierfamilien Vertreter dachten: Lass mal klettern!
Es hat viele Vorteile als Pflanzenfresser im Kronendach zu leben, was einen geringen "Anfahrtsweg" zur Nahrungsquelle bedeutet. AHA!, denkt sich jetzt der übereifrige Leser, deshalb sind es Faultiere! Doch eigentlich müssten es Effizienztiere sein, denn diese Art zu leben ist sehr effizient, während faul bedeutet, dass die Methode sehr zweifelhaft, bedenklich; nicht einwandfrei, nicht in Ordnung und daher unbefriedigend sei (wie Duden den Begriff Faul aufschlüsselt). Doch warum nennt der Autor dieses Werk das Faultier nicht Effizienztier? Hierfür sollten wir uns noch genauer das Faultier betrachten, den wir haben bisher noch nicht viel von seinen Tarntechniken erfahren und widmen unseren Blick zunächst zum Fell der Tiere.
So besteht das Fell bei Dreifingerfaultieren aus einer dichten, kurzen Wolle und darüber liegenden, langen Haaren. Während Zweifingerfaultiere ohne Unterwolle auskommen. Der Haarstrich verläuft vom Bauch zum Rücken und damit entgegengesetzt zu dem anderer Säugetiere, dieses Merkmal tritt bei beiden Faultierfamilien auf, es ist demnach eine direkte Anpassung an die hängende Lebensweise, da so Regenwasser viel besser ablaufen kann.
Die Langhaare beider Faultiere weisen häufig Querbrüche auf, in denen sich symbiotisch lebende Algen einnisten. Dadurch scheint das Fell je nach Lichteinfall einen grünlichen Farbton anzunehmen, was häufiger während der Regenzeit vorkommt. Diese Symbiose dient vor allem der Tarnung vor Fressfeinden. Da Faultiere von Natur aus ein blondes bis braunes Fell besitzen, tragen sie somit permanent einen Camouflage-Anzug. Diese Algen sind teilweise Nahrungsgrundlage von Schmetterlingen. Gleich drei Arten von Kleinschmetterlingen finden sich im "Faultier", wie etwa die Faultiermotte (Bradypodicola hahneli), welche fast ihr gesamtes Leben im Pelz des Faultiers verbringt. Sowohl die Paarung, wie auch die Eiablage und die Raupenphase finden im Fell des Faultiers statt. Sie paaren sich im Haarkleid von Faultieren und legen dort auch ihre Eier ab. Die Raupen ernähren sich von winzigen Hautschuppen und den symbiotischen Blaualgen. Stehen die Raupen kurz vor der Verpuppung wandern sie beim nächsten Toilettengang des Faultiers in dessen Kot und verzehren diesen bis sie sich verpuppen und letztlich schlüpfen. Die Falter fliegen zu einem anderen Faultier paaren sich, legen Eier und sterben. Die Faultiermotte ist dabei ausschließlich auf dem Braunkehl-Faultier (Bradypus variegatus) nachgewiesen und kommt sonst auf keinem anderen Faultier vor. Wie zu entnehmen begeben sich Faultiere nur in größeren Zeitabständen zu ihrem Kotplatz, da sich dieser im Bodenbereich befindet, wo Faultiere aufgrund ihrer Anatomie und daraus resultierenden schlechten Beweglichkeit eine leichte Beute sind. Dort verrichten die Faultiere ihr Geschäft im Zeitraum von ein bis zwei Wochen. Dass sie in solch langen Zeitabständen einen Toilettengang einhalten können, ist ihrem sehr langsamen Stoffwechsel zu verdanken. Er ist so langsam, das Faultiere nur in den Tropen überleben können, weil sie nicht genügend Wärme erzeugen können, um ihre Körpertemperatur auf einem Niveau zu halten, welches ihr Überleben garantiert. Doch warum das ganze? Die Antwort ist einfach, durch den sehr langsamen Lebensstil wäre ein schneller Stoffwechsel reine Energieverschwendung und wenn ein Faultier etwas kann, dann Energie sparen. Dadurch müssen sie sich nur auch bewegen, wenn nötig, was dem Tarnaspekt wieder zugutekommt. Und so wird der Stoffwechsel immer langsamer bis zum absolut möglichen Minimum und damit bis zu maximal möglichen Energieeffizienz.
In Anbetracht all dieser Umstände, wäre es da nicht Zeit, dem Tier einen neuen Namen zu geben? Energiespartier? Tarntier? Oder ist es unsere eigene Faulheit, die uns hindert die Dinge richtigzustellen?
Quellen
https://de.wikipedia.org/wiki/Faultiere#Nomenklatur Abgerufen: 6.11.2020
https://de.wikipedia.org/wiki/Faultiere#Zur_Herkunft_der_heutigen_Faultiere Abgerufen: 6.11.2020
https://de.wikipedia.org/wiki/Zweifinger-Faultiere Abgerufen: 6.11.2020
https://de.wikipedia.org/wiki/Dreifinger-Faultiere Abgerufen: 6.11.2020
L. Hautier u. a.: Skeletal development in sloths and the evolution of mammalian vertebral patterning. In: PNAS. 2010. doi:10.1073/pnas.1010335107 Abgerufen: 6.11.2020
D. P. Gilmore, C. P. Da Costa, D. P. F. Duarte: Sloth biology: an update on their physiological ecology, behavior and role as vectors of arthropods and arboviruses. In: Brazilian Journal of Medical and Biological Research. 34 (1), 2001, S. 9–25. Abgerufen: 6.11.2020
Enzyklopädie der Tiere Band 2 (Deutsch) Gebundene Ausgabe
von Wilhelm Eigner (Autor) 1979 978-3-893-50360-5 S. 418
Atlantica Tierparadiese unserer Erde / Regenwälder (Deutsch) Gebundene Ausgabe – 1. September 2008 ISBN: 978-3-577-07701-9 S. 32, 58 - 61