Kyan atmete auf, sobald das Zielobjekt zusammensackte. Die Kleine war ganz schon widerspenstig. Layton würde seine liebe Mühe damit haben, ihr alles zu erklären.
»Kannst du sie tragen?«, fragte Layton, der gerade dabei war, das Etui wieder zurückzupacken. Kyan hob eine Augenbraue, schwieg jedoch. Er warf sich den schlaffen Körper über die Schulter und ging in Richtung des Autos davon. Hinter sich konnte er Laytons Schritte vernehmen, der ihm folgte.
Sobald sie die Vorderseite erreichten, blieb Kyan überrascht stehen. Carter hielt einen jungen Mann fest, der sich massiv zur Wehr setzte. Kaum erblickte er die junge Frau in seinen Armen, wurde er fuchsteufelswild. »Mads!«, schrie er hysterisch. »Ihr Schweine, was habt ihr mit ihr gemacht? Lass sie gefälligst los!«
Isaac und Josh damit beschäftigt einige jüngere Kinder ins Auto zu verfrachten. Allerdings schienen auch diese nicht davon begeistert zu sein. Ihre Gegenwehr brachte ihnen jedoch nichts. »Was ist hier los?«, fragte Kyan verwirrt.
»Wir haben sie im Gebäude gefunden. Es ist besser, sie erst einmal mitzunehmen, bevor sie die Polizei benachrichtigen«, erklärte Isaac.
Layton zog sein Mobiltelefon hervor und wählte eine Nummer. »Wir werden einen weiteren Wagen benötigen«, stellte er fest. Er ging einige Schritte beiseite, um nach Verstärkung zu fragen.
Kyan indes musterte Carter, der immer noch seine liebe Mühe damit zu haben schien, den jungen Mann zu bändigen. »Wieso schlägst du ihn nicht K.o?«, erkundigte Kyan sich.
»Layton meint, es sei kontraproduktiv«, antwortete Carter säuerlich. »Schluss jetzt!« Er packte den Typen fester und bugsierte ihn zu dem Auto, in dem bereits die Kinder untergerbacht worden waren. Sobald die Tür sich schloss, wandte er sich Isaac und Josh zu. »Fahrt schon einmal. Es bringt nicht, sie hierzubehalten. Versucht, die Situation zu erklären. Macht vor allem dem Kerl klar, dass keiner von ihnen verletzt wird. Im Unterschlupf kümmern wir uns um den Rest.«
Sie folgten Carters Anweisungen sofort. Kurz darauf blicke Kyan den Rückscheinwerfern des Autos nach, die in der Dunkelheit verschwanden. In diesem Augenblick kehrte Layton zurück. »Der andere Wagen ist bald da«, versicherte er. Sobald er Kyan musterte, runzelte er die Stirn. »Was ist mit deinem Arm?«
Verdammt, er war davon ausgegangen, es gut zu überspielen. Ihr Zielobjekt war wie ein Hamster. Irgendwie niedlich aber extrem bissig. »Nichts weiter«, gab Kyan zurück. Er schämte sich ein wenig, wegen seiner Unachtsamkeit. Wie war es ihr bloß gelungen, ihn dermaßen zu überrumpeln?
Layton ließ sich nicht überzeugen. Er machte einen Schritt auf Kyan zu und zog den Ärmel des T-Shirts nach oben. »Du wirst es versorgen lassen, sobald wir im Unterschlupf sind.«
»Es ist nichts«, versicherte er.
»Kyan, ich kenne den Drill auf der Akademie ebenso gut wie du. Aber das heißt nicht, dass du nachlässig werden solltest«, beharrte Layton. »Wunden werden bei erster Gelegenheit versorgt, egal wie groß oder klein.«
»Verstanden«, murmelte Kyan mit gesenktem Blick. Es passte ihm nicht, bei einem derart leichten Auftrag eine Verletzung zu kassieren. Ehrlich, sobald die Kleine auf der Akademie war, würde er ihr das heimzahlen.
»Da kommt der Wagen«, sagte Clarke.
Kyan fühlte Erleichterung. Gleich wäre das Zielobjekt nicht länger sein Problem. Sollte Layton sich mit ihr herumschlagen. Zugegeben, er würde zu gerne Mäuschen spielen, wenn er sich mit ihr unterhielt. Vielleicht war es das erste Mal, dass ihr Leiter sich übernahm.
***
Kyan zischte, während Josh das Antiseptikum auf die Bisswunde auftrug. Sein Freund grinste und drückte den Tupfer extra feste auf. »Seit wann bist du so eine Pussy?«
»Klappe«, knurrte Kyan.
»Wie ist das passiert?«
»Du bist ganz schön neugierig.«
Joshs Körper bebte vor unterdrückten Lachen. »Es ist wichtig, auch aus den Fehlern anderer zu lernen, um zukünftige Missgeschicke zu vermeiden.«
»Klugscheißer.« Kyan verdrehte die Augen. »Sie hat mich gebissen, als ich sie festgehalten habe, damit sie nicht davonrennt.«
»Wow, ganz schön mutig von ihr. Besonders, da sie weder sonderlich groß noch kräftig wirkt.«
»Ist sie auch nicht.« Er pausierte und fügte hinzu: »Solange man ihrem Mund nicht zu nahe kommt.«
Josh lachte und Kyan wurde das Gefühl nicht los, dass sein Freund über ihn lachte, statt sich wegen seines Witzes zu amüsieren. Ein echt unschönes Gefühl.
