Rating: P12 [CN: Kraftausdrücke]
Nach dem Prompt „Walross/Packeis“ der Gruppe „Crikey!“
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"Verdammt. Der Mistkerl entkommt uns." Kapitän Trystad klappte das Fernrohr zusammen und brüllte: "Volle Segel!"
"Kapitän?" Arne, sein erster Maat, sah ihn fragend an.
"Worauf wartet ihr, ihr Landratten?"
"Da vorne liegt das Nebelmeer, Käpt'n."
"Das ist mir bewusst. Und ich gebe nichts auf diese drakenströmischen Ammenmärchen", fauchte der Kapitän. "Ihr seid Juvehoog, Männer! Da vorne segeln die verdammten Uvliker, die euren Jarl bestehlen wollten!"
Nun, wenn auch zögernd, wurde seinen Befehlen gehorcht. Die Segel wurden noch einmal aufgespannt und ihr Drachenschiff jagte über die Wellen, dem rotweißen Bug des uvlischen Schiffes nach.
Nebel empfing die beiden Vikrir-Schiffe. Trystad musste befehlen, das Tempo wieder zu drosseln. Die Zwerginnen und Zwerge refften die Segel und ließen die Ruder los. Nur das leise Gluckern des Wassers am Kiel war zu hören. Der Mast knarzte. Hier und da raschelte Kleidung, wenn sich einer der Ruderer bewegt.
Kapitän Trystad strich sich nachdenklich durch den Bart, während er das Weiß ringsum musterte. Das Meer war nur unmerklich dunkler als der Nebel. Hier und dort trieben kleine Eisschollen auf den dunklen Fluten.
"Lasst und umkehren", drängte Arne halblaut. "Die uvlischen Schweine sind längst von Wasserdrachen gefressen worden."
"Das glaube ich erst, wenn ich die Trümmer ihres Schiffes sehe", widersprach Trystad grimmig und gab seinen Leuten ein Zeichen, langsam weiterzurudern. Der Trommler schlug einen langsamen Takt an. Arne balancierte zwischen den Sitzreihen hindurch nach vorne, um sich über den zu einer springenden Forelle geschnitzten Bug zu beugen.
"Käpt'n!", rief er dann warnen.
Tyrstad befahl seinen Leuten den Halt und eilte nach vorne. "Was ist?"
"Ihr ... Ihr ..." Arne sprach nicht weiter. Er starrte seinen Kapitän an wie ein Monster. Als Tyrstad sich vorbeugte, erkannte er, wieso.
Im Wasser vor ihnen dümpelten die Trümmer eines Drachenschiffs. Gesplitterte Rundschilde trieben zwischen geborstenen Planken. Das zerrissene Segel sog sich mit Wasser voll und sank in die Tiefe. Nur einige Helme und Kleidungsfetzen waren von der Mannschaft geblieben. Das Gemetzel konnte noch nicht lange her sein, denn sie hatten den Uvlikern nah am Arsch geklebt. Und auch das Segel lag offensichtlich noch nicht lange im Wasser.
"Vivi!", brüllte Tyrstad nach seiner Thosta. "Könnt Ihr erkennen, was dafür verantwortlich war?"
Die Zwergin kam langsam nach vorne und bewegte die Hände murmelnd, die Augen halb geschlossen. Der Nebel vor ihnen verdichtete sich plötzlich und vor den Blicken der erschrockenen Vikrir formte sich die Gestalt des Angreifers: Groß und bullig, mit finsteren Augen, die selbst aus weißem Nebel geformt noch dunkel wirkten. Zwei mächtige Zähne ragten vorne aus dem Maul, und ein Horn ging von der Stirn ab. Eine Mischung aus Walross und Narwal, jedoch weitaus größer als jedes davon. Es überragte das Schiff und das einsam flatternde Segel um ein gutes Stück.
Tyrstad hörte, wie selbst gestandene Männer ängstlich um den Beistand der Götter flehten.
"Dreht um", hauchte er. Dann rief er, lauter: "Los, raus hier!"
