Kannst du die Blumen holen, um 15:30? Ich schaffe es leider nicht. Danke mein Herz <3
Die Worte auf dem Zettel hatte er schon mehrere Male gelesen, studiert, darüber philosophiert … na ja, letzteres weniger. Sie waren ja nicht sonderlich 'deep'. Und das wiederholte Lesen der Klebnotiz auf dem Faltprospekt in seinen Händen sorgte auch nicht dafür, dass die verbleibenden Minuten bis zu seinem Termin schneller vergingen.
Prompto schaute übers Steuer seines kleinen Stadtflitzers und strich sich seufzend die blonden Strähnen aus der Stirn, die unter seiner Mütze hervorlugten. Etwa hundert Meter entfernt, womöglich auch etwas weiter, sah er im wabernden winterlichen Dunst das Gebäude auftauchen und verschwinden, aus dem er Blumenarrangements abholen sollte.
»Brrrr«, machte Prompto bibbernd. Langsam kroch Kälte in das Fahrzeug. Er war vor über einer Viertelstunde auf den geräumigen und verlassen liegenden Parkplatz gefahren und hatte gleich den Motor ausgeschaltet, um Sprit zu sparen. Jetzt rieb er die Hände aneinander. »Hm, vielleicht doch die Heizung …« murmelte er. »Nicht, dass ich jetzt krank werde, weil ich auf die verdammten Blumen warte.« Er legte den Prospekt grummelnd auf den Beifahrersitz.
Die Blumen, die waren Ignis' Idee gewesen.
Für ihr erstes Weihnachten zusammen.
Und für sein allererstes Weihnachtsfest überhaupt.
Ignis war im Waisenhaus aufgewachsen und das Konzept dieser weihnachtlichen Festlichkeiten war ihm in etwa so fremd, wie als Kind morgens von einer Helikoptermama bis vors Klassenzimmer helikoptert zu werden. Er hatte niemals Weihnachten gefeiert und kannte sich mit den 'Traditionen' absolut nicht aus. Umso begieriger lauschte er Promptos Geschichten vergangener Partys.
Für Prompto war Weihnachten etwas, was er mit seinen Freunden feierte. Morgen, am 25. Dezember, wollten seine Freunde Cindy und Noctis, Aranea und Crowe abends zu ihnen kommen, zum gemeinsamen Schmausen und dann zum Feiern. Sie alle hatten dafür gesorgt, dass sie Tags darauf nicht arbeiten müssten, also … kurz und gut: Sie würden wahrscheinlich heftigst eskalieren.
Seit Wochen war Ignis fest entschlossen, Promptos weihnachtliche Rituale in die Tat umzusetzen. Und er wollte alles selbst machen. Sowohl das Brot als auch das Gemüse, den Braten und die Salate, Dips, Butter und natürlich den traditionellen Weihnachtskuchen. Und das frittierte Hühnchen nicht zu vergessen!
Zu Promptos Überraschung ging Ignis in der Idee völlig auf, wälzte jede Menge Kochbücher und recherchierte die besten Zubereitungstricks. Selbst die übliche Comic-Toilettenlektüre war von Magazinen voller Rezepte verdrängt worden. Ignis war Feuer und Flamme, denn ihr Weihnachtsessen wäre die erste größere Gelegenheit, seine unlängst entdeckte Küchenkunst einem Publikum zu präsentieren.
Prompto räusperte sich, drehte den Kopf nach links und schaute gedankenverloren aus dem Seitenfenster.
Ignis war für das Essen zuständig, Prompto für die Dekoration. In seinem Twentysomething-Leichtsinn hatte Prompto gedacht, ein paar Lichterketten und bunte Glaskugeln würden ausreichen. Doch er hatte seine Rechnung ohne Ignis' extrem anspornenden Größenwahnsinn gemacht. Je umfangreicher und ausgefeilter Ignis' Planungen wurden, desto mehr fühlte sich Prompto dazu genötigt, sich coole und eindrucksvolle Dekorationen auszudenken. Die Krönung seiner Kreativität würde er nun von dem Floristen holen: eine Girlande aus Christrosen und Tannenzweigen, und dazu kleine, wilde Gestecke aus Mistelzweigen, Schneeheide und Duftschneebällen.
