Der Wind frischte auf. Heulte und brauste, brachte funkelnde Eiskristalle mit sich. Fräulein Herbst zog sich den dünnen Schal enger um die schmalen Schultern.
Sie hasste es, wenn er das tat.
Elendiger Aufschneider.
Der ehemals wunderschöne, volle Rock aus bunten Blättern, hing in erbärmlichen Fetzen an ihr herab. Nur wenige, tiefbraune Blätter krallten sich noch mit letzter Kraft an ihr fest, doch es war zwecklos. Auch sie wurden durch den tosenden Sturm herausgerissen und vom Wind hinfort geweht. Müde sah Fräulein Herbst ihnen hinterher.
Es fröstelte sie und erbost zog sie die Augenbrauen zusammen, als sie sich in die Hände hauchte und feststellen musste, dass ihr kondensierter Atem in dicken, weißen Wolken aus ihrem Mund hervorquoll.
Eine eiskalte Böe griff nach ihrem einst feuerroten, nun mit weißen Strähnen durchzogenem Haar und ließ es vor ihren Augen tanzen.
"Heya! Schneller, schneller!"
Zitternd drückte sich Fräulein Herbst enger gegen den kahlen Baum. Sie erkannte ihn schon von weitem, er brachte eine Wolke aus aufstiebendem Schnee mit sich.
Die weiten, blauen Rockzipfel wehten hinter ihm her. Die goldenen Knöpfe seiner Uniform glänzten in der blassen Sonne.
Er zog sich die Kalpak tiefer in die Stirn, als er auf seinem Ross, gemacht aus Eis und Schnee, herangaloppierte. Schneller und wilder, als eine entfesselte Kavallerie.
Mit jugendlicher Leichtigkeit und federnden Schritten sprang General Winter von seinem Schneeross herab, richtete sich den Waffenrock und kam mit einem strahlenden Lächeln auf sie zu. Tatkräftig wie eh und je.
"Fräulein Herbst."
Er tippte sich mit zwei Fingern gegen den dichten Zobelbesatz seiner Mütze. Seine eisblauen Augen begannen zu funkeln.
"General."
Das Fräulein nickte knapp und zog den Schal noch ein wenig enger um sich, da sie die Kälte spürte, die er mitbrachte.
Der Boden gefror unter jedem seiner Schritte. Das Gras war binnen eines Herzschlages silbrig-weiß gepudert.
"Ihr seid zu früh", flüsterte sie spitz und wandte ruckartig den Kopf ab.
Dieser verdammte Jungspund. Immer so wild, immer voller Ungeduld, immer so übertrieben - wie er dort stand in seiner strahlenden Uniform mit den blank polierten Knöpfen und Epauletten und dem jungenhaften Lächeln auf seinem scharfgeschnittenen Gesicht. Der General neigte amüsiert den Kopf zur Seite und begann mit seiner behandschuhten Hand die Spitzen seines fein getrimmten Oberlippenbartes zu zwirbeln. Genau wie sein Haar, das in einigen feinen Locken unter der Husarenmütze hervorlugte, war er hellblond. Beinah weiß.
"Aber mein liebes Fräulein Herbst."
Das Lächeln wurde breiter und sanft streckte er seine Hand nach ihrer Wange aus.
"Warum so garstig, mein schönes Fräulein?"
Fräulein Herbst bedachte ihn mit einem bösen Blick und bließ sich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Spart Euch das Süßholzgeraspel, General. Ihr seid zu früh."
Wütend verschränkte sie die Arme vor der Brust und funkelte zu ihm auf.
"Viel zu früh", setzte sie noch hinzu und machte sich aus seinem Griff los. Der General lachte. Es klang hoch. Wie Eiszapfen, die klirrend gegeneinander stießen.
"Ich weiß, meine Liebe, ich weiß", gab er unumwunden zu und legte verlegen seine Hand in den Nacken, ehe er gen Himmel blickte. Er schien nach den passenden Worten zu suchen.
"Aber ich habe schon so viel von Eurer Schönheit gehört, die in voller Pracht leider nur die gute, alte Frau Sommer zu sehen bekommt, dass ich nicht umhin kam, diesen Winter ein wenig früher meinen Dienst anzutreten."
Fräulein Herbst zog verwundert die Augenbrauen in die Höhe, ehe sich ein finsterer Schatten auf ihre Züge legte.
"Hört auf, Euch über mich lustig zu machen."
"Aber Fräulein Herbst, ich-"
"Seht mich doch an!", rief sie und griff mit beiden Händen nach den zerlumpten Resten ihres einst so prachvollen Rockes und bewegte ihn mit erratischen Gesten hin und her. Traurig fielen auch die letzten verbliebenen Blätter zu Boden.
"Meine Blätter sind verfault, mein Haar ergraut und Ihr beginnt bereits damit, all dieses Elend unter Eurer hübschen, weißen Decke zu verstecken!"
Sie sah wütend von dem immer weiter um sich greifenden Raureif zu ihren Füßen zu ihm auf. Der General lächelte nur milde, ehe er die schmale Gestalt unvermittelt an seine Brust drückte und seine Arme um sie schlang.
"Sei doch nicht immer so garstig. Du wirst immer wunderschön sein, meine Liebe", hauchte der General gegen ihre Lippen, legte sanft seine Stirn gegen ihre und schloss die Augen.
Ein Windhauch, das Rascheln von Blättern. Er spürte ihre Wärme nicht mehr an seiner Stirn. Mit einem traurigen Seufzen blickte der General in den grauen Spätherbsthimmel. Ein dünnes Lächeln zog an seinen Mundwinkeln.
"Eigensinnig, wie eh und je. Das Fräulein Herbst."