Es wurde später als erwartet.
Davon abgesehen, dass Julius niemals erwartet hätte, freiwillig eine so lange Zeit am Stück mit Freddie verbringen zu können, ohne ihn im Affekt auf den Mond zu schießen oder versehentlich an einer Autobahnraststätte zu vergessen, war es sogar erstaunlich nett hier.
Nur wenige Leute verirrten sich ins Silver Lining, die meisten Gäste verabschiedeten sich nach der Bestellung zum Mitnehmen gleich wieder, die übrigen verließen ihre Sitznischen im Diner ebenfalls recht zügig, nachdem sie bezahlt hatten. Das Klackern von Tonis Absatzschuhen übertönte das leise Murmeln aus manchen Ecken um ein Vielfaches, während sie geschäftig zwischen den verschiedenen Tischen, der Theke und den für die Besucher verborgenen Räumlichkeiten dahinter herumflatterte. Erstaunlich oft kam sie dabei zu ihnen zurück, obwohl Julius extra einen ruhigen Platz ganz versteckt in der letzten Ecke gewählt hatte. Meistens warf sie den beiden Männern nur ein verstohlenes Lächeln zu, manchmal zwinkerte sie kurz, selten fragte sie, ob sie denn noch etwas bestellen wollten oder ob alles in Ordnung war. Draußen hörte es auf zu regnen, Freddies Tee war mit Sicherheit nicht mehr ganz so warm und Julius bestellte gerade den dritten Cappuccino, als sein Blick auf den Kugelschreiber fiel, mit dem Toni sich das Getränk notierte.
Ohne darüber nachzudenken, deutete er diskret auf ihre Hand und zeigte sich sofort interessiert, „Kann ich den mal sehen?“
Tonis Blick fiel überrascht in die angezeigte Richtung, sie runzelte die Stirn. Kurz wirkte das arme Ding ganz schön irritiert, als würde sie vergeblich nach irgendeinem interessanten Anhaltspunkt suchen und dabei immer nervöser werden.
„Den Stift, meine ich“, erklärte Julius sich knapp.
Ihr fiel sichtbar ein Stein vom Herzen und sofort strahlte sie wieder über das ganze Gesicht. „Schickes Modell, nicht wahr? Sie können sogar einen haben“, Toni lachte herzhaft und griff in die kleine Umhängetasche, in der sie das Portemonnaie für Wechselgeld und das Kartenlesegerät aufbewahrte, „Ich habe geschätzt noch fünfhundert Stück. Ich bin froh, wenn ich ein paar davon loskriege!“
Argwöhnisch wandte Julius den Blick zu Freddie, doch der schlürfte immer noch genüsslich seinen sicherlich mittlerweile eiskalten Zuckerschock-Tee.
Toni beförderte gleich zwei der Kugelschreiber ans Tageslicht und präsentierte sie stolz ihren beiden mittlerweile einzigen Gästen. Julius wagte nicht auf die Uhr zu schauen, ob es wirklich schon so spät war oder ob das Geschäft im Silver Lining allgemein eher schleppend lief. Wundern würde es ihn nicht.
„Hier, die sind für euch“, sie strahlte über das gesamte Gesicht, obwohl sie nicht einmal ahnen konnte, warum Julius Interesse an einem mit Werbung bedruckten Kugelschreiber hatte. „Wenn ihr noch mehr brauchen solltet-“, sie lachte fast hysterisch und winkte peinlich berührt ab, „Ihr wisst ja jetzt, ich sitze an der Quelle!“
Julius drehte den Kugelschreiber elegant in den Fingern um die eigene Achse und legte den Kopf schief, „Wie kommt man zu so vielen Kugelschreibern von-“ Er tat so, als müsse er erst einmal lesen, um nicht aufzufallen, „OLASCO?“
„Ach“, Toni wedelte beiläufig mit der Hand, „Das ist ein Fehldruck. Mein Bruder hat sie mir alle geschenkt, im Keller müsste sogar nochmal eine Kiste sein“ - Sie unterbrach sich selbst mitten im Satz und beugte sich über den Tisch, um Freddie den Kugelschreiber aus der Hand zu nehmen.
Dieser hatte ihn wohl lediglich zur Hand genommen, um in seiner Nervosität mit irgendetwas rumspielen zu können, weswegen er sich nun fast an seinem Tee verschluckte, als sich ihre beiden Hände berührten.
