Einst lebte ein Mann im Norden, stark und stolz und König über viele seines Gleichen, die er zu schützen und lieben gelobte hatte. Er wurde verehrt und sein Wort war allen Befehl, denn sein Rat hatte vielen das Leben gerettet. Man vertraute ihm, wie es im Norden nur selten geschah und schon bald wurde ihm vom alten Rat die größte aller Ehren zu Teil. Er wurde zum Wächter der eisernen Kerze ausgerufen, eines bedeutenden Artefakts, die, wenn man den Geschichten glaubte, mit dem ersten Feuer der Menschheit entzündet worden war und nicht einmal im stärksten Sturm erlosch. Demütig nahm der Mann und König die Bürde auf sich und schwor das Relikt, komme und koste es was es wolle, zu behüten.
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Jahre vergingen, und noch immer hütete der König seinen größten Schatz, doch Argwohn hatte ihn gleich einer Krankheit befallen und trübte seinen Geist. Hochmütig zog er sich von seines Gleichen zurück und Blind verschloss er die Augen vor seinen Pflichten. Allein der Kerze schienen seine Gedanken gewidmet und ihr allein galt seine Liebe.
Ein Streit entflammte in den Reihen seiner Untertanen und bald darauf baten Menschen, die ihn noch immer ehrten und liebten um Rat. Sie flehten ihn an, zu ihnen zurück zu kommen und die Last der Kerze an einen anderen abzutreten. Sie fürchteten, dass ihr König an ihr zu Grunde ginge und um ihr eigenes Schicksal, wenn selbst der Stärkste von ihnen an der kleinen Flamme zerbrach. Er verwehrte ihnen seine Gunst und verbarg sich voll Zorn mit der Kerze vor aller Augen. Zweifel befielen ihn, gegenüber sich selbst und den Motiven seiner Freunde.
Eines nachts, es stürmte und regnete weiße Flocken, verließ er seine Heimat und ritt tief in die schwarzen Nadelwälder, die die Ausläufer der Berge umschmeichelten. Er ritt viele Tage und trotzte der Kälte, bis sein Ziel weiß und schimmernd vor ihm lag. Der Wasserspiegel, ein See aus gefrorenem Mondlicht, an dem bereits die Riesen nach Rat gesucht hatten, erstreckte sich wie ein glitzerndes Band am Fuß des Gebirges. Zitternd brach der König an seinem Ufer zusammen, wartete auf ein Zeichen, auf eine Antwort der Götter.
War er in seinem Streben das heilige Licht zu hüten, zu weit gegangen oder begehrten die Menschen seines Reiches die Ehre seiner Aufgabe und wollten sie ihm mit ihren gespaltenen Zungen entreißen? Stunden saß der gekrönte Mann am Eis und weinte stille Tränen, trauerte um die Freunde, die er verloren und die ihn verraten hatten.
Der Himmel verdunkelte sich und zusammen mit dem Mond erhob sich der König und betrat das glatte Eis. Zorn brannte in seinem Herzen und ließ ihn festen Schrittes den See betreten, einen Ort der Geister und Heilung. Einen Ort, der allen Norden heilig war, ihn jedoch verschmähte. Ihn, einen König des kalten Landes und Hüter der eisernen Kerze. Die Götter verspotteten ihn mit ihrem Schweigen und den flüsternden Stimmen des Windes. Er verdiente ihre Antworten, hatte er nicht selbst sein Leben damit verschwendet, anderen bei ihrer Suche nach ihnen zu helfen? Aber wenn die Götter auf ihr Schweigen bestanden, musste er sie zum sprechen zwingen.
Wutentbrannt zog er seine Axt aus dem Gürtel und schlug mit der Kraft von zehn Männern in die eisige Oberfläche des Wasserspiegels. Wieder und wieder schlug er auf das kalte Eis und schrie seinen Zorn in den Himmel hinauf. Stille dröhnte ihm in den Ohren und seine Arme wurden mit jedem Schlag schwächer. Schwer atmend ließ er die Axt sinken und starrte mit tränenverhangenem Blick gen Himmel. Der hölzerne Griff entglitt seinen Finger und verschwand im dunklen Wasser des Sees, fiel durch das schwarze Loch, welches vor seinen Füßen in der weißen Spiegeloberfläche klaffte. Er starrte in seine Tiefen bis er sich gebrochen von seinem Werk abwandte.
Ein Schrei zerriss die Stille, als das Eis unter seinen Füßen qualvoll zerbrach und Schwärze umhüllte ihn, bevor er begriff das es sein eigener war. Seine Hilferufe blieben ungehört und die starren Bewegungen erfolglos. Eine Hand aus blauem Licht formte sich in der Dunkelheit, doch als der König nach ihr tastete, glitt seine behandschuhte Hand haltsuchend hindurch, keuchend schnappte er nach Luft.
Eine klare Stimme erklang und nun formte sich auch der Rest des blauen Lichtkörpers, seine Hand legte sich behutsam auf die Stirn des Königs und eine Träne rann über dessen Wange, gefror auf der kalten Haut. Liebkosend strich die blaue Gestalt über die verzerrten Züge des Herrschers und ein kaltes Lächeln umspielte ihre Lippen bis sein Gesicht unter der schwarzen Oberfläche verschwand. Der Wind heulte auf, und der See schien zu beben und zittern als sich die Oberfläche knackend schloss. Flüsternde Stimmen lagen in der Luft und Wolken bauten sich zu hohen, dunklen Türmen auf, während die Lichtgestalt sich erhob und kalt in den Himmel lächelte.
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Zur gleichen Zeit, viele Meilen entfernt, rief ein alter Mann den großen Rat zusammen. Seine Augen zeugten vom Leid vieler Jahre und tiefe Falten durchschnitten das kantige Gesicht. Bedrückendes Schweigen lag in der Luft und viele Blicke ruhten auf seiner gebeugten Gestalt. Langsam öffnete er die Truhe, die vor ihm auf der Tischplatte thronte und nahm ein Artefakt, kaum größer als seine Hand hervor. Ein Aufkeuchen durchschnitt die Stille als er dem Rat den Grund der Zusammenkunft offenbarte und die eiserne Kerze in ihre Mitte stellte. Sie war erloschen.