Innerhalb seiner glatten Wände, der sie einigenden Kanten, welche in klaren Ecken mündeten, verbarg der mit schwarzen Flecken gespickte Karton seinen Inhalt. In höchster Verwunderung, sodass der Gedanken Gewicht ihr Haupt neigte, besah sie die ob der schwarzen Punkte schmutzig scheinende Fassade. Schwer verriet sich die Masse des sich darin Befindlichen ihren Oberschenkeln - doch war es ihre einzige Kenntnis über den Inhalt des Päckchens.
Womöglich trennte lediglich eine Doppelschicht feinen Materials, durch Furchen seiner Selbst zusammengehalten, sie von einem bedrohlichen Gegenstand; einer Waffe, einer Klinge, Gift. Womöglich würde sie das Verpackte nicht zu benennen wissen, da seine Gestalt sich ihrer Bekanntschaft entzog. Womöglich enthielt der nackte Karton ein Präsent, welches des Empfängers Blick mit Glanz erfüllen sollte, sodass er sich der liebevollen Sorge eines nahen Menschens entsinnen würde. Eifrige Finger würden den Deckel von seiner Bettung trennen, der Inhalt erschlossen und - in Freude, Staunen, Dankbarkeit - belächelt werden. Beinahe drängte die Vorstellung ihre Mundwinkel zu einem Schmunzeln, wirkte die aufbrodelnde Wohligkeit in ihrer Brust doch wie eine Antwort auf die schattenhafte Spekulation. Jedoch könnte desgleichen die bloße Sehnsucht nach der Wahrheit jener entzückenden Möglichkeit sie von dieser zu überzeugen suchen.
Auf der ihr zugewandten Oberseite haftete ein sorgfältig angebrachter Zettel, den Adressaten lediglich mit Straße und Hausnummer benennend. Mit welcher Exaktheit sie das Papier doch auf der Mitte der kleinen Kiste befestigt hatte! Ihre Achtsamkeit linderte das Bedauern, sich nicht des Inhalts, welchen sie noch wenige Minuten zuvor in dem Päckchen verschlossen hatte, zu entsinnen; als hätte der in seine Lasche gleitende Deckel sogleich die Kenntnis um das Verpackte von ihr geraubt.
Trotz ihrer peinlichen Unwissenheit würde sie das Päckchen dem rechtmäßigen Besitzer überreichen, war ihre Bemühung um einen Versand doch gewiss nicht unbegründet gewesen.
Sich entschlossen von ihrem Bett erhebend, das Päckchen in den Händen haltend, besah sie den von fliegender Hand gezogenen Schriftzug der Straße, der Hausnummer, als - mit einem jeden Buchstaben, welchen sie las, einer jeden erkannten Ziffer - jähe Zerrüttung über ihre Schultern kroch.
Es waren die eigenen. Es war die ihr Haus bezeichnende Adresse.
Wie sonderbar.
Gemachsam durchschritt sie ihr Schlafgemach, den mit Fotografien geschmückten Flur - hier verschleierte der saphirblaue Läufer das Auftreten ihres Fußes -, ergriff den unter ihren Berührungen singenden Hausschlüssel, um, die angenehmsten Laufschuhe übergezogen, schließlich auf die Stufen vor der Haustür hinauszutreten.
Der feurige Kuss der aufsteigenden Sonne umhüllte sie hitzig. Noch schliefen die Besitzer der sich zu dem Fußweg reihenden Autos, noch aßen sie die erste Mahlzeit, noch wünschte niemand, an den äußeren Begebenheiten teilzuhaben; nur, sich selbst von der ruhevollen Reise der Nacht zu empfangen. Um Tonlosigkeit bemüht, setzte sie das Päckchen neben sich auf der Schwelle nieder.
Im Fortgehen wandte sie sich nicht um.