Julius musste unwillkürlich schmunzeln.
„Das Design war ganz anders geplant als es nun tatsächlich aus dem Druck kam“, erklärte Toni geduldig, während Julius amüsiert bemerkte, dass Freddie mit ganz anderen Dingen beschäftigt war als ihren Ausführungen zum Kugelschreiber. Sie deutete auf die verschiedenen Buchstaben im leicht verfälschten, aber dennoch wohlbekannten Logo und meinte beiläufig, „Seht ihr? Es sollte eigentlich nur das A eine andere Farbe haben. Und jetzt ist es das A und das O.“
Freddie versuchte wohl es irgendwie zu schaffen, den Kugelschreiber anzuschauen, statt Toni einfach nur wie gebannt anzustarren. Er scheiterte kläglich, aber Julius witterte schon längst eine ganz andere Beute.
„Das A und O“, wiederholte er schmunzelnd. „Ihr Bruder arbeitet also in einer Druckerei, die Werbegeschenke für OLASCO herstellt? Das klingt durchaus interessant!“
Toni lachte schrill. „Nein, nein. Tut mir leid, aber wenn Sie jemanden für Drucksachen brauchen, würde ich mich wirklich nicht an diesen Anbieter wenden- Wie gesagt!“
„Ja, ja“, unterbrach Julius schnell, „Es ist das A und O. Nicht nur das A. Haben wir verstanden, also- Ich zumindest.“
Freddie nickte mit offenem Mund, vielleicht entweder erneut verstummt oder einfach nur von Amors Pfeil getroffen. „Aber wenn ich es nun richtig verstanden habe, dann-“, Julius musste sich zusammenreißen, seine wahren Intentionen nicht durchdringen zu lassen. „Dann arbeitet Ihr Bruder bei OLASCO?“
Toni wiegte lachend den Kopf hin und her. „Kann man so sagen, ja“, meinte sie grinsend. Voll ins Schwarze. Glückstreffer. Julius triumphierte innerlich.
In seinem Kopf rasten die Gedanken durcheinander, doch noch bevor er sich entscheiden konnte, welche der Fragen, die ihm auf der Zunge brannten, am wenigsten Aufsehen erregen würde, räusperte sich Freddie schüchtern.
Etwas unsicher rutschte er auf seinem Platz an der Bank hin und her, brachte mit hochrotem Kopf kein einziges Wort heraus. „Was denn“, murrte Julius ungeduldig. Freddie seufzte schwer. Er sah sich suchend um, als würde er nach dem sichersten Fluchtweg Ausschau halten und konnte sich vor Unruhe kaum auf seinen vier Buchstaben halten. Toni von Silver Lining war glücklicherweise durch irgendeine unverhoffte Verbundenheit zwischen zwei komischen Käuzen des Gedankenlesens mächtig und deutete mit einem schiefen Lächeln auf eine Tür hinter der Theke, die mit einem Pfeilsymbol markiert war, neben dem zwei aufgemalte Menschen standen.
Julius überlegte, ob ein einfacher Dank reichen würde oder ob er ihr einen Schrein errichten sollte, um sie fortan als Göttin anzubeten. Vielleicht würde er sie irgendwann als Dolmetscherin einstellen, sobald sie sich damit abgefunden hatte, dass der Laden hier zum Scheitern verurteilt war.
Freddie brauchte gefühlt drei Stunden. Lange genug für Julius, um misstrauisch zu werden und sich extrem abgeneigt von weiteren Entscheidungen zu irgendwelchen Handlungen zu fragen, ob er sich vielleicht verlaufen hatte oder anderweitig Hilfe benötigte. Er sah sich nicht in der Lage und schon gar nicht in der Verantwortung, zur Rettung zu eilen. Vor allem aber hatte er entschieden keine Lust darauf. Um sich davon abzuhalten, sich die schlimmstmöglichen Horrorszenarien auszumalen – tatsächlich war im thematischen Zusammenhang der Örtlichkeit und den dort ausgeführten Tätigkeiten ein toter Mann auf blutverschmierten Fliesen noch einer der erträglicheren Fälle – verwickelte er Toni widerwillig in seichten Smalltalk, um auf eine passende Gelegenheit zu warten, in der er die Kugelschreiberthematik unauffällig wieder aufgreifen konnte.
