Der grauhaarige Mann schaute aus dem Fenster. Zu sehen war nicht viel. Dichter Nebel verunmöglichte jede Weitsicht. Seine Aufmerksamkeit galt den Schneeflocken, die lautlos herumwirbelten. Sanft bedeckten sie den Boden. Das schöne glitzernde weiß, erwärmte sein Herz. Seit Jahren hatte es nicht mehr so früh geschneit. Vielleicht wird es Schnee an Weihnachten geben. Das wäre wieder mal eine gute Nachricht.
Das Jahr ging seinem Ende entgegen und seine Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. In was für eine Welt war er da geraten! Er versuchte an etwas anderes zu denken. Er schaute wieder aus dem Fenster und die Schneeflocken tanzten weiter unbeschwert um die Wette.
Er machte das Fenster auf und streckte seine Hand hinaus. Eine Schneeflocke landete weich auf seine Hand und schmolz beim Kontakt mit seiner Haut sofort. Das kühle, kalte nass war beruhigend und versetzte ihn zurück in seine Kindheit. Er zog die Hand ins Innere des Hauses, um nur etwas später in seinem Lieblingssessel zu sitzen. Kurz darauf schlief er ein. Das Knistern des Feuers im Kamin weckte ihn. Orientierungslos schaute er sich um. Erleichtert stellte er fest, dass er zu Hause war und in Sicherheit.
Er stand auf und streckte sich und überlegte, ihm wurde klar, dass er unbedingt nach draußen musste. Mit seinem Wintermantel, Kapuze und Handschuhe bekleidet, verließ er das Haus. Im Stadtzentrum in der Ladenstraße las er auf den Schildern: sorry geschlossen, bis auf Weiteres geschlossen oder einfach „closed“ und letztendlich „we are right back“.
Vermutlich hätte er dort stundenlang oder schlimmstenfalls noch länger warten können. Die Straße war spärlich beleuchtet und wenig später flackerten die Straßenlampen und waren wieder aus. “Schon wieder Sparmaßnahmen der Regierung!“ Der Strom war knapp geworden nachdem weltweit die Atomkraftwerke bereits eine Weile abgestellt waren. Er glaubte, dass er verfolgt wurde. Er blickte zurück aber hinter ihm war niemand. Am Boden sah er seine im Schnee geprägten Schuhabdrücke, die rasch von einer feinen Schneeschicht verdeckt wurden. Vor ihm war der Gehsteig frei von irgendwelchen Fußabdrücken. Es war ganz still und mittlerweile gespenstisch ruhig. Der Schnee tönte und knisterte wenn er seine Schuhe darauf drückte. Diese gespenstische Ruhe wurde kurz von Sirenen unterbrochen. Polizeiautos patrouillierten und überwachten die Stadt. Präsenz markieren war die Devise. Zumindest fühlte er sich so in Sicherheit. Er ließ seinen Blick über den Fluss gleiten. An den Rändern war langsam eine dünne Eisschicht sichtbar.
Erst jetzt merkte er, wie kalt es war, und instinktiv schloss er seinen Mantel fester zu. Nach der Flussmündung hörte er laute Stimmen und ein Feuer knisterte. Er näherte sich und die fünf Gestalten verstummten bei seinem Anblick. Der Hagere mit den silberfarbigen Haaren bot ihm sich zu setzen. Er nahm die Einladung an, was für ihn ungewöhnlich war.
Auf einem Baumstamm setzte er sich und rieb sich die gefrorenen Hände. Er versuchte zu verstehen, über was sie sprachen. Aber sie redeten mit einem starken Akzent. Er schaute in die Gesichter, die ihm freundlich zunickten. Der ältere Mann mit der Hakennase kam ihm sehr bekannt vor. Die anderen hatten ebenfalls ein wettergegerbtes Gesicht und man sah deutlich, dass sie immer an der frischen Luft lebten.
Er schaute nochmals zu ihm hinüber und jetzt fiel es ihm wieder ein. Das war Fritz Schneider, sein Sitznachbar in den Weiterbildungskursen. Er hatte ihn dann später aus den Augen verloren. In der Zeitung wurde ab und zu von ihm berichtet und nun war er auf der Straße gelandet. Plötzlich hatte er ein Glas Wein in der Hand und stieß mit den anderen kurz an. Die Gläser klirrten und er lächelte Fritz zu. Sie redeten eine Weile und einiges später entschied er sich wieder nach Hause zu gehen. Zu Fritz sagte er: „Du kannst ruhig mitkommen und dann können wir über alles reden.“ Fritz stand auf und winkte den anderen zu. Ruhigen Schrittes liefen die beiden in dieser dunklen Winternacht zu seiner Wohnung. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen. Die Schuhe versanken im weißen Schnee und leise redeten sie miteinander. Die schöne Winterpracht beachtete er nicht mehr aber er war zufrieden eine gute Tat kurz vor Weihnachten vollbracht zu haben.