Üblicherweise war so ein Schnickschnack recht teuer und beide, Ignis wie Prompto, wollten eigentlich nicht zu viel Geld ausgeben; nicht für einen einzigen Abend. Ignis‘ erstes Weihnachten sollte unvergesslich werden. Doch nicht unbezahlbar. Bei einer seiner zahllosen Schnäppchenjagden durch die größten und kleinsten Lebensmittelläden Insomnias, war Ignis auf den Faltprospekt der Gärtnerei gestoßen, der Blumenreste vor dem Feste zu Sonderkonditionen loswerden wollte. Der Haken: Die Gärtnerei befand sich eine halbe Stunde Autofahrt außerhalb der Millionenmetropole und weitab vom Schuss.
Unbewusst hatte Prompto ein kleines Herzchen in den Atem gemalt, den er an die Scheibe der Fahrerseite gehaucht hatte. Sein Mund zuckte zu einem nachdenklichen Lächeln. Dann zog er noch einmal den Faltzettel hervor und betrachtete ihn. Mit dem Daumen strich er liebevoll über die Klebnotiz.
mein Herz <3
Viele Dinge hatten sich seit dem Spätfrühling geändert, seit den Geschehnissen in Altissia, die Ignis lange verfolgt hatten. Der simpelste und dennoch eindrucksvollste Beweis dafür, dass etwas anders, besser war, war Ignis' Handschrift. Geschwungen und raumgreifend. Kraftvoll. Anders noch als vor ein paar Wochen. Ignis hatte Mut geschöpft. Mut für eine Zukunft.
»Eine gemeinsame?« intonierte Prompto seine eigene Unsicherheit in die Stille, verscheuchte den Gedanken dann mit einer Handbewegung und schaute lieber auf die Uhr. Er rollte mit den Augen, denn er hatte keinen Bock darauf, durch die Einöde zu eiern. Er war sogar ein bisschen angefressen und einzig der Gedanke daran, dass Ignis’ Augen beim Anblick der Blumen wie die eines aufgeregten Kleinkinds leuchten würden, hatte ihn bislang davon abgehalten, den Motor zu starten und zurück in die Stadt zu fahren. Prompto hoffte, dass er wenigstens vorm Abend wieder zurück in Insomnia wäre.
Aus einem guten Grund.
Weihnachten wurde mit Freunden gefeiert, ja. Doch der Weihnachtsabend selbst war für Liebespaare reserviert. Sprich: für Ignis und ihn. Ein kleines, romantisches Dinner. Ein Film vielleicht. Arm in Arm einschlafen. Prompto hatte derzeit keine sonderlich großen Ansprüche. Etwas Zeit mit seinem Freund zu verbringen, das würde ihm schon reichen.
Die letzten Wochen und Monate waren anstrengend gewesen, sie hatten beide viel zu tun gehabt, jeder von ihnen musste seine eigenen kleinen wie großen Kämpfe ausfechten. Meistens war Ignis vor dem Morgengrauen auf und aus dem Haus, während Prompto teils bis spät in die Nacht arbeitete. Sie verbrachten nicht viel Zeit miteinander, hatten jeder den Kopf voll mit wichtigen Dingen. Abschalten war da nicht. An manchen Tagen sahen sie sich kaum. Und das traf inzwischen auch ab und zu auf die Nächte zu. Dieser ständige Stress zerrte an Promptos Nerven und an seiner Geduld, und er fühlte sich zunehmend niedergeschlagen.
Er vermisste Ignis.
Er sorgte sich um ihn. Dass ihm alles zu viel wurde und er seinen Frust in sich reinfraß statt ihn mit Prompto zu teilen.
