12.00 Uhr. Mittagszeit auf dem U.N.I.T.-Campus. Sergeant John Benton und Leela Comstock aus dem Verwaltungsbüro standen am Tresen und warteten brav, bis sie an der Reihe waren, um ihre Bestellkärtchen abzugeben. Das dauerte heute einen Augenblick länger, denn Will Simpson war gerade in eine Diskussion mit der Dame vom Catering-Service verfallen, weil statt des georderten Vanillepuddings mit Kirschsauce eine Karamellcreme mit Schokoflocken geliefert worden war.
Das Pärchen nahm die Zeitverzögerung gelassen. Sie wußten sich zu beschäftigen. Leela lehnte sich an John und umfaßte ihn sanft. „Meine Güte, er muß sich sehr auf den Vanillepudding gefreut haben. Das ist doch nun nicht so schlimm, so etwas kann ja mal passieren, und Karamellcreme ist doch auch etwas tolles.“
„Ich würde ihm mein Dessert anbieten, wenn ich den Vanillepudding bestellt hätte!“ bemerkte John. Er erwiderte ihre Geste und zog sie leicht zu sich heran. Mit einem Schmunzeln ergänzte er: „Aber so ist es auch ganz schön. Meinetwegen kann er noch eine Weile diskutieren!“
Leela grinste und ließ sich gerne auf den Kuß ein, mit dem er gerade den Leerlauf überbrückte. Sie hatte auch schon an einen Desserttausch gedacht, aber sie hatte dieses Mal ebenfalls keinen Vanillepudding bestellt. Dafür genoß sie den unverhofften Moment in den Armen ihres Freundes.
Es ging unvermittelt weiter, nachdem sich Alden Sobraith dazu erbarmt hatte, seinen Pudding gegen Wills Karamellcreme zu tauschen. Fast bedauerte es John, andererseits wies ihn sein Magen darauf hin, daß er seit dem schnellen Frühstück am Morgen nichts mehr gegessen hatte, und der Tag auf dem Übungsplatz forderte gerade seinen Tribut. Es war beinahe schade, daß sich der Trubel um den Vanillepudding gerade auflöste. Spätestens das Knurren seines Magens hätte seinem Kameraden jetzt entscheidende Hinweise darauf liefern müssen, daß es besser war, den Laden nicht weiter aufzuhalten.
Nur kurze Zeit später gaben John und Leela ihre Kärtchen ab und nahmen ihre Tabletts entgegen. Sie sahen sich schnell um und ergatterten einen Platz an einem der Fenster, von denen aus man über das U.N.I.T.-Gelände sehen konnte.
„Erstaunlich, daß man um diese Zeit immer noch Fensterplätze bekommt.“ bemerkte Leela, als sie sich setzte.
John schmunzelte. „Na, so attraktiv ist der Ausblick ja nun nicht. Wer will denn schon über ein tristes Militärgelände gucken?“
„Zum Beispiel ich!“ spezifizierte sie. „Und ich finde es nicht trist, sondern romantisch! Immerhin ist dieses »triste Militärgelände« dafür verantwortlich, daß ich dich kennen gelernt habe! Denn ich fürchte, wenn du nicht bei U.N.I.T. gewesen wärst, wären wir uns nie über den Weg gelaufen.“
Er hielt verlegen inne, und spürte eine unwillkürliche Wärme, die sich in seinem Inneren ausbreitete. Das stimmte. Und umgekehrt stimmte es auch – er erinnerte sich noch gut an die erste Begegnung mit ihr, als er festgestellt hatte, daß es eine neue Kollegin im Büro der Verwaltung gab. Sie hatte ihn so aus den Fugen gehauen, daß er zum Kennen lernen die wohl peinlichste Vorstellung seines Lebens gegeben hatte, und er hatte daraufhin postwendend den Gedanken abgehakt, jemals bei dem süßen Mädchen landen zu können. Und jetzt waren sie schon so lange zusammen, ganze zwei Monate lang. Hätte sie den Posten bei U.N.I.T. nicht angenommen, sie hätten sich vermutlich auch nicht kennen gelernt. Oder es hätte sehr großer Zufall sein müssen. Er sah aus dem Fenster über den grauen Platz. Plötzlich sah er den U.N.I.T.-Campus mit ganz anderen Augen. „Ich glaube, ich möchte zukünftig auch Fensterplätze, wenn wir hier in der Kantine essen…“ bemerkte er mit einem versonnenen Lächeln.