„Ich erinnere mich daran, dass hier früher ein anderes Lokal war“, sinnierte Julius vor sich hin und Toni nickte eifrig. „Ja. Der vorherige Mieter hatte leider so viele Schulden, dass der Besitzer ihm gekündigt hat. Es war wohl eine lange Geschichte, am Ende wurde es ein bisschen hässlich und die Räumungsklage ging nur durch, weil das Wort Eigenbedarf fiel- keine schöne Sache, aber ich hoffe einfach, dass solche Vorfälle nicht bedeuten müssen, dass mein kleines Reich hier unter einem schlechten Stern steht!“ Sie lachte. Julius runzelte die Stirn. Erstaunlich viel Information für die Nachmieterin, schrieb er sich auf seinen mentalen Notizblock.
„Das kommt sicherlich darauf an, wie abergläubisch man ist“, antwortete er nur halbherzig. Toni lachte, als hätte er einen besonders guten Scherz gemacht.
„Sie lachen, als hätten Sie sich noch niemals mit dem Konzept von Karma beschäftigt?“, Julius konnte sich dem Drang nach einer Grundsatzdiskussion nicht erwehren. Toni winkte schnaufend ab, „Und ob. Ich bin mit allerlei Theorien vertraut, aber aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen: Unkraut vergeht nicht! Wenn jeder ohnehin genau das bekommen würde, was er verdient, frage ich mich, wieso so viele Verbrecher auf dieser Welt noch am Leben sind.“
Julius schmunzelte amüsiert. „Sie glauben an das Gute im Menschen?“, vermutete er wohl entweder extrem treffsicher, dass die gute Frau nervös wurde, oder so weit daneben, dass sie sich von ihm gekränkt fühlte. Innerhalb von Sekundenbruchteilen verdunkelte sich nämlich ihre Miene, als hätte er einen wunden Punkt erwischt, den er nicht einmal zuordnen konnte. „Ach, Sie haben doch keine Ahnung!“, warf sie ihm auffallend verärgert vor.
Interessant, notierte sich Julius in Gedanken, entweder auffällig Stimmungsschwankungen oder ein unsichtbares Fettnäpfchen, nach dem es sich zu Suchen lohnt. Toni aber steigerte sich wohl entweder gerade so sehr in ihre eigenen Gefühle und Vermutungen hinein, dass sie nicht mehr klar denken konnte, oder erwartete womöglich, dass andere Leute ihre Gedanken erraten würden, nur weil sie dazu fähig war. Julius war allerdings auch zu stolz, um zuzugeben, dass er keine Ahnung hatte, wovon sie eigentlich sprach, wenn sie ihm zugestand, so intelligent zu sein, dass er irgendetwas mit diesen kryptischen Worten anfangen konnte.
„Ich weiß genau, was Sie denken!“, ereiferte sie sich beleidigt, „Aber da liegen sie falsch! Ich habe mir das alles allein aufgebaut und ich bin garantiert auf niemanden angewiesen. Auf niemanden, hören Sie? Egal was die Leute sagen, die haben genauso wenig Ahnung wie Sie! Es ist nicht immer alles so einfach, wie es scheint.“
Julius hob zweifelnd eine Augenbraue. Noch während er sich fragte, ob er überhaupt Interesse daran hatte, den Inhalt dieses Gefühlsausbruchs verstehen oder zumindest erahnen zu können, atmete sie tief ein und entschuldigte sich zerknirscht.
„Tut mir leid“, Toni schnaufte erste einmal angestrengt durch. „Natürlich sind nicht alle Leute gleich. Ich möchte Ihnen auch gar nichts unterstellen, Entschuldigung. Es gab nur in letzter Zeit so viele Meinungen von Menschen, die gar nicht wissen, wovon sie sprechen!“
Julius schnaubte amüsiert, „Das ist doch immer so. Menschen wären keine Menschen, wenn sie nicht immer sehr viel mehr Meinung als Ahnung besitzen würden.“
Mit einem sanften Lächeln nickte Toni, so als würde dieser flapsige Spruch sie davon überzeugen, dass Julius für all ihre kryptischen Sorgen vollstes Verständnis hatte. Der war zwar immer noch damit beschäftigt, so zu tun, als wäre irgendetwas anderes als ein einziges großes Fragezeichen in seinem Kopf, aber er entschied sich schnell, dass es ihn vielleicht weder etwas anging noch wirklich interessierte, aber ihm die Beschäftigung damit vor allen Dingen eindeutig zu anstrengend war.