Und es war Prompto keine große Hilfe, heute, am romantischsten Tag des Jahres, nicht in der Stadt zu sein. Nicht bei Ignis zu sein. Nicht seine Nähe spüren zu können.
»Ja Götter verdammte«, sagte Prompto laut, schlug mit der flachen Hand gegen das Lenkrad und drückte dann mit Schwung die Tür auf. »Ich will nur den Abend mit dir verbringen und du schickst mich mitten in die Pampa, danke ey.« Er warf wütend die Tür zu, schloss ab und stapfte mit in den Jackentaschen versenkten Händen los. »Wahrscheinlich versagt nachher noch der Motor, wie in so einem dummen Horrorfilm.«
Er schüttelte sich, während er auf die Gärtnerei zusteuerte. Es war zwar nicht richtig kalt, doch die hohe Luftfeuchtigkeit, die für den wabernden Gruselnebel sorgte, kroch ihm bis in die Knochen. Den ganzen Tag bereits bot der Himmel nur grau in grau, und es roch nach Schnee. »Vielleicht heute Abend«, flüsterte Prompto, hielt im Gehen inne und schaute kurz hoch. Irgendwie sahen diese Wolken nicht sonderlich schneeversprechend aus. »Vielleicht besser so. Komme ich wenigstens heil nach Hause«, redete er mit sich selbst und näherte sich der Tür, die zu einem Gewächshaus gehörte.
Er trat auf den Absatz und wunderte sich einen Moment lang, bevor er den Klingelknopf betätigte, den er neben der metallenen Tür fand. Prompto hatte nirgendwo ein Fahrzeug gesehen, das potenziell dem Besitzer des Ladens gehörte. Und an der holprigen Landstraße hatte Prompto weit und breit keine anderen Häuser in Laufnähe gesehen. »Hmm«, machte Prompto und überlegte für den Bruchteil einer Sekunde, ob er wirklich klingeln wollte.
Da nahm ihm sein übereifriger Zeigefinger diese Entscheidung ab und drückte auf den Knopf. Kurz darauf ertönte ein Summen und die schwere Tür sprang von alleine ein kleines Stück auf. Aus dem Inneren des Gebäudes schlugen Prompto Licht und eine angenehme, fast schon schwüle Wärme entgegen. Er zögerte einen Moment, schob schließlich die Tür auf und fragte »hallo?« in die Stille hinein.
Er vernahm keine Erwiderung.
»Huh«, wunderte sich Prompto, ob sich denn überhaupt jemand in den beleuchteten Gebäuden befand. Neugierig und gleichzeitig nervös machte er ein paar Schritte vorwärts und zuckte zusammen, als hinter ihm die Tür mit einem Scheppern ins Schloss fiel. Vor Prompto lag ein Pfad aus lose liegenden, kleinen weißen Pflastersteinen auf Mulch, umrahmt von einem säuberlich kurz geschnittenen Rasen, Zierbäumen, Büschen und farbenprächtigen, leuchtenden Blumen. Es roch gut. Frisch. Ein bisschen feucht. Definitiv aber nicht aufdringlich. Prompto schnupperte unbewusst und runzelte gleichzeitig sehr bewusst die Stirn. Er hätte mit etwas mehr Effizienz beim Anbau der Blumen gerechnet und nicht mit … »Wassergeplätscher?«
Irgendwo musste es dem Klang nach einen künstlichen Springbrunnen geben. Oder vielleicht sogar mehrere. »Hallo?« wiederholte er mehr irritiert denn laut und wie von selbst machten sich seine Hände daran, die Mütze abzunehmen und seine Winterjacke zu öffnen. Es war sehr warm. Dazu kam, dass das Gewächshaus größer als in Promptos Vorstellung war. Er war nun ein paar Meter gegangen. Hinter sich sah Prompto nur noch dichtes Buschwerk. Vor sich ebenfalls. »Hallo? Ich soll hier etwas abholen!« Keine Reaktion.
