Pünktlich fand sich Fia am nächsten Morgen im grossen Wolkensaal ein. Sie hatte sogar Zeit gefunden, ihre Arbeitskleidung richtig anzuziehen.
Der Wetterengel erläuterte allen Flockenfrauen noch ein paar Dinge, dann verteilte er der fröhlich wartenden Schar wieder Kissen.
Mit einem Lächeln kam er auf Fia zu.
"Dann wollen wir mal?"
Gemeinsam verliessen sie den Saal und warteten.
Eine grosse, weit ausladende Wolke näherte sich.
Der Wetterengel nahm Fia an der Hand.
"Ich zähle bis drei und dann springen wir, ok?"
"Und die wird uns beide tragen? Ich meine … den Sprung von uns beiden aushalten?"
Fia wirkte unsicher.
"Vertrau mir, Fia! Ich weiss, was ich mache. Und vertraue der Wolke. Halte dein Kissen fest und dann springen wir.
Eins … zwei … drei!"
Tatsächlich landeten die beiden weich und sicher. Und schon setzte sich die Wolke in Bewegung und trug sie über die Landschaft.
Unter ihnen tauchte ein kleines Dorf auf.
"Möchtest du es mal versuchen, Fia? Ich halte dich!"
Fia nickte und setzte sich an den Rand der Wolke.
Ganz fest umschlang der Wetterengel die Flockenfrau, während sie zuerst zaghaft, dann zusehends mutiger, ihr Kissen schüttelte. Ihre Augen begannen zu leuchten, als sie sah, wie ein richtig starkes Flockentreiben einsetzte. Vor Begeisterung bekam sie ganz rote Wangen und lachte fröhlich.
Der Wetterengel schmunzelte.
"Möchtest du es einmal allein probieren? Und keine