Manchmal kommt es einem so vor, als wären Umweltschutz und Nachhaltigkeit bis ins 21. Jahrhundert hinein eher Nischenthemen gewesen.
Die Grünen mögen mit ihrer Umweltpolitik, die ursprünglich vor allem den Kampf gegen Atomkraft und das Waldsterben zum Ziel hatte, in Deutschland Erfolge gefeiert haben.
Das 1974 gegründete Greenpeace und die Hippiebewegung mögen eine weltweite Debatte dazu angeregt haben.
Aber niemand wäre doch vor fünfzig Jahren auf die Idee gekommen, unseren Umgang mit dem Planeten zu einem Thema von existentieller Wichtigkeit zu machen.
Niemand hätte sich doch hingestellt und von einem „Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen“ gesprochen, wie Greta Thunberg 2019 in ihrer Rede vor dem EU-Parlament.
Oder?
Doch. Bereits 1972 war ein Zusammenbruch der Gesellschaft verbunden mit enormem Rückgang der Bevölkerung schon einmal im Gespräch. Und den haben Wissenschaftler des MIT, die der Club of Rome (ein Verein, der interessanterweise von Industriellen gegründet und finanziert wurde) beauftragte nicht nur angesprochen. Sie haben ihn ausgerechnet.
Benutzt haben sie dafür World3, eine Computersimulation, die den zukünftigen Verlauf von Bevölkerungswachstum, Nahrungsmittelproduktion, industrieller Produktion, Umweltverschmutzung und Verbrauch nicht erneuerbarer Rohstoffe zu modellieren versucht.
In „limits to growth“ werden ein paar mögliche Szenarien, die World3 ausgehend von unterschiedlichen Grundannahmen entwickelt hat, beschrieben.
Und siehe da - der Titel enthält ja schon einen kleinen Spoiler - unbegrenztes Wachstum von Bevölkerung und Wirtschaft funktioniert auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen nicht so gut.
Schaut man sich die möglichen Verläufe der genannten Variablen an (zum Beispiel hier: https://www.resilience.org/stories/2021-08-16/revisiting-the-limits-to-growth/), fällt vor allem eines ins Auge:
Mitte des 21. Jahrhunderts geht es in den meisten Szenarien mit der Produktion von Nahrung und industriellen Gütern bergab.
Und weil Menschen Nahrung und industrielle Güter brauchen, tut es die Bevölkerungskurve den anderen beiden ziemlich schnell nach.
In dem Szenario „business as usual“, in dem die Forscher einfach nur die Tendenzen von 1972 hochrechneten, ist es recht einfach: Die natürlichen Ressourcen gehen zuneige, Produktion und Bevölkerungswachstum brechen stark ein.
In anderen Worten: Zivilisationskollaps.
Aber auch eine Verdopplung der angenommenen natürlichen Ressourcen verschafft uns nur ein wenig mehr Zeit. Ca. 2050 erwischt uns in diesem Szenario die Umweltverschmutzung.
Und wieder: Zivilisationskollaps.
Bei diesen Simulationen muss das alles den Forschern am MIT aber dann wohl zu negativ geworden sein, denn sie ließen World3 ein weiteres Szenario modellieren, mit einer recht optimistischen Annahme: „doppelte Ressourcen und nie dagewesener technischer Fortschritt“.
Und tatsächlich, nach einem kurzen Absinken der Nahrungsproduktion holt der technische Fortschritt in diesem Szenario die Kohlen aus dem Feuer und lässt die Bevölkerungsentwicklung für den Rest des Jahrhunderts auf einem Plateau enden. Zwar ist Technologie teuer und lässt in diesem Fall die Güterproduktion einbrechen, aber immerhin bekommt sie auch noch die Verschmutzung und den Ressourcenverbrauch in den Griff, Szenario 3 sieht also ganz okay aus.
Und dann gibt es noch das vierte, das gute, Szenario.
Die Annahmen sind dieselben wie bei Nummer 3, nur ändern sich die gesellschaftlichen Werte und Vorstellungen so weit, dass ab ca. 2030 aller Wachstum stoppt.
Klingt erstmal irgendwie schlecht, bedeutet aber: Nahrungs- und Güterproduktion stagniert auf einem hohen Niveau, Bevölkerung bleibt konstant (nicht rückläufig) und Umweltverschmutzung sowie Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen enden.
Also im Grunde wie Szenario 3, nur, dass wir nichts an Wohlstand einbüßen, was diesen Fall wohl zum wünschenswertesten macht.
World3 produziert also je nach Grundannahmen unterschiedliche Prognosen für eine mehr oder minder düstere Zukunft.
Aber ist denn an diesem Rumgerechne mit einem Computer, der weniger Rechenleistung hatte als jedes heutige Smartphone, überhaupt was dran?
Seit seiner Veröffentlichung wurde „limits to growth“ von allen Seiten (hauptsächlich von anderen Computersimulierern) kritisiert, in seinen Kernaussagen allerdings nie widerlegt.
Statt die Ergebnisse also als schwammige Prophezeiungen abzutun, verglichen viele die berechneten Verläufe mit den realen Entwicklungen und stellten Mutmaßungen an, welches Szenario denn nun eintreffen würde.
Einige Updates zu „limits to growth“ sahen schon „business as usual“ aka „das worst-case Szenario“ zutreffen, aber Gaya Herrington, Masterabsolventin Harvards, kam 2020 zu einem etwas positiveren Ergebnis.
Als sie die Vorhersagen der neusten Version von World3 mit den aktuellen Daten verglich, stellte sie fest, dass die Szenarien mit doppelter Ressourcenmenge besser zur tatsächlichen Entwicklung passen, mit Ausnahme von Szenario 4, von dem wir nach ihren Erkenntnissen am weitesten entfernt sind.
Also ist nun kollektives Aufatmen angesagt?
Sind wir dem Weltuntergang nochmal von der Schippe gesprungen?
Naja. Auch wenn uns Szenario 2 mehr Zeit einräumt und Nummer 3 sogar nur in einem leichten Absinken des allgemeinen Wohlstands endet, könnte es immer noch schlecht aussehen.
Es ist es schwer zu sagen, ob wir nun wirklich dem einen oder anderen Szenario folgen, da sich die Verläufe bis ca. 2030 relativ ähnlich sind.
Außerdem sind Hochrechnungen ganz allgemein fehleranfällig, weil sich unerwartete Ereignisse einmischen können.
World3 von 1972 wusste zum Beispiel etwas nicht, das heute eigentlich jedes Kind weiß. Das globale Klima erwärmt sich und bringt ein neues Untergangsszenario mit.
In späteren Versionen wird die Klimaerwärmung zwar bereits berücksichtigt, aber die Tatsache, die bestehen bleibt, ist:
Die Forscher des MIT haben von Anfang an positive Entwicklungen (wundergleiche Technologie und ein radikales Umdenken der Bevölkerung) in Erwägung gezogen, negativen Faktoren, die uns einen Strich durch die Rechnung machen könnten, hingegen nicht so sehr beachtet.
Vielleicht wäre es darum wichtig, uns wenigstens mit den positiven Entwicklungen Mühe zu geben, indem wir nachhaltiger leben und umweltfreundliche Technologie fördern.
Denn dann, und nur dann, könnten wir im Falle einer unvorhergesehenen Katastrophe sagen:
„Wir konnten es nicht besser wissen, aber wir haben alles versucht, um das beste Szenario zu erreichen.“