Beitrag zum 25.08.2019
Thema: »Mondscheinserenade«
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Es war eine Nacht, in der der Sturm eine neue Melodie der Welt mit sich brachte. Wolken bedeckten den Mond, sodass die Schatten des Waldes zwischen den Bäumen hervortraten und im Regen tanzten. Jedes Tier hatte sich in seinen Unterschlupf gekauert; die Erde erbebte sacht unter dem Pulsieren zahlreicher aufgeregt schlagender Herzen. Der Wind sauste durch Gräser, Höhlen, Äste und nahm die Stimmen, die er erzeugte, mit sich, und trug sie zu einem kleinen Felsen. Dort lauschte eine pelzige Gestalt neugierig auf seine Ankunft. Sie hieß Taluna und war eine Mondwölfin. Die Mondwölfe regierten über Minnardom und beschützten ihr Königreich und die darin lebenden Wesen. In der Nacht baten sie den Mond in ihren Liedern um Beistand und dankten ihm gleichzeitig für alles Gute und Schöne, das in Minnardom geschah.
Tagsüber genossen sie die Zeit miteinander: das Jagen, das Spielen, die Streifzüge durch den Wald. Die jüngeren Wölfe lernten von den Älteren alles, was sie wissen und können mussten, um ein eigenes kleines Rudel zu schaffen oder sich allein durchzuschlagen. So wie Taluna. Die kleine Mondwölfin war eigentlich noch zu jung, um eigene Wege zu gehen, doch ihre Bindung zum Mond war eine ganz besondere. Kein anderer Mondwolf hatte jemals so eine geheimnisvolle Verbundenheit zu dem Empfänger ihrer Lieder gehabt. Taluna schätzte diese Freundschaft sehr. Sie sang dem Mond nicht nur Dank- oder Bittlieder, sondern kommunizierte mit ihm auf eine Weise, die die anderen Mondwölfe nicht kannten: Ihre Lieder waren Serenaden, Balladen voller sehnsuchtsvoller Wünsche, Nocturne ihrer Ängste, die sie dem Mond anvertraute. Jede Nacht, auch in solchen wie dieser, in der neue Klänge ertönten.
Aus den Windwehen formte sich eine blasse Gestalt und schwebte vor Taluna, die sich freudig aufrichtete.
»Viry, schön dich zu sehen! Bringst du mir ein Lied?«, fragte sie aufgeregt. Viry, der Windreiter, lachte. Blasse lange Haare umrahmten sein schmales Gesicht, der restliche Körper war unter einem weiten Gewand versteckt. Windreiter nahm man normalerweise als flüchtig vorbeihuschende Schatten wahr. Sie bewegten sich immerzu fort. Blieben sie mal stehen, so konnte man in dieser Luftblase, die im Wind tanzte, jede Gestalt sehen, die einem in den Sinn kam. Meist waren es Erinnerungsfetzen an etwas oder jemanden, die man bewusst nicht wahrgenommen hatte. Oder Bekanntschaften aus Leben, die man früher gelebt hatte.