Fast als Wink mit dem Zaunpfahl blickte Julius demonstrativ auf seine Armbanduhr. Tonis Blick huschte zur Toilettentür. „Würden Sie mir vielleicht schon mal die Rechnung bringen, bitte?“, bat Julius. Toni nickte fast enttäuscht, schien aber doch zu zögern. „Sehr gern“, druckste sie noch herum, bis Julius sie erlöste. Seufzend erhob er sich und nickte ergeben, „Ich schau in der Zeit mal, ob mein Kumpel sich allein zurechtfindet oder eine helfende Hand gebrauchen kann.“
Die Herrentoilette war überraschend sauber für eine solche Absteige. Ein einziger gefliester Raum, die eine Wand nahm ein breiter Spiegel in Anspruch, unter dem auf einer Ablage zwei Waschbecken eingelassen waren. Neben jedem jeweils Seifenspender, Desinfektionsmittel und ein Fach für Papierhandtücher, unten drunter zwei große Papierkörbe. Gegenüber davon zwei Kabinen, flankiert von drei etwas indiskret nah beieinanderstehenden Pissoirs. Die Schritte von Julius Schuhen hallten an den Wänden wider, ansonsten war es fast gruselig still. Erst als er stehen blieb und verwirrt feststellte, dass keine der beiden Kabinen abgeschlossen war, hörte er ein leises Schluchzen. Julius fasste sich ein Herz, beugte sich leicht nach unten, um unter den Kabinentüren nach Schuhen Ausschau zu halten, in der Hoffnung, dass die Hose dazu nicht mehr heruntergelassen unter den Knien hing. Keine Schuhe. Gar keine. Keine Blutlache, kein Mann am Boden. Nichts.
Julius seufzte leise. Das Schluchzen verstummte. Julius klopfte wahllos an der ihm näheren Tür. „B-besetzt!“, ein klägliches Wimmern verriet, dass er mit der 50:50 Chance intuitiv Glück gehabt hatte. Kurz wartete er. Schniefen. Julius musste sich davon abhalten, nicht genervt zu stöhnen. Stattdessen haderte er mit sich selbst. „Komm schon“, meinte er schließlich so neutral wie möglich. Das Schluchzen wurde lauter. „Ich kann prinzipiell gut darauf verzichten, da jetzt reinzukommen. Aber wenn ich keine andere Wahl habe... Würdest du dich in der Zwischenzeit wenigstens anziehen?“ Schniefen. Schluchzen. Aber es wurde leiser. Die Tür öffnete sich. Mit geröteten Augen und verheultem Gesicht, laufender Nase und blutiger Lippe schaffte Freddie wankend die wenigen Schritte aus der Kabine, ehe er wieder schluchzte und an die Außenwand der der Kabine gelehnt auf den Boden sank, als könne er sich nicht auf den Beinen halten. Julius stellte erleichtert fest, dass er vollkommen bekleidet war und sich offensichtlich aktiv versteckt hatte. Der Klodeckel war geschlossen. Wie lange Freddie da gesessen hatte, konnte Julius nicht einschätzen. Ihm war schleierhaft, ob er nach dem Toilettengang plötzlich die Orientierung verloren hatte, ob ihn vielleicht währenddessen schon Panik ergriffen hatte, wieder nach draußen zu kommen, ob er das geplante Geschäft überhaupt erledigt hatte oder ob er eigentlich nur nach einem Vorwand gesucht hatte, sich zu entschuldigen.
Im Gegensatz zu Toni konnte Julius keine Gedanken lesen.
Allerdings kannte er Freddie und hatte eine gute Beobachtungsgabe.
