Als alles anfing, war es kalt und dunkel auf der Erde. Nichts gedeihte und nur der überall gegenwärtige Tod wartete sehnsüchtig auf den Spross des Neuanfangs, um ihn in aller Ruhe zu ernten und sich einzuverleiben.
Nicht die ideale Vorstellung von Frieden, aber dafür umso effektiver. Es herrschte Ordnung und nichts traute sich diese zu stören.
Doch es sollte kommen, denn alles hat ein Ende.
Früher oder später, gewann auch der Feind: das Leben.
Der Tod, erbost darüber das ihm was entgangen sei, wütete über der Erde, auf der Suche den Entkommenen.
Die Gefühle des Lebens waren ihm entgangen, denn sie waren gefeit und ihr Drang, Wärme und Leben dieser kargen Erde einzuhauchen war schwer wiegend, sodass sie alles auf sich nahmen und flohen.
Um möglichst lange zu überstehen teilten sie sich auf und gründeten in ihren Zufluchten eine neue Heimat.
Die Freude verzog sich in die trostlosen, unfruchtbaren Wälder und baute sich, seiner Frau die Lust und ihren zahlreichen Kindern Baumhäuser, sodass der Tod sie nicht finden möge, da er ja auf dem Boden wandle. Die Lust hauchte dem Wald Leben ein, sodass er Früchte trug und die Freude lobte sie. Ihre Kinder fanden Gefallen daran, dass sie so weit hoch oben lebten und dem Himmel so nah waren.
Der Zorn verbrüderte sich mit dem Hass und zog ganz ohne Furcht, eines der schreckhaften Gefühle, dass sich an der Angst klammerte und ihr bis in die kalten, schneebedeckten Berge folgte, in die weiten Ebenen und schlugen aus dem harten Boden Brocken heraus, mit denen sie sich und ihren Menschen eine Siedlung errichteten. Viel war nicht über diesen Ort bekannt, denn selbst die Neugier traute sich nicht nahe an sie heran.
Das Eisschloss der Angst und der Furcht, kam ganz nach ihnen selber: dunkel und verwandt. Die meisten verwechselten die beiden, doch das konnten sie niemandem übel nehmen, sie waren schließlich nie aufzufinden in ihren geheimen Verstecken.
Die Trauer fand das Meer, salzig, kalt und einsam. So stellte sich die Trauer das Leben vor und in aller Bescheidenheit baute sie ein Haus aus Stein und weinte fortan jeden Abend die Wellen an, die das Haus umarmten. Die Menschen die dort hervorkamen waren nur wenige und sie hatten nur Stein und das Meer, aber das reichte ihnen. Sie hatten nur die Wellen, das Salz und den Wind, aber mehr brauchten sie auch nicht.
Und dann war da noch der Hochmut, der mit dem Stolz und dem Ehrgeiz eine Festung direkt vor der Nase des Todes errichteten. Oder viel mehr über ihm, da die Festung hoch, dicht unter den Wolken flog. Das war wohl die Idee vom Hochmut und der Ehrgeiz hat es tatsächlich geschafft es umzusetzen. Teufelskerle. Der Stolz? Der stand da und rühmte sich dafür, obwohl er immer nur hinterher lief.
So lebten die Gefühle und ihre Menschen die sie gebaren und brachten Wärme und Leben in die Weiten der einst so kalten und trostlosen Erde.
Alle dachten, dass der Tod die Suche nach ihnen aufgab, ja Gerüchten zufolge lag er in einem ewigen Schlaf! Alle waren insgeheim beruhigt, dass der Tod sie noch nicht gestellt hatte und hinterfragten es auch nicht.
Eines Tages eckten die Gebiete der verschiedenen Gefühle aneinander an, sie hatten allen Platz aufgebraucht, denn vom Tod fehlte ja jede Spur.
Sie suchten nach einer Lösung, ja die Trauer wollte sich sogar ins Meer stürzen, was dem Hass wohl so gefallen hätte. Der Stolz, Hochmut und Ehrgeiz erkannten das Problem, denn der Himmel war voll, von den schwebenden Festungen und nahm das Sonnenlicht für die Bäume der Freude und der Lust weg, sodass diese wieder karg und leblos wurden.
Doch auch sie waren ratlos. Die Neugier schaute nur begiert zu und sehnte sich nach neuen Ereignissen. Von der Angst und der Furcht fehlte jede Spur, ganz wie man die beiden kannte. Der Zorn suchte sichtlich aufgebracht nach den beiden und war der erste nach hunderten von Jahren, der sie auch fand.
Und tatsächlich, alle waren da. Versammelt und ratlos, genau wie zu Beginn ihrer Geburt.
Ein schwarzer Nebel zog auf und schwang sich als undurchdringbare Barriere in einer Kuppel um die Anwesenden und vor ihnen stand der Tod.
"Auf diesen Moment habe ich lange gewartet."
