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Nach dem Prompt „Hering/Kulinarische Tiergeschichten“ der Gruppe „Crikey!“
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Beim Anblick der reich gefüllten Tafel musste Wyatt ein Seufzen unterdrücken.
Der Koch hatte aufgefahren: gebratener Hering, Matjes, Heringsstipp, Rollmops, Heringssalat, Räucherhering, Brathering, Salzhering ... Er konnte nur froh sein, dass der Koch nicht noch neue Heringszubereitungen dazuerfunden hatte!
Groß gewundert hätte es ihn nicht mehr. Er war ohnehin schon von der Vielzahl der Heringsgerichte überrascht worden.
Aber was sollte er tun? Es war nun mal nichts anderes im Haus. Er hatte sein gesamtes Erspartes in Hering gesetzt und erduldete nun den Preis dafür. Des Kaufmanns Not ist hartes Brot - sprich, er musste den Fisch loswerden, bevor er verdarb und mit ihm alles Geld, das er in die Waren gesteckt hatte. Selbst Salzfässer voller Hering hielten sich nicht ewig.
Als er sich gerade überwunden hatte, den ersten Bissen zu tun - schon seit Wochen war er es leid, nichts als Hering zu essen - wurde die Tür zu seinem Esszimmer aufgestoßen. Atemlos und mit gerötetem Gesicht kam Chester herein.
"Was?", fauchte Wyatt. Schlimm genug, dass er nur noch Fisch essen konnte, er musste diese zweifelhafte Freude nicht auch noch mit seinem Buchhalter teilen.
Chester erstarrte einen Moment irritiert und betrachtete den Tisch voller Fische, dann fing er sich und stieß hervor: "Ich hab's, Mister Barnes! Ich hab die Lösung!"
Wyatt sprang sofort auf. Alles, was ihn von den Fischen befreite, war ihm willkommen. "Schieß los!"
"Ich konnte Kontakt zu einer Gruppe Händler aus Vinpalla aufnehmen."
Wyatt runzelte die Stirn. Vinpalla war ja gerade das Problem - die ständigen Überfälle beim Archipel hatten dafür gesorgt, dass kein Kapitän mehr nach Lamaria segeln wollte. Dabei konnten sie gerade dort den Fisch teurer als anderswo verkaufen. Und momentan waren auch alle anderen Häfen außer dem Kontinent überfüttert mit Fisch, weshalb Wyatt ja auf der Ware sitzenblieb und sich nicht einmal mehr etwas Brot als Beilage leisten konnte.
Entsprechend entgeistert ah er seinen Buchhalter an.
"Sie wollen auch auf Lamaria handeln", erklärte der junge Bursche noch immer atemlos. "Aber sie kommen nicht rüber."
"Genau wie wir also. Wo hilft uns das, mein Junge?"
Chester lächelte breit. "Nun, drei Schiffe können sich besser verteidigen als eines."
Langsam, ganz langsam, klappte Wyatt der Mund auf. "Sie wollen zusammen segeln?"
"Ich habe es ihnen noch nicht vorgeschlagen. Aber es wäre die Lösung, oder nicht?" Chester bewegte sich unruhig. "Wir könnten weitere Händler suchen - drei Schiffe sind ja immer noch ziemlich wenig. Aber wenn es klappt ..."
Wyatt hätte den Burschen küssen können. Andere Händler! Natürlich! Es gab sicher viele, die ihre Waren in Lamaria loswerden wollten, im Tausch für magische Kristalle oder Silber, das die Einheimischen dieses kargen Fleckchens Erde gerne für alle möglichen Annehmlichkeiten gaben.
Es war so perfekt - und so simpel - dass er es kaum fassen konnte.
"Eine Art ... Hanse", schlug er langsam vor. "Ja, mach das, Chester!" Er wedelte den Buchhalter aus dem Raum und der junge Mensch eilte davon.
Vielleicht, so fasste Wyatt Hoffnung, müsste er doch nicht Bankrott anmelden.