Mit in die Seiten gestemmten Händen ließ er den Blick schweifen. Wegrennen oder weitergehen?
Als er sich abermals umdrehte, entdeckte er etwas versteckt einen kleinen Pavillon neben dem Weg. Promptos Neugierde siegte. Er näherte sich, und entdeckte im filigranen Holzbau ein kleines Schild und daneben ein Wasserbecken.
Streifen Sie den Alltag ab und reinigen Sie sich vom Übel.
Prompto konnte seinem Hirn beim Denken zuhören, so laut ratterte es, bevor es mit einem 'Pling!' ein Ergebnis ausspuckte. Er lächelte und schaute sich nochmals um, bevor er schließlich seine Jacke auszog und zusammen mit Mütze und Schal auf der Sitzbank des Pavillons ablegte. Anschließend tauchte er seine Hände in das kühle Nass.
Dieses Gewächshaus wurde scheinbar für Teezeremonien genutzt und ich Depp bin hier voll unvorbereitet reingeplatzt ... Womöglich hätte er einen anderen Eingang nehmen sollen. Womöglich würde er sich dann nun nicht dazu genötigt fühlen, den spirituellen Regeln einer Zeremonie zu folgen. Womöglich … womöglich … hätte, hätte, Chocoboautohupenalarmstutzen. Er grinste dümmlich, zumindest für seine Begriffe.
Das konnte er. Albern sein. Jedoch fehlte ihm das Selbstbewusstsein, in diesem Moment auf dem Absatz kehrtzumachen und unverrichteter Dinge wieder hinauszugehen. Obwohl Prompto zeitlich unter Druck stand, respektierte er die Gepflogenheiten seiner Mitmenschen. Und wenn er nun tatsächlich in einer Teezeremonie gelandet war, dann musste er da durch, koste es, was es wolle. Gedanklich allerdings korrigierte er seine Ankunft in Insomnia um eine weitere Stunde nach hinten. Oder zwei. Oder vier?! Je nachdem, ob auch Essen gereicht werden würde ...
Er beugte sich über das Becken und schenkte dem Spiegelbild seiner blauen Augen einen nachdenklichen Blick, bevor er mit der Hand Wasser schöpfte und sich den verkniffen verzogenen Mund wusch. Ich wirke zerknautscht, stellte er wortlos fest, während er sich abtrocknete. So fühlte er sich auch. Sein Herz machte ein bestätigendes Knautschgeräusch als er an Ignis dachte; daran, dass sich ihre Zeit zu zweit weiter verringerte.
Prompto seufzte und beschäftigte sich mit der Frage, ob er seine Sachen einfach im Pavillon liegen lassen konnte. Und dann war es ihm auf eine merkwürdige Art und Weise gleich. Die Aussicht auf die beruhigende und bezaubernde Magie einer bevorstehenden Zeremonie zog ihn in ihren Bann. Er hatte sich nun innerlich gewappnet. Sich eingestellt auf dieses überraschende Abenteuer. Schlechtes Gewissen und Bedauern vorerst zur Seite geschoben.
Prompto richtete seine Klamotten und betrat wieder den Weg. Während er auf leisen Sohlen dem Pfad folgte, ertönte neben dem Plätschern hin und wieder auch der Klang eines Glockenspiels, das ihm den Weg zu weisen schien. Bald schon erblickte er vor sich das Teehaus mit einer kleinen Veranda. Es war sehr schlicht und weil es sich dabei um ein Haus im Haus handelte, bestanden die Wände aus dem filigranen, auf Holzrahmen gespannten Shoijipapier, durch das man zwar alles hören, jedoch nichts sehen konnte.
Er lauschte einen Moment in der Hoffnung, etwas zu hören. Unwirsch kaute er kurz auf seiner Unterlippe. Dann bückte er sich und löste die Schnürsenkel seiner Schuhe.
