In der Buchhandlung, in der ich das Geburtstagsgeschenk für meine Kollegin Katharina kaufen wollte, dudelte Livemusik. Das ist schwer zu erklären, aber es handelte sich um die größte Buchhandlung in Köln, direkt am Neumarkt und einer Kette zugehörig, die irgendein Event zelebrierte, das in mir unbegreiflicher Form Teil der Lit. Cologne sein wollte. Gereizt wie ich war, weil ich das kürzeste Streichholz gezogen hatte, und somit verdonnert worden war, das Geschenk zu besorgen, ging mir das schräge Abspielen von Streichinstrumenten auf den Zeiger. Außerdem irrte ich schon seit gefühlten Stunden auf dieser Etage herum, ohne zu finden, was ich suchte.
Und je länger ich suchte, desto unbegreiflicher wurde mir, wie eine erwachsene Frau Anfang 30, eine aktive Polizeibeamtin der Abteilung für Kapitalverbrechen, so ein Buch lesen wollte.
Aber sie wollte.
Ich rupfte mehrere Bücher aus dem nächsten Regal und wurde nicht fündig.
Sie wollte ganz bestimmt.
Wir hatten Cornelius gefragt, auch ein Kollege und in Liebe mit ihr verbunden. Ich erinnere mich, fassungslos gewesen zu sein.
Der Schinken war nicht zu finden. Wütend stapfte ich an den Tresen, der leider, wie konnte es anders sein, direkt neben der miserabel gezimmerten Bühne mit dem Streichorchester platziert war, dem ich einen giftigen Blick zuwarf.
Der Cellist funkelte wütend zurück, aber ich schwöre, dass ich bereits beim ersten Hinsehen erkannte, wie unglücklich der erste Geiger des Ensembles über diesen entwürdigenden Auftritt in einer Buchhandlung wirkte. Mit der Geige unterm Kinn schaute er mich verzeihungsheischend an.
Es war unverzeihlich. Es klang entsetzlich.
„Guten Tag!“, schrie die Verkäuferin. „Wie kann ich Ihnen helfen? Suchen Sie ein Buch?“
Was war das denn für eine bescheuerte Frage?
„Nein! Ich bin auf der Suche nach einem paar bequemen Wanderschuhen!“
Sie blinzelte verwirrt. „Äh?“
Mit Rumms wuchtete ich meine schwere Beuteltasche auf den Tresen, klammerte mich aber weiterhin wütend an deren Henkeln fest. „Natürlich suche ich ein Buch! Ich nehme an, dass ich in einer Buchhandlung bin.“
„Ja, natürlich.“ Affektiert schleuderte sie ihr feines blondes Haar von der Schulter. „Um welchen Titel handelt es sich denn?“
Wie hieß das noch? Diese Musik machte mich wahnsinnig. Als es mir einfiel, bellte ich den Titel derart ins Gesicht der Trulla, dass sie erschreckt zurückwich.
„Bitte?“, rief sie dann. „Ich habe Sie nicht verstanden!“
„Kein Wunder! Was ist das für ein Mist hier?“ Mit der rechten Hand zuckte ich abfällig zum Orchester.
Sie reckte das Näschen in die Höhe. „Das WDR-Orchester spielt Auszüge aus dem Herrn der Ringe.“
„Heilige Scheiße!“ Ich fing an, in meiner Tasche nach dem Zettel mit dem Buchtitel zu wühlen, wurde aber nicht direkt fündig. „Ich wusste nicht, dass Tolkien komponiert hatte.“
„Hat er auch nicht“, zischte sie spitz. „Das ist eine moderne Kompo…“
„Ich bin erleichtert. Wenn er so komponiert hätte, wär‘ es ohnehin nötig gewesen, dass er sich aufs Schreiben verlegte.“
Der Mist-Zettel war nicht zu finden. Im Gequietsche und Gefiedel kramte ich in den hintersten Winkeln meines Hirns, mit Blick auf der ersten Geige. Ein leicht untersetzter Mann Mitte vierzig mit gequälter Miene.