»Fertig«, erklärte Josh schließlich. Kyan nickte ihm dankbar zu und zog sich seinen Hoodie über.
Die Tür öffnete sich und Isaac betrat den Raum. »Sie geben endlich Ruhe«, sagte er erschöpft.
»Die Anhängsel?«, fragte Josh.
»Jop. Die Kinder sind easy zu handeln, aber der Kerl … Der könnte noch Probleme machen.«
»Und das Zielobjekt?«, hakte Kyan nach.
»Ist inzwischen wach. Layton spricht gerade mit ihr.«
Na, das konnte heiter werden. Er würde zu gerne wissen, wie das Gespräch verlief. Wie erklärte man jemanden die Situation bezüglich der Shifter? Hatte sie wirklich keine Ahnung oder tat sie nur so? »Weißt du, wie es läuft?«
»Frag mich nicht. Carter steht vor der Tür, falls es schief geht.«
Die Wahrscheinlichkeit dafür war gegeben. Das erste Aufeinandertreffen war nicht unbedingt vorteilhaft gelaufen. Er war gespannt, ob Layton Erfolg haben würde.
Die Tür öffnete sich und Carter kam herein. »Einer von euch soll zu Layton kommen«, erklärte er.
»Warum?«
»Das Zielobjekt glaubt nicht an Shifter. Er will es ihr demostrieren. Da er aber alles erklären muss und ich Wache stehe, um im Notfall einzugreifen, muss es einer von euch sein.«
»Vor ihr shiften?«, fragte Kyan und wurde hellhörig. Als Carter nickte, sprang er sofort auf. »Das mache ich!« Ha, das wäre die perfekte Rache für den Biss. Er könnte ihr einen gehörigen Schrecken einjagen.
»Dann komm.« Carter verschwand und Kyan folgte ihm.
»Ich glaube ohnehin kein Wort von dem Scheiß hier. Ich will nur meine Freunde, damit wir wieder hier weg können!« Er konnte das Zielobjekt bereits brüllen hören, ehe er den Raum betrat.
Carter öffnete die Tür und sie gingen hinein. Der Kopf der Mädchens fuhr herum. Als sie Kyan sah, weiteten sich ihre orange-braunen Augen. »Was will die Katzenfresse hier?«, fragte sie abfällig.
Ha, anscheinend nahm sie ihm übel, dass er sie vom Weglaufen abgehalten hatte. Jetzt, wo er sie im Licht betrachtete, fand er den Vergleich zu einem Hamster gar nicht so abwegig. Das wirre Haar, das runde Gesicht … irgendwie niedlich. »Immer schön mit der Ruhe, Hamsterbäckchen.«
Layton blickte zwischen ihnen hin und her und runzelte die Stirn. Dann zuckte er mit den Schultern, als ob es nicht weiter wichtig wäre. »Die beiden sind hier, um mir dabei zu helfen, etwas zu demonstrieren. Ich habe dir bereits erklärt, was Shifter sind. Allerdings denke ich, du brauchst einen Beweis, damit du es wirklich verstehst. Kyan, du kannst anfangen.«
Kyan nickte zustimmend und begann sich auszuziehen. Erst der Hoodie und anschließend die Hose.
Das Zielobjekt sah ihn an, als sei er verrückt, während sie ihre Beine nutzte, um den Stuhl von ihm wegzuschieben. »Was soll der Mist?«, fragte sie.
Keine von ihnen reagierte auf sie. Stattdessen konzentrierte Kyan sich auf sein inneres und leitete den Shift ein. Nur wenige Sekunden später befand er sich in seiner Leopardengestalt.
»Was zur Hölle?«, schrie Das Mädchen und zappelte mit den Beinen, um von ihm wegzukommen. Aber ihr Stuhl hing bereits in der Ecke des Raumes. Mit angstgeweiteten Augen beobachtete sie ihn.
Er konnte ihre Angst riechen und Mitgefühl machte sich in ihm bemerkbar. Anstatt sie noch mehr in Panik zu versetzen, setzte er sich hin und betrachtete sie ruhig. Sie starrte zurück.
»Das reicht schon, Kyan, Dankeschön«, bemerkte Layton.
Kyan nickte und nahm wieder seine menschliche Gestalt an. Das Zielobjekt schien unfähig, den Blick von ihm abzuwenden. Sie wirkte vollkommen bestürzt. Kyan beachtete sie nicht weiter, sondern zog sich an. Anschließend verließ er den Raum.
Noch bevor er die Tür schloss, konnte er Layton sagen hören: »Gut, jetzt hätten wir schon einmal geklär…«
»Was für scheiß Drogen habt ihr mir gegeben?«, polterte sie los. Kyan zog die Tür schnell hinter sich zu, obwohl er gerne noch etwas gelauscht hätte.
Er lehnte sich gegen die Wand und musste grinsen. Wenigstens hatte er seine kleine Rache für den Biss gehabt.