Demut vor Tradition und Respekt vor dem Alter waren in der Kultur des Landes Lucis fest verankert; Überbleibsel einer Monarchie, die nicht mehr existierte. Doch die Rituale blieben erhalten. Und eines besagte: Begab man sich auf den Knien in den Teeraum, dann streifte man sinnbildlich das ab, was man in der Gesellschaft repräsentierte. Prompto wusste das sehr genau, denn er hatte bereits an einigen Zeremonien teilgenommen. Es mochte in Anbetracht ihres quirligen, unverblümten und lauten Wesens kurios klingen, doch Cindy, Promptos beste Freundin, liebte Teezeremonien und schleppte ihn immer mit.
Als Prompto den sanften und satten Ton eines Gongs vernahm, schob er seine Schuhe gerade mit einem Fuß zusammen. Dabei fiel sein Blick auf seine dunkelblauen Socken und er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ein Glück, dass er sein Leben nun seit rund acht Monaten mit einem gewissenhaften und manchmal auch nervig peniblen Mann teilte. Der achtete nämlich peinlich genau darauf, dass Prompto zueinander passende Socken trug, die obendrein frei von Löchern waren. Wieder ertönte der Gong und beim fünften Schlag ließ Prompto sich auf die Knie nieder und rutschte so über die Schwelle in das Innere des Teehauses.
Nach einem kleinen vorderen Bereich kam Prompto in den Teeraum selbst, der traditionell und deswegen sehr spartanisch eingerichtet war. In der Mitte war ein rechteckiges Kohlebecken in den Boden eingelassen. Zwei einfache Lampen, die links und rechts des Beckens an langen Kabeln von der Decke hingen, tauchten das kleine Zimmer in ein sanftes Licht. Davon abgesehen war der kleine Raum bis auf eine langstielige grünen Vase mit einer einzigen roten Mohnblüte leer.
Prompto schürzte die Lippen. Dann bewegte er einen Fuß nach hinten und schob so mit einem hörbaren Geräusch die Tür zu, bevor er sich nahe dem Kohlebecken hinkniete. Gespannt hielt er die Luft an und ließ erwartungsvoll den Blick durch den Raum wandern. Was passierte nun? Würde überhaupt irgendetwas geschehen? Und-
Er zuckte zusammen.
Das Geräusch einer weiteren Schiebetür ertönte. Nur den Bruchteil einer Sekunde später trat der Gastgeber in sein Blickfeld und-
IGGY?!
Irritiert senkte er den Blick, blinzelte und wusste gerade nicht wohin mit der heimeligen Wärme, die sein Bewusstsein von jetzt auf gleich überfiel. So leise wie möglich holte er tief Luft, um seine plötzliche Aufregung zu unterdrücken, und schaute wieder auf. Nur Geduld. Das alles hier hat einen Grund. Während er Ignis beobachtete, entging ihm freilich nicht, dass der anthrazitfarbene Kimono den Körper seines Freundes an den richtigen Stellen betonte; die breiten Schultern, die schmale Taille. Und den Knackarsch. Prompto verdrängte das Glucksen, das in seiner Brust kitzelte. Er schaute auf seine Hände, während sich Plätschern und Windspielgeläut nun mit Klappern mischte.
Ignis hatte sich gegenüber von Prompto auf der anderen Seite des Kohlebeckens hingekniet und das Tablett mit den nötigen Utensilien abgestellt. Schweigend begann er nun, Dinge wie Teeschale, Teedose, Wasserkessel, Löffel und Behälter in der richtigen Reihenfolge an den richtigen Stellen zu platzieren. Seine Finger verharrten eine kleine Weile auf dem Deckel der Teedose.
Prompto hob den Kopf.
Einige lange Sekunden schauten sie sich schweigend an. Prompto hatte das Gefühl, den Halt zu verlieren und in dem unendlich erscheinenden Grün der Augen seines Gegenübers zu verschwinden.
