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Nach dem Prompt „Ammenhai / Geschichten mit Knopfaugen“ der Gruppe „Crikey!“
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Diese Haie galten als Göttinnen. Sie lebten im Schatten der Mangroven, dicht am Boden, immer im gleichen Gebiet, sodass sie den Fischern und Jägern bald vertraut waren. Die schlanken Tiere waren freundlich und neugierig, sie begleiteten die Boote, und auch Isikeli konnte die Haie bald unterscheiden.
Man warf ihnen ein paar Fische zu, wenn man von einer erfolgreichen Jagd heimkehrte, um den Göttern der Mangroven für ihren Segen zu danken.
Im Gegenzug wiesen die Ammenhaie allen Jägern den Weg zu reichhaltigen Fischgründen und sogar zu Beute auf dem Festland der Inseln. Mit ihren feinen Nasen wussten die Göttinnen mehr als jeder Zweibeiner.
Dabei waren es verzauberte Könige aus alter Zeit, die nun in Haigestalt, ewig und unveränderlich über die Mangroven wachten. Man konnte es erkennen, wenn sie ihre Junge bekamen. Anders als alle Fische, die Isikelis Volk kannte, legten diese Haie keine Eier, sondern bekamen lebende Junge wie die Völker der Oberwelt. Andere Lebewesen wurden zunächst in einer magischen Perle versteckt, bis sie ihre Reinheit bewiesen hatten. Das galt für Fische genauso wie für Vögel. Nur jene Wesen, die in den Kriegen damals treu an der Seite der Götter gestanden hatten, kamen bereits lebend auf die Welt, frei, sich zu bewegen und zu atmen.
Dass das auch für die Ammenhaie galt, war der Beweis, dass sie mehr waren als bloße Tiere. Sogar mehr als die Fellträger an Land, denn diese Haie waren eine besondere Ausnahme. Sie durften nicht gejagt und nicht verletzt werden, im Gegensatz, es war die Pflicht eines jeden Jägers, sie zu schützen und ihnen zu helfen.
Isikeli schätzte die Tradition sehr. So vollführte er eine bittende Geste in Richtung der Haie, als er sein Kanu in das Mangrovendickicht lenkte, und legte die Pfeile vor sich so, dass die Spitze nicht auf einen der Haie zeigte, was eine unausgesprochene Drohung wäre.
Lautlos gesellten sich Haie an seine Seite, als er vorwärts stieß, begleitet von den gründelnden Raubfischen, die ihm zeigten, wohin er fahren musste. Im Bug vorne lag eine Puppe aus Stoff, ein grauer, länglicher Hai mit denselben Barteln. Mit den Knopfaugen wirkte er nicht anders als die Puppen, mit denen Isikelis Kinder spielten, doch gefüllt war die Puppe mit eingesammelten Haizähnen und heiligen Kräutern, um das Wohlwollen der Götter herabzubeschwören. Eine Ta'kili, eine Gottespuppe, die Isikeli schützen und ihm eine gute Jagd bescheren sollte.
Ja, er schätzte die Tradition hoch. Aber wie könnte er nicht, wenn die Heiligkeit dieser sanftmütigen Raubtiere so offenkundig war!