Stille. Keiner wusste, was zu sagen war, keiner rührte sich.
"Ich habe lange nachgedacht, war lange erbost und habe lange gebraucht um zu erkennen, dass das was ihr Ordnung nennt, mein Chaos ist und umgekehrt."
Auf einmal packte der Tod sich an seinen Umhang und riss ihn von sich. Ein Lichtblitz nahm allen Anwesenden für einen Moment die Sicht, doch als sie ihre Augen aufmachten, trauten sie ihren Augen nicht: das Zwitterwesen, die Weisheit, stand auf einmal neben dem Tod.
Die Weisheit war das erste Gefühl, dass verloren ging, als die anderen Gefühle sich auf die Erde drängten.
"Als ich den Tod antraf, wie er tobte, redete ich mit ihm. Denn unsere Ziele sind die Gleichen."
"Wie konntest du uns nur verraten???" schrie der Zorn die Weisheit an.
"Du solltest uns führen und nicht uns hintergehen!"
Die Weisheit legte ein sanftes Lächeln auf sein Haupt und entgegnete seelenruhig: "Aber wie können wir sein, wenn wir auf unbegrenzter Zeit hier wandeln? Wie können wir sein, wenn wir Ordnung erhalten, ohne das Chaos zu kennen? Was hätte das Leben denn für eine Bedeutung, wenn wir unsterblich verbleiben?"
Die entsetzten Gesichtsausdrücke wurden zu beschämten Antlitzen, die zwar die Wahrheit erkannten, aber sie nicht verstehen wollten.
"Aber... Aber... Ich will nicht... nicht... sterben..." wimmerte die Angst auf einmal.
"Das musst du doch auch nicht entgültig, du wirst wiedergeboren, in den Menschen. In allen Menschen, die wir alle hervorbrachten. In all den Menschen, die nun nach einigen Jahrzenten sterblich werden würden." belächelte die Weisheit die bekümmerte.
"Ich willige ein!"
Alle drehten sich zum Hochmut um.
"Was sagst du da???" zischte der Stolz.
"Du willst dich ergeben?!"
"Natürlich nicht, nichts könnte mich klein kriegen! Aber was die Wahrheit sagt stimmt! Es muss sich was ändern."
"Ha! Das ich nicht lache! Genau du, der ach so tolle Hochmut, der ewig lebt und der alles kann, erklärt sich bereit, zu sterben?!"
"Ich sterbe ja nicht für immer. Weisheit hat es doch erklärt und schau dich mal um, wir haben nur, aber geben nichts. Und erst wenn wir wieder geben, so kann ich in all denen, in denen ich geboren werde, die Welt erneut erobern."
"Wa- Was zum...? DU die Welt erobern? Ok so kenn ich dich wieder!" lachte der Stolz.
"Ich nehm dich beim Wort! Und ich werde dir natürlich helfen!", klopfte der Ehrgeiz schmunzelnd dem Hochmut auf die Schulter.
Die Trauer, nahm die Angst und die Furcht an den Händen: "Wir müssen gehen, es ist sinnlos zu bleiben, es muss geschehen."
Die beiden strampelten und traten die Trauer, doch waren gegen ihren eisigen Griff voller Entschlossenheit und Resignation machtlos.
Der Hass blieb verbittert und still, doch selbst er erkannte scheinbar die Notwendigkeit.
"Wir haben keine Zeit mehr. Die Ordnung die ihr erschuft, bricht zusammen. Lasst uns gehen." der Tod schwang seine rissige Sense durch die Luft und eine Tür erschien.
"Es wird auch nicht weh tun, das verspreche ich, so wahr ich der Tod bin."
"Hast dir wohl ganz schön viel von der Weisheit abgeschaut, hm?", zwinkerte die Freude dem Tod schelmisch zu.
"Auf ein Neues Liebster. In jedem in dem ich wiedergeboren werde, werde ich auf ewig nach dir suchen.", küsste die Lust ihren Gemahl.
Die Tür schwang auf und alle packten sich an den Händen.
Zum aller ersten Mal, im Einklang, begingen die Gefühle ihren Weg gemeinsam und schritten durch die Tür.
Was dann geschah, weiß niemand mehr so genau.
Viele Menschen wurden krank, viele starben einfach weil sie so alt waren. Es herrschte Entsetzen aufgrund der neuentdeckten Sterblichkeit und ihre vermischten Gefühle, die nun ja in allen lebten.
Die Völker teilten sich, zerbachen fast, doch das Chaos gebar ihnen eine neue Chance, denn mit der Zeit kam auch die Weisheit und brachte wieder Ordnung.
Und so entstand eine neue Harmonie der Völker.
Alle lebten nun mehr, wissend, dass ihre Zeit begrenzt war.
Alle lebten nun mehr, da sie nun so viel mehr erleben durften, aufgrund ihrer neuen Gefühle.
So schimpfe nicht das Chaos, denn es kann wahrlich Wunderschönes mit sich bringen.