Niemals in seinem ganzen Leben würde er jemand anderen so ansehen, mit dieser Intensität. Dieser Blick war nur für seinen Freund reserviert. Seinen Geliebten. Meine Liebe.
Ignis' Mundwinkel zuckten verräterisch, doch davon abgesehen blieb er die Ruhe selbst. Er verbeugte er sich wortlos und tief vor Prompto, bevor er begann, die schwarzen, runden Teeschalen aufzustellen und die weiße, eckige Teedose so zu arrangieren, wie es richtig war. Dann zog er ein violettes Tuch aus seinem leuchtend roten Obi, den traditionellen Gürtel, wischte damit und rieb und faltete und wischte und nahm den Teebesen und wässerte ihn und prüfte und wischte und faltete und goss und …
Prompto beobachtete jede einzelne präzise Bewegung seines Freundes, jede Geste, und in seinem Inneren breitete sich mehr und mehr Wohlbehagen aus. Er verlor sich in dem einlullenden Anblick der Hände, die harmonischen und gleichzeitig hypnotisierenden Abläufen folgten. Finger, die über Porzellan strichen. Schalen und Schöpflöffel manövrierten. Hände, von denen Prompto wusste, dass sie unfassbar weich und sanft waren.
Er blinzelte erratisch, um sich davon abzulenken, dass er das Schauspiel zunehmend erotisch fand. Mit Mühe konzentrierte sich Prompto auf die Narbe auf Ignis' Stirn, die ihn irgendwie immer magisch anzog. Er konnte sie zwar nicht sehen, denn sie war verborgen unter den hellbraunen Strähnen, die Ignis ins Gesicht hingen. Er wusste dennoch, dass sie da war, und-
Fast hätte er verpasst, dass Ignis ihm die Schale mit dem Usucha anbot. Prompto lehnte sich mit ein wenig Nervosität vor und verbeugte sich, bevor er behutsam danach griff. Mit einem Lächeln drehte er die Schale zweimal in der Hand und trank den schaumigen Matcha in genau drei Schlucken.
Das hatte eine Bedeutung.
Alles hatte Bedeutung in einer Teezeremonie.
Der herbe Tee kitzelte seine Geschmacksknospen und Prompto sehnte sich fast sofort nach einem süßen Gegenpart. Ein Kuss wäre … Er schnaufte. Ihm war als einziger Gast bewusst, dass sich das Ritual dem Ende neigte. Es war üblich, sich dann zu unterhalten, über belangloses Zeug. Nicht über Probleme der Welt außerhalb der vier Wände des Teehauses. In einer Teezeremonie galten andere Gesetze der Konversation und andere Regeln der Existenz.
Prompto streckte seine Hände aus und hielt Ignis die Teeschale hin, der mit Fingerspitzen danach griff.
Vom Rand des Gefäßes löste sich ein Tropfen und Ignis fing ihn mit dem Zeigefinger ab.
Prompto fiel auf, dass er dabei bebte. Er verschob seine Finger so, dass sie sich zärtlich auf Ignis' legten. »Du bist nervös?« hauchte Prompto. Einem anderen Gast wäre ein Zittern hier und da sicherlich nicht aufgefallen. Prompto jedoch hatte viel Zeit, sehr, sehr viel Zeit seines Lebens damit verbracht, Ignis zu beobachten.
»Ja … weil …« begann Ignis leise, verunsichert. Er rührte sich nicht, sondern ließ zu, dass Prompto ihn so festhielt. »Es ist das erste Mal, dass ich das alleine mache und … das erste Mal für dich.« Die Wärme, die Ignis verströmte, war betörend angenehm, so wie alles, was Prompto in den letzten Minuten erlebt hatte.