Die Ruder tauchten in die Wellen. Flink wendete das schlanke Boot und jagte dann, begleitet von immer schnelleren Trommelschlägen, aus dem Nebel heraus.
Es war natürlich nicht ehrvoll, vor einem Kampf zu fliehen. Doch Tyrstad sagte sich, dass es richtig war. Sie hatten die Bastarde verfolgt, die den Clan bestohlen hatten, und nun war es ihre wichtigste Aufgabe, ihrem Jarl von ihrem Erfolg zu berichten. Das durften sie unter keinen Umständen auf's Spiel setzen, indem sie sich mit Seeungeheuern anlegten!
Er atmete auf, als sie den unnatürlichen Nebel verließen und wieder im Sonnenschein der vertrauten Gewässer fuhren.
Was Tyrstad nicht ahnte, war, dass das Schiff der Uvliker nicht allzu weit entfernt leise aus dem Nebel ausbrach. Die Vikrir hatten die Köpfe und Ruder eingezogen und kauerten auf den Bänken - doch sie und ihr Schiff waren unversehrt.
Harod, ihr Herse, hob als erster den Kopf. "Wir sind wieder draußen. Sigi? Kannst du unseren Kurs bestimmen?"
Sein erster Maat, die taffe Sigi, nickte mit Blick zum Himmel. "Wir sind im Kreis gefahren. Aber die Juvehoog sind nicht zu sehen. Wenn wir uns südlich halten, sollten wir ihnen entgehen können."
"Das Monster hat uns verschont", hauchte Kalle, der Bhaidor, der im Bug saß und seine Laute fest umklammert hielt. "Es sandte uns aus seinem Revier zurück. Woher wusstet Ihr das, Käpt'n?"
"Ich kannte eine alte Geschichte meines Vaters", antwortete der Kapitän, wohlwissend, dass das 'geheime Wissen des Harods um die Natur des Monsters' schon bald in Liedern besungen werden würde. "Er geriet während eines Sturms ebenfalls in das Nebelmeer. Die Schrecken, die er sah, konnte er kaum beschreiben, aber er erzählte, sie hätten ihn in Frieden gelassen, als er sich zusammenkauerte und um Gnade flehte. Daraufhin fand sein Schiff irgendwie den Weg zurück in normale Gewässer."
Die Mannschaft sah Harod voller Bewunderung an. Er lächelte schwach. Er hatte selbst nicht gewusst, ob sie überleben würden, doch die Juvehoog hatten ihnen wie Pickel am Hintern geklebt. Es war die einzige Möglichkeit gewesen. Und offenbar hatten sie Erfolg gehabt, nur dürften die Juvehoog nie davon erfahren, oder ihre Rache würde den Clan der Uvlik womöglich vernichten.
Ungeahnt von sowohl Tyrstad als auch Harod lag das 'Monstrum' der Nebelsee friedlich auf einer größeren Eisscholle im Zentrum des Nebels und kratzte sich mit einer Flosse am Bauch.
Die Kreatur sah der Vision der Thosta sehr ähnlich: Ein Walross mit langen Fängen und einem Horn, gewaltig in seinen Ausmaßen, ein eindeutig magisches Wesen. Es war jedoch nicht groß genug, um Schiffe zu versenken, nur etwa doppelt so groß wie ein gewöhnliches Walross. Und seine Position auf der Eisscholle war viel zu gemütlich, um sie aufzugeben und Zwergen Angst einzujagen.
Nein, das Nebelmonster verbrachte seine Zeit am liebsten in der Sonne faulenzend, ungestört von sowohl Walen als auch Zweibeinern mit ihren Schiffen. Darum rief es einen dichten Ring aus Nebel um sich, dessen Macht darin beruhte, jeden, der ihn betrat, mit Visionen seiner Furcht zu plagen, bis die Eindringlinge entweder umkehrten oder die Kontrolle über ihr Schiff aufgaben.
Dann hob das Walross gelegentlich schnaufend den Kopf und schickte mit einem Schlag der Schwanzflosse eine Strömung, um die ungebetenen Gäste hinauszubefördern, ehe es sich auf die andere Seite wälzte und im weichen Schnee weiterschlief.