„Ich glaube, es hieß die Tribute von Palmen“, rief ich. Nichts wünschte ich mir sehnlicher, als dass das Orchester endlich die öden quasselnden Bäume vertonte. Die schienen ja mitten in einer Schlacht zu sein.
Ich erntete ein mitleidiges Grinsen. „Die Tribute von…… Paukenschläge setzen ein meinen sie.“
Nun war es an mir, verwirrt dreinzublicken. „Die Tretboote von Panem?“
Aber sie antwortete nicht. Vielmehr stelzte sie hüftschwingend von dannen, entschwand einen Moment aus meinem Gesichtsfeld und kam mit einem Buch zurück. Mit was auch sonst? Mit einem Sandwichmaker?
„……einpa…?“
Die Pauken eskalierten. Ich stand kurz vor einer Explosion.
„Aufhören!“, schrie ich in die Richtung des Orchesters, das stattdessen an Tempo gewann und an Lautstärke zulegte.
„Ob ich es einpacken soll!“, blökte die Tussi.
„Auf gar keinen Fall!“, gab ich zurück, war aber schon mit der Handtasche unterwegs zum Orchester, um auf es einzuprügeln.
„Herr Müller!“, rief es hinter mir, und zeitgleich mit der dürren Tussi kam ein Typ hinter mir her, der die heranfliegende Tasche abfing. „Fräulein, das geht aber nicht“, nuschelte er dabei.
„Fräulein?“, keifte ich.
„Es ist wohl besser, wenn wir die Polizei rufen“, mischte sich die Verkäuferin ein.
„Ich bin die Polizei!“ Aus der Tasche fischte ich meinen Dienstausweis und hielt ihn ihr unter die Nase. „Antonella Bracco. Mordkommission.“
Ich sah sie schwer schlucken und hinter ihren Verkaufstisch zurückschleichen. Herr Müller zog auch Leine. Ich musste sehen, dass ich hier wegkam. Derweil ich nach meinem Portemonnaie kramte, fing im Orchester ein Streit zwischen den Violinen und dem Rest der Band an, offenbar angestachelt von der ersten Geige, denn die war verstummt. Das entging mir zum größten Teil. Völlig entgangen war mir, dass hinter mir jemand stand. Das merkte ich erst, als mir die Person auf die Pelle rückte. Das wurde ja immer unerträglicher. Erst der Lärm, das Kack-Buch für die Kollegin, die ich ohnehin nicht leiden mochte, und dann noch so ein übergriffiger Fremder. Ich schwang herum, die Handtasche erhoben, und war auf der Stelle froh, nicht zugeschlagen zu haben.
Vor mir stand Sebastian und lächelte mich schief an.
Mein Chef. Leitender Hauptkommissar der Abteilung für Kapitalverbrechen. Und nebenher die Liebe meines Lebens. Niemand kannte mich besser als er, sieht man vielleicht von meinen Brüdern ab. Und allein deshalb wusste er genau, was in mir vorging.
„Was machst du hier?“, rief ich so laut, dass ich mich vor mir selbst erschreckte, denn die Musik war vollständig zum Erliegen gekommen.
„Wir haben einen Toten“, wisperte er mir ins Ohr.
„Und da kommst du her, um mir das persönlich zu sagen.“
„Du gingst nicht ans Handy.“ Er versenkte beide Hände in den Anzughosen und lehnte sich an den Tresen, was bei ihm überwältigend aussieht. „Was bei dem Radau nicht verwunderlich war.“
Einen gehetzten Blick schickte ich zum Orchester. Die Cellisten und die Kontrabassisten sahen beleidig drein. Die erste Geige aber hatte ein Gespür für Stimmungen und lächelte wissend.
„Aber…“, wollte ich auf den weiten Weg vom Präsidium bis hierher anspielen, doch er winkte ab. „Der Tatort ist direkt hier in der Nähe.“
„Ah.“ Ich bezahlte so schnell es eben ging, und warf das Buch lieblos in die riesige Tasche. „Dann erzähl‘ mal.“
Er legte den Arm um mich, als wir zum Aufzug gingen. Ich schmiegte mich an ihn, und die erste Geige stimmte eine romantische Weise an.
Die anderen Streicher fielen darin ein.