Eigentlich ist es keine Schneekugel.
Es ist eine Spieluhr, wenn man so will. Wenn man die kleine Kurbel dreht, die sich hinten an ihrem Sockel befindet, und sie damit aufzieht, dann beginnt eine Melodie zu ertönen, in diesen hohen Pingeltönen, wie es für Spieluhren üblich ist.
Sie spielt „Hijo de la luna“, und das Stück mag ich echt gern.
Eine kleine Figur beginnt sich zu drehen, die ein viktorianisches Mäntelchen trägt, Stiefelchen, Mütze und Fäustlinge.
Und ein ein verborgener Mechanismus bringt ein Rädchen zum drehen, das den Kunstschnee aufwirbelt, der zu Füßen des Figürchens liegt.
Also irgendwie doch eine Schneekugel.
Wenn man so will.
Ich erinnere mich an jenes Weihnachten, als Oma mir dieses wunderschöne Stück geschenkt hat.
„Für mein Mondkind“, hat sie gesagt.
Ja, so ein bisschen bin ich immer ein Mondkind gewesen.
Meine ganze Familie ist anders als ich.
Sie sind laut und fröhlich.
Wenn sie feiern, dann wackelt die Bude.
Aber auch so: sie haben wenig Zurückhaltung, werden von anderen als ungehobelt empfunden, als plauzig.
Aber sie sind auch blutehrlich, kennen kein Verstecken und so tun als ob.
Sie sind dem Leben zugewandt und von der Sonne geküsst, sowohl ihrem Verhalten, als auch dem Aussehen: braungebrandt, gutgebaut, mit Ecken und Macken vom Leben.
Wenn sie lachen, hört man das drei Häuser weiter, wenn sie fluchen, dann von Herzen.
Wenn sie lieben, dann mit Haut und Haaren.
Und ich?
Ich liebe sie. Genau so, wie sie sind. Den ganzen verrückten Haufen.
Und doch.
Ich bin anders.
Wo sie laut sind, bin ich leise.
Wo sie fröhlich lachen, lächle ich schüchtern.
Wo sie dunkel sind, bin ich hell, wo sie kräftig sind, bin ich zierlich.
Mutter hat mich immer als ätherisch bezeichnet. Ja, so fühle ich mich auch.
Vater nennt mich sein Elfenkind.
Nun, das passt.
Ich habe nie ganz dazu gehört.
Ein Mondkind eben.
Wenn Luna ihre sanften Strahlen auf die Erde sendet, dann bin ich in meiner Welt.
Und doch.
Bei alle dem.
Sie haben mich immer geliebt, so wie ich bin.
Anders als das Kind in der Legende hat mich niemand allein und zurück gelassen.
Ich muss schmunzeln, wenn ich an jene Weihnachten denke, als Oma mir, ihrem Mondkind, die Spieluhr geschenkt hat.
Es war das Weihnachten, an dem die Feuerwehr kam, weil Mutter den Gänsebraten hat anbrennen lassen.
An dem wir keinen Christbaum hatten, weil keiner daran dachte, ihn zu besorgen.
An dem wir dann die Zimmerpalme mit Kugeln und Lichtern schmückten.
An dem es mitten in der Nacht zu schneien begonnen hatte, und Cousine Anna und ihr Mann in Morgenmänteln im Schnee standen und dann nicht wieder ins Haus kamen, weil die Tür hinter ihnen zugefallen war, und sie dann einen Höllenlärm machten, bis irgendjemand erwachte und sie ins Haus ließ, und dann, ja dann war das ganze Haus wach, und wir feierten morgens um halb drei mit Glühwein, Keksen und Opas Gitarre …
Meine Familie von Sonnenkindern.
Und ich, das Mondkind, bekam dieses Geschenk, das weder Spieluhr noch Schneekugel ist und doch irgendwie beides.
Ein passendes Geschenk für eine, die nie recht dazu gehörte, aber irgendwie eben doch.
Ich liebe meine Familie.
Danke Oma.
Die Schneekugel-Spieluhr werde ich für immer in Ehren halten.
Versprochen.