»Diese Zeremonie ist nur für dich«, fuhr Ignis flüsternd fort. »Ich möchte keine Fehler machen, ausnahmsweise mal nicht ...« Sein Mund blieb geöffnet. »Entschuldige«, fügte er tonlos hinzu. Er senkte den Blick. »Ich war in letzter Zeit kein besonders einfacher oder guter Freund …«
Prompto starrte sein Gegenüber an. In seiner Brust machte sich neben all dem Wohlgefühl, neben all der Entspannung ein beklemmender Knoten bemerkbar. Der war immer irgendwie da. Insbesondere in der Nacht, wenn er nicht schlafen konnte, wurde er fester und bedrückender.
Es war der Knoten der Rationalität.
Prompto war seiner selbst nicht uneingeschränkt sicher; nicht in sämtlichen Belangen von sich überzeugt, und das projizierte er auch auf ihre Beziehung. Auf die Frage, ob er Ignis verdiente. Ob Ignis ihn verdiente. Fragen, die immer wieder mal aufkamen, wenn es bei ihnen nicht uneingeschränkt blendend lief. In welcher Beziehung tat's das aber schon …?
Fakt aber war ...
Er liebte Ignis.
Es war nicht nur eine absurde Verknalltheit gewesen, als sie einander das erste Mal begegnet waren. Nein, es war Magie gewesen, nichts weniger als das. Und diese Magie kam immer und immer wieder. Auch in diesem Moment.
Prompto lehnte sich vor und küsste die Fingerkuppe, mit der Ignis den Tropfen aufgefangen hatte. »Für mich bist du perfekt«, antwortete er leise und er meinte es auch so. Selbst wenn ihn manchmal Zweifel überkamen … er wollte sich nicht ausmalen, wie sein Leben ohne Ignis wäre.
»Aber-«
Prompto stoppte Ignis' Einwand, indem er seine Hand weiter vorschob und behutsam über Ignis' Wange strich. »Shh«, entgegnete er mit einem liebevollen Lächeln. »Das ist kein Gespräch für ein Teehaus, Beautiful.« Er ließ sich zurück auf seine Fersen sinken und neigte den Kopf. So wartete er darauf, dass Ignis die Zeremonie mit der Reinigung der Teeschale beendete.
Als sie nebeneinander über die Schwelle des Teehauses traten, fanden ihre Hände von allein zueinander und genau das ließ Promptos Herz überschäumen. Es war die Selbstverständlichkeit, mit der sie einander begegneten, die so besonders war. »Danke«, hauchte Prompto in die Ruhe des Gewächshauses, in dem inzwischen diffuseres Licht vorherrschte.
»Du hast in letzter Zeit das Yoga schleifen lassen. Ich dachte mir …« Ignis drehte sich zu ihm, während Prompto in seine Schuhe schlüpfte. »Etwas Entspannung tut dir gut.«
Mit seiner Hilfe rappelte sich Prompto wieder auf und ließ sich dabei nicht die Chance entgehen, über Ignis' Kimono aus angenehm kühler Seide zu streichen. »Und ich dachte, du willst mich verkohlen, mit den Blumen. Es ist doch Weihnachten und du schickst mich sonst wohin, weit weg von dir …« Er legte seine Hände auf die Brust seines Freundes, als der Prompto an sich zog.
»Ich dachte, dass unser erstes Weihnachten etwas Besonderes sein sollte. So will es doch die Tradition.« Ignis legte den Kopf schief, als ob er zweifelte. »Oder?«
»Nein. So will ich es für uns«, erwiderte er mit einem Grinsen. »Ich gestehe … so eine private Teezeremonie am Rande der Welt hat ein bisschen mehr Stil als … Pizza und Couch in Insomnia.«
»Das können wir ja immer noch machen, so spät ist es doch-« Ignis' Kichern verstummte, nachdem er aufgeschaut hatte. »Hmm, gab's eh … Sturzschnee?«
Verwirrt folgte er Ignis' Blick. Unbewusst waren ihm die veränderten Lichtverhältnisse bereits aufgefallen und nun verstand er den Grund dafür. Auf dem Glasdach des Gewächshauses lag eine dichte Schneedecke, die keinerlei Tageslicht durchließ. Ohne lange nachzudenken nahmen sie den Pfad, der sie zum Ausgang brachte.
