Hermine liegt in ihrem Bett und lauscht dem Regen, der auf die alten Zinnen des Gryffindor Turms aufprallt. Sie hat soeben das Kapitel über Vergessens Zauber durchgelesen und legt das Buch auf ihrem Nachttisch ab, der von einer kleinen magischen Flamme im Glas beleuchtet wird. Parvati schläft unruhig. Sie wälzt sich von der einen zur anderen Seite und spricht alle paar Minuten undeutliche Wörter. Hermine schaut sich die kleine Phiole mit dem Liebestrank an und ist nachdenklich. Sie ist sich nicht sicher, warum sie heute im Unterricht den Liebestrank abgefüllt hat. War es wieder ihre Neugierde, die sie dazu getrieben hat? War es vielleicht sogar Verzweiflung? Sie ist sich ungewiss - es könnte auch beides sein. Sie hadert mit sich selbst, ob sie die Phiole behalten oder wegwerfen soll. Hermine steht auf, nimmt ihre Decke, setzt sich auf die breite Fensterbank des Erkerfensters und schaut hinaus. Die brennenden Fackeln erleuchten das Schloss in der Dunkelheit und der Mondschein spiegelt sich im großen See weiter außerhalb. Es ist fast wieder Vollmond. Hermine denkt jeden Vollmond an Remus und hofft, dass es ihm gut geht. Trotz dessen, dass sie in letzter Zeit viel erlebt und viel Zeit mit ihren Freunden verbracht hat, fühlt sie sich allein. Sie wäre gerade gerne bei ihrer Familie und fragt sich, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie keine magisch-begabte Hexe wäre. Hermine fängt an zu weinen.
Sie richtet sich nach einer Weile auf, steht mit ihren Füßen auf dem kalten Stein und öffnet die obere Klappe des Fensters. Ein kalter Luftzug weht durch den Raum, der die roten Vorhänge der Himmelsbetten in leichtes Wanken bringt. Sie schließt ihre Augen und konzentriert sich.
„Expecto Patronum.“ flüstert Hermine und ein schwach-leuchtender Otter entsteht aus ihrem Zauberstab, der einmal um sie herumspringt und vor ihr stehen bleibt. Der Otter schaut sie erwartungsvoll an.
„Nun geh schon.“ flüstert sie ihrem Patronus zu und der Otter schlüpft durch das Fenster in die dunkle Nacht. Ihre Augen verfolgen den Otter, bis er hinter den Bergen verschwindet. Hermine holt die Phiole hervor.
„Was passiert eigentlich…“ flüstert Hermine leise vor sich hin.
Sie fragt sich was passieren würde, wenn man den eigenen Liebestrank trinkt. Ist man selbstverliebt oder wird arrogant? Fühlt man sich danach einfach großartig wie bei einem Euphorie-Elixier? Nimmt man sich mehr Zeit für sich selbst und ist optimistischer?
Im Zaubertränke Buch steht davon nichts und Slughorn hat auch nichts erwähnt. Wer würde sowas auch tun wollen? Mit Ausnahme von Gilderoy Lockhardt vermutlich, der in eigenem Liebestrank wohl baden ging. Es wird nie eine wahre Liebe sein, denkt sich Hermine, egal ob sich nun eine andere Person magisch in einen verliebt oder man selbst. Man belügt sich.
Sie zieht den Korken aus der Phiole und riecht den wundervollen Geruch von Rons Haaren. Sie zögert einen Moment, um Willenskraft zu sammeln und gießt den Trank aus dem Fenster, der sich mit dem Regen vermischt und zu Boden fällt. Sie schließt das Fenster vorsichtig. Hermine drückt den Korken wieder in die Phiole, als der Raum sich plötzlich erhellt. Ein Patronus nähert sich ihr und bleibt auf dem kleinen Vorsprung sitzen.
„Fawkes?“ flüstert Hermine erstaunt und setzt sich hin, um ihn näher zu betrachten.
„Schön, dass du mich besuchen kommst.“ antwortet sie ihm und bekommt ein Lächeln auf dem Gesicht.
„Hast du gesehen, dass ich traurig bin?“ fragt sie ihn und er wankt leicht auf seinen Krallen.
Der Phönix-Patronus zappelt mit den Flügeln und schaut Hermine durch die verschwommenen Fenstergläser in die Augen, bevor er wieder im Dunkeln verschwindet.
Hermine fühlt sich nicht nur wieder besser, sondern großartig. Sie legt sich in ihr Bett und pustet sachte die kleine Flamme auf ihrem Nachttisch aus, doch dabei verharrt sich ihr Blick auf der Karte des Rumtreibers.
„Lumos.“
„Ich schwöre feierlich, ich bin ein Tunichtgut!“ sagt Hermine auf und tippt die Karte an.
„Okay, ja können wir machen.“
Hermine erschreckt sich, doch es war nur Parvati, die wieder im Schlaf redete. Sie entfaltet die Karte und sieht Albus Dumbledore, der gerade von seinem Büro in sein Schlafgemach geht, sowie Filch der im fünften Stock umherwandert. Während der Ravenclaw und Hufflepuff Gemeinschaftsraum keine Bewegung aufzeigt, so gibt es noch einige Schüler im Slytherin Gemeinschaftsraum, die noch wach sind. Hermine entfaltet den Teil des Gryffindor Turms.
„Wo ist Harry?“ fragt sich Hermine, die ihn weder im Schlafraum noch im Bad nebenan entdeckt.
Sie schaut im Schlafsaal von Ginny nach, doch auch Ginny ist verschwunden. Hermine wird sehr neugierig und sucht Stockwerk für Stockwerk nach ihnen.
„Wo steckt ihr bloß?“ flüstert Hermine angestrengt, als sie gerade den Teil des siebten Stockwerks entfaltet.
Harry und Ginny laufen dicht aufeinander den Korridor entlang, bevor sie erneut umkehren.
„Aber natürlich!“ denkt sich Hermine und springt auf.
Mit Hilfe der Karte erreicht sie den siebten Stock unbemerkt, da Filch sich mittlerweile im sechsten Stockwerk befindet.
„Was mach ich da?“ fragt sich Hermine, doch weiß die Antwort bereits in ihrem Inneren.
Hermine nimmt ihren Zauberstab, klopft sich auf den Kopf und wirkt einen Zauber. Der Desillusionierungszauber, den sie von Moody letztes Jahr gelernt hat, wirkt ausgezeichnet und passt ihr Aussehen ihrer Umgebung an. Hermine nähert sich dem Korridor, indem sich Harry und Ginny gerade befinden, um den Raum der Wünsche zu suchen.
„Nox.“ wirkt Hermine lautlos und geht um die Ecke.
Sie sieht, wie Harry den Tarnumhang von ihren Köpfen zieht und eine große Tür sich öffnet, welche den Korridor erhellt.
„Wir haben ihn gefunden!“ sagt Ginny vor Freude, erlischt ihren Lumos Zauber und zieht Harry an seiner Hand in den Raum.
Hermine nähert sich und steht vor der großen Tür, die sich gerade langsam schließt. Sie zögert für einen Moment und ihr Herz klopft sehr schnell. Im letzten Moment schlüpft Hermine durch die Tür und wünscht sich nur eins: hoffentlich wird sie nicht erwischt!