Sie konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Er war ein Romantiker, das hatte sie schnell gemerkt. Ein liebenswerter, chaotischer, manchmal auf eine süße Weise naiver Romantiker. Nicht zuletzt deswegen liebte sie ihn so. Hin und wieder mußte man ihn nur auf gewisse romantische Aspekte hinweisen.
Er stand noch einmal auf und öffnete das Fenster. Erst jetzt merkte sie, wie stickig es in dem Raum war. Das war eine gute Idee. Draußen war es angenehm, nicht zu warm, nicht zu kalt, und sie konnten in den strahlend blauen Himmel schauen, der jetzt nicht mehr von der staubigen Scheibe verfälscht wurde.
Kurz darauf verlor der romantische U.N.I.T.-Campus erst einmal an Interesse, da sich die beiden auf ihr Essen konzentrierten.
Leela nahm gedankenverloren die Karte, die zusammen mit den Bestellkärtchen in einem dem Ständer auf dem Tisch klemmte, während sie vorsichtig ihre Zwiebelsuppe löffelte. „Es gibt einen Haufen neuer Sachen!“ stellte sie fest. „Die Karte ist richtig überarbeitet worden.“
„Noch ein Grund, warum ich Will nicht verstehe.“ kommentierte John, während er bereits seine Bestellung genoß. „Wir haben so viel Auswahl, mit Vorspeisen und Dessert, und können uns alles nach Belieben zusammenstellen, und das zu so einer tollen Qualität, weil es immer frisch geliefert, und zum Teil sogar noch hier frisch zubereitet wird. Was muß man sich denn da wegen eines falsch gelieferten Desserts aufregen?“
„Du kennst doch Will.“ schmunzelte sie. „Er hat Vanillepudding bestellt, und deswegen hat er auch Vanillepudding zu bekommen! Ich glaube, er hat sich geärgert, weil Alden ihm den Wind aus den Segeln genommen hat.“
„Gott sei Dank war jemand da, der tauschen konnte!“ bemerkte er. „Sonst hätten wir jetzt noch nicht unser Essen!“
„So wie dein Magen vorhin geknurrt hat, vielleicht doch!“ grinste sie. „An Wills Stelle hätte ich spätestens da Reißaus genommen!“
Ihr Freund quittierte es ebenfalls mit einem Grinsen. „Na, zu irgend etwas muß es ja gut sein. Auch wenn wir es nicht mehr gebraucht haben.“ Er stellte gerade die Schale zur Seite, in der sich bis eben die Tomatensuppe seines Drei-Gänge-Menüs befunden hatte. „Auf jeden Fall sollte Will sich gut überlegen, so etwas wie hier auf’s Spiel zu setzen. So einen Luxus hat nicht jede Militärkantine, das kann ich dir versichern! Die Leute vom Catering-Service geben sich immer so viel Mühe, alles so perfekt zu machen, als würde man direkt im Bistro essen; dafür bereiten sie hier sogar vor Ort noch ein paar Sachen frisch zu. Das ist nicht selbstverständlich für einen Lieferservice. Sogar der Sahneklecks in der Tomatensuppe ist nicht verlaufen!“
Sie lachte herzlich. „Da spricht der Gourmet!“
„Aber es ist doch wahr, oder nicht?“ verteidigte er sich.
„Durchaus.“ Sie stellte ihre Schüssel in seine und widmete sich ihrer nun optimal temperierten Lasagne.
Er wandte sich indessen euphorisch seinem überbackenen Schnitzel zu. Das war verdient, nach dem Kraftakt auf dem Übungsplatz. Captain Yates mußte eine unbändige Freude daran gehabt haben, speziell ihn über den Platz zu jagen. Wobei er sich eingestehen mußte, daß die Übung nicht verkehrt gewesen war, nachdem ein paar Sachen im letzten Echteinsatz nicht so optimal gelaufen waren, als sie das extraterrestrische Tentakelmonster bekämpft hatten, daß sich im Sumpf eingenistet hatte. Er hatte Leela davon nicht erzählt. Das hätte nur zu einer schlimmeren Diskussion geführt als die von Will vorhin bezüglich des Vanillepuddings. Seine Freundin war so Pro-Alien eingestellt, daß es manchmal anstrengend wurde, insbesondere für ihn als einer der Soldaten, die extra dafür abgestellt waren, extraterrestrische Bedrohungen zu bekämpfen.