Mit einem leisen Seufzen ließ er sich neben das in sich zusammengekauerte Häufchen Elend auf die Bodenfliesen sinken und sinnierte einige Momente lang im Stillen über sein Schicksal. Er wandte erst den Blick von der gefliesten Wand, als er spürte, dass Freddie mit zittrigen Fingern Halt an seinem Arm suchte und sich leicht gegen seine Schulter lehnte. Julius seufzte schwer, aber unwillkürlich musste er sich ein schiefes Lächeln abringen. „Gott hat dir einen Mund gegeben“, wollte er schimpfen, doch die tadelnden Worte klangen selbst in seinen eigenen Ohren viel zu gütig. „Ich meine, wenn man an sowas glaubt. Aber die Evolution hat das zumindest erledigt, denn ich sehe, dass du einen hast. Einen Mund kann man natürlich dafür nutzen, pausenlos Milchshake rein zu kippen, aber tatsächlich gibt es da sehr viel mehr Vielfalt in den Einsatzmöglichkeiten.“ Im Gegensatz zum eigentlichen Wortlaut klang die Art, wie er sprach, doch erstaunlich sanft, fast verständnisvoll, sodass Julius seine eigene Stimme kaum wieder erkannte. Freddie klammerte sich an ihm fest. Julius seufzte nochmals leise und legte seinen Arm um ihn.
„Ich würde es begrüßen, wenn du mir ein deutlicheres Zeichen dafür gibst, Hilfe zu brauchen, anstatt dich klammheimlich zu verpissen. Wollen wir das beim nächsten Mal ausprobieren? Was meinste?“ Freddie blinzelte ihn schuldbewusst an, schaffte aber ebenso ein kleines verkniffenes Lächeln. Julius zwinkerte ihm zu. „Kriegen wir mit Sicherheit hin. Nun komm, Rambo. Es ist spät, du gehörst ins Bett. Ich fahr dich nach Hause.“
Julius hatte das Gefühl, dass Toni sich schon in Bewegung gesetzt hatte, als er die Türklinke von innen berührt hatte. Jedenfalls stand sie mit besorgtem Gesicht und handgeschriebener Rechnung auf dem Block direkt vor ihnen, als er Freddie am Arm aus dem Schutz des Fliesenzimmers zog. „Oh“, fiel ihr wohl nur zum Anblick eines blutigen Gesichts ein, dann reichte sie Freddie eine zitronengelbe Serviette als Taschentuch.
„Kneipenschlägerei“, entschuldigte Julius sich schulterzuckend, während er vergeblich nach Bargeld suchte und ihr stattdessen doch notgedrungen die Karte reichte, „Das kennen Sie sicherlich zu Genüge, wenn Sie zu solch später Stunde immer geöffnet haben!“ Toni zog verwirrt die Stirn kraus, stellte aber keine weiteren Fragen darüber, mit wem sich ein so gutherziges Menschlein wie Freddie wohl in einer ansonsten menschenleeren Spelunke angelegt hatte. Das Kartenlesegerät piepste schüchten. Julius nickte Freddie aufmunternd zu, steckte seine Karte ein und verabschiedete sich wortlos von der neuen Bekanntschaft mit einem knappen Lächeln.
„Kommt ihr öfters hierher?“, fragte Toni auffallend beiläufig, obwohl die beiden schon auf dem Weg zur Tür waren. Sie wirkte fast untröstlich, dass Julius trotz der zuvorkommenden Öffnungszeiten wohl nicht plante, die ganze Nacht hier zu verbringen oder zumindest Freddie ab jetzt hier auf einer Matratze unter den Tischen oder so ähnlich wohnen zu lassen.
Dieser sah hilfesuchend um sich und zuckte zerknirscht mit den Schultern.
Julius schmunzelte, „Ich bin mir sicher, das hätten Sie bereits bemerkt und auch nicht einfach so wieder im Eifer des Gefechts vergessen.“
„Ah, das stimmt“, sie lachte verlegen, warf einen kurzen Blick zu Freddie und errötete leicht, ehe sie sich fast zögerlich wieder an Julius wandte. „Aber, eigentlich meinte ich... vielleicht ab jetzt?“
Freddie verschluckte sich wohl an seinem eigenen Speichel. Er hustete. Julius hoffte inständig, nicht im Laufe des Tages unbemerkt eine Wimper im Auge gehabt zu haben. Toni blinzelte erwartungsvoll.
Julius lachte und zog grinsend den Kugelschreiber aus der Jackentasche. Wie als seltsamen Insidergruß eines fragwürdig hanebüchenen Geheimbunds von Geisteskranken hielt er ihn zum Gruß nach oben und zwinkerte Toni zu. „Wer weiß- vielleicht brauche ich ja bald Nachschub!“