»Oh«, kam ihnen über die Lippen, als sie die Tür zum Parkplatz öffneten. Zwischenzeitlich hatte sich eine mehr als kniehohe Schneedecke über die gesamte Welt gelegt. Prompto rieb sich nachdenklich den Nacken, während er das andauernde Schneetreiben beobachtete. »Ich sag's ja nur ungern, aber … da vorne, der Hügel, das ist unser Auto.«
»Das fährt heute nirgendwo mehr hin«, murmelte Ignis und drückte die Tür wieder zu, als er Promptos Bibbern bemerkte. »Wir sind eingeschneit.«
Prompto sah zu ihm hoch. »Sind wir denn allein hier?«
»Mhm«, machte Ignis nickend. »Der Laden gehört einem Bekannten, der frühestens morgen Mittag wieder hier ist. Sofern der Schnee das überhaupt zulässt.« Er schmunzelte. »Ich denke nicht, dass hier draußen ein Räumdienst vorbeikommt.«
»Und nun?« erkundigte sich Prompto mit gerunzelter Stirn.
»Wolltest du nicht … einen romantischen Abend zu zweit?« Ignis konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er auf die Gartenlandschaft deutete. »Warum nicht in einem Wintergarten?« Er zwinkerte Prompto zu.
***
Er driftete seit geraumer Zeit zwischen Schlaf und Wachsein hin und her ... und er liebte es. Mit jeder einzelnen wachen Sekunde fühlte er sich wohl und geborgen, warm und erfüllt. Einfach glücklich. Sie lagen auf der kleinen Holzterrasse des Teehauses auf einem Futon, den sie zusammen mit Decken in einem Lagerraum gefunden hatten. In diesem Kokon der Wärme hatten sie sich aneinander geschmiegt. Und in jeder Wachphase nutzte Prompto die Chance, seine Füße an Ignis' zu reiben. Er wusste, dass Ignis das mochte.
Prompto blinzelte. Über ihnen war es dunkel, doch er meinte, durchs Glasdach einige Sterne ausmachen zu können. Zumindest schien es draußen nicht klirrend kalt zu sein. Offenbar war der Schnee angetaut und von den schrägen Scheiben gerutscht, sodass sie in den winterlichen Nachthimmel schauen konnten.
Prompto drehte den Kopf und erblickte ihre Hände, die ineinanderlagen. Er lächelte sanft. Sie lagen einfach zusammen. Vertrauensvoll. Anders als zu Beginn ihrer Beziehung klammerten sie sich nicht mehr aus Angst aneinander, dass einer von ihnen verschwinden könnte. Dass sie getrennt werden könnten. Inzwischen wussten sie beide, dass ihr Zusammensein kein Traum, sondern Realität war.
Seine Finger streichelten leicht und zart über die Innenfläche von Ignis' linker Hand, hinunter zum Gelenk. Dann wanderten sie zurück, folgten den Erhebungen und Vertiefungen, bis seine Finger von Ignis' eingefangen wurden und sie sich miteinander verschränkten.
Wärme explodierte in seinem Inneren. Denn nun verstand Prompto seine Gefühle.
Er würde sich vermutlich immer Gedanken und Sorgen machen. Doch diese Selbstverständlichkeit, die Geborgenheit und diese uneingeschränkte Zuneigung, diese Liebe würde er niemals von jemand anderem bekommen. Er fühlte Vollkommenheit in seinem Herzen, in dieser Nacht, in seiner Reise zwischen Traum und Wirklichkeit.
Er schaute auf.
Grüne Augen erwiderten seinen Blick, während weiche Finger über seine eigenen strichen. Ein Lächeln auf den schmalen Lippen. Der absolute-
Er nahm all seinen Mut zusammen, um diesen kostbaren Moment seiner Erkenntnis nicht zu vergeuden.
»Bitte, heirate mich«, hauchte er.