Er riß sich aus den Gedanken an den einen Punkt, der seine Beziehung kompliziert machte, und konzentrierte sich in Vorfreude auf sein Schnitzel. Doch er kam nicht einmal so weit, es anzuschneiden, als plötzlich etwas durch die offene Fensterscheibe sirrte.
John und Leela zuckten synchron erschrocken zusammen, als zwischen ihnen eine kleine silberne Scheibe durch das Fenster schoß, über ihrem Tisch verharrte, kurz ein wenig hin und her schwang und sich dann stetig über Johns Schnitzel drehte. Geschockt starrten die beiden in der Bewegung erstarrt das unerwartete Gebilde mit großen Augen an. Es handelte sich um einen kleinen Diskus, in der Größe einer Frisbeescheibe vielleicht, der nach oben und unten gewölbt war. Er drehte sich kontinuierlich auf einer Stelle über ihrem Tisch – und nachdem die leicht reflektierende Scheibe sich ein wenig ausgerichtet hatte, schien diese bevorzugt das Schnitzel des Sergeants im Visier zu haben.
„Okay, ich gebe mal einen Tip ab.“ bemerkte John bedächtig. „Robin hat ein neues Spielzeug.“
Der Schluß lag nahe. Beide erinnerten sich noch gut daran, wie sie zusammen viel Spaß mit dem kleinen ferngesteuerten U.N.I.T.-Jeep gehabt hatten, den ihr Kamerad fertig gemacht hatte. Bei der Gelegenheit hatte Robin erwähnt, daß er als nächstes gerne ein ferngesteuertes Flugzeug hätte. Was aber wäre passender für einen U.N.I.T.-Soldaten, als ein ferngesteuertes Raumschiff?
Leela bekam keine Chance darauf zu antworten, als plötzlich ein Lichtstrahl aus einer kleinen runden Bodenöffnung des Diskus schoß und mittig auf das Schnitzel ihres Freundes traf. „Das hat aber ein paar nette Features!“ kommentierte sie spontan.
„Na, du kennst doch Robin, der kennt sich in Licht- und Tontechnik aus!“ erinnerte John, der den Blick nicht von der silbernen Scheibe lösen konnte, die sein Schnitzel bedrohte. „Der gibt sich nicht mit halben… Sachen… zufrieden…“ Der Rest des Satzes versiegte, als aus der Öffnung an der Unterseite der Scheibe plötzlich eine kleine Schwebeplattform in dem Lichtstrahl, der jetzt wie ein Leitstrahl wirkte, nach unten fuhr. Knapp über der Käsekruste hielt sie an, so daß die fünf kleinen Passagiere, die bis dahin darauf gestanden hatten, sie verlassen konnten.
Wortlos beobachteten John und Leela mit großen Augen, wie die kleinen Gestalten in den silbernen Raumanzügen das für sie neue, unbekannte Terrain untersuchten. Sie waren von humanoider Gestalt, hatten allerdings jeweils vier Arme, grüne Haut und eine bis drei Antennen auf dem Kopf – man konnte mit Fug und Recht behaupten, sie sahen aus wie das beste terranische Klischee von Marsianern. Sie unterhielten sich leise in einer Sprache, die John und Leela nicht verstanden, und allenfalls als Quietschen und Zirpen von den beiden identifiziert werden konnte.
„Erstaunlich!“ bemerkte Leela fasziniert. „Robin macht wirklich keine halben Sachen!“
„Ich bin mir nicht mehr so sicher, daß Robin etwas damit zu tun hat.“ In Johns Blick spiegelte sich eine Mischung aus Unglaube, Faszination und Alarmiertheit.
„Du meinst, wir haben es hier tatsächlich mit kleinen Aliens zu tun, die gerade auf deinem Teller gelandet sind und akribisch dein Schnitzel untersuchen?“ faßte Leela seine Gedankengänge zusammen.
Er mußte zugeben, es klang merkwürdig, wenn sie das so sagte. Allerdings ließ das Bild vor ihnen keinen anderen Schluß zu. Zwei der Wesen standen gerade bei einer Tomatenscheibe und schienen ihre Meinungen darüber auszutauschen. Wenn den beiden U.N.I.T.-Mitgliedern eines immer mehr bewußt wurde, dann, daß sie es hier nicht mit einem ausgefeilten Kinderspielzeug zu tun hatten.
Die zwei Tomatenaliens gingen zu ihren anderen drei Kameraden herüber, die sich mit einer Käseprobe beschäftigt hatten. Die fünf diskutierten eine Weile, berieten sich anscheinend, und plötzlich nickte einer von ihnen. Er zückte eine Flagge, die er bis dahin auf dem Rücken getragen hatte - sie zeigte einen grünen Ball mit einem gelben Ring, und mochte ihren Heimatplaneten darstellen - und rammte sie in den Käseboden.
An dieser Stelle war für John eine Grenze erreicht. „Okay, das geht zu weit!“ ereiferte sich der Sergeant. „Untersuchen, okay! Aber niemand erhebt Anspruch auf mein Schnitzel!“
Leela reagierte geistesgegenwärtig und hielt ihn davon ab, die Flagge wieder aus dem Käse zu rupfen, oder schlimmeres, was auch immer ihm gerade in den Sinn gekommen sein mochte. „Beruhige dich!“
„Beruhigen?“ Er sah sie verzweifelt an. „Ich habe Hunger!“
„Weißt du denn nicht, was hier gerade passiert?“ beschwor sie ihn. Ihr Blick reichte ihm bis in die Seele, und ihr Lächeln machte ihm latent Angst. „Wir haben hier Erstkontakt mit einer fremden Spezies, mutmaßlich von einem anderen Planeten! Wir können versuchen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen und etwas über sie herauszufinden, vielleicht können wir sogar Freundschaft schließen! Ist es dir das nicht wert, ihnen dafür dein Schnitzel zu überlassen?“
Er gestikulierte hilflos. „Was wollen sie denn damit machen? Eine Kolonie darauf bauen?“
„Vielleicht können wir ja darüber verhandeln!“ schlug sie vor.
„Toll! Bis dahin ist das Schnitzel kalt!“ beschwerte er sich.
Seine Freundin rollte als Antwort die Augen; in dem Moment wurden sie allerdings abgelenkt und beobachteten, was sich weiter auf seinem Schnitzel tat. Die kleinen Außerirdischen schienen zufrieden und machten sich gerade auf den Rückweg zu der Scheibe, die sie wieder in ihr Raumschiff bringen würde.
„Ich werde dieses Schnitzel gleich trotzdem essen!“ stellte John klar.
„Jetzt warte es doch erst einmal ab!“ setzte Leela verzweifelt dagegen. „Du weißt ja noch nicht einmal, was sie für Möglichkeiten haben, ihre Forderungen durchzusetzen! Unterschätz sie nicht, nur weil sie nicht so groß sind!“
„Was soll dieses kleine Miniraumschiff denn schon ausrichten können?!“ argumentierte er und registrierte nur am Rande, das die Scheibe gerade wieder zum Fenster hinausflog, während er vehement seinen Standpunkt vertrat. „Das hier ist mein Schnitzel! Es können doch nicht einfach so ein paar Außerirdische herkommen und Anspruch darauf erheben!“
Sie stöhnte auf. „Dann tu es wenigstens für kommende gute freundschaftliche Beziehungen!“
„Ich hätte dich mal erleben wollen, wenn sie auf deiner Lasagne gelandet wären!“ konterte er aufgebracht.
„Ich würde mich dann nicht so kindergartenreif aufführen!“ schoß sie zurück.
„Kindergartenreif?“ Er lachte auf. „Es geht hier um den reinen Überlebensinstinkt!“
„Wegen einem kleinen Raumschiff, meine Güte!“ Ihre Stimme nahm einen Tonfall an, als würde sie ein unverständiges Kind tadeln. „Du übertreibst maßlos, und das weißt du!“
In ihrer Diskussion bemerkten sie kaum, wie um sie herum mit einem Mal immer mehr Aufruhr herrschte. Auch, daß sich draußen der Himmel verdunkelt hatte, hatten sie gar nicht richtig wahrgenommen. Erst als Captain Fran Ashford nahe ihres Tisches stehen blieb und „Invasion!“ brüllte, wurden sie sich bewußt, daß mittlerweile alle aufgeregt an den Fenstern standen und hinaussahen.
Automatisch wandten die beiden den Blick aus dem Fenster und erstarrten. Am Himmel erkannten sie unzählige kleine, silberne, sich drehende Scheiben – so viele, daß man das Blau des Himmels nirgends mehr erkennen konnte. Sie erstreckten sich bis zum Horizont, so weit das Auge reichte.
John schluckte und atmete kontrolliert. „Ein kleines Raumschiff? Das war der Erkundungstrupp!“ hauchte er.
Leela warf ihm einen beklommenen Blick zu. „Ich fürchte, das Schnitzel ist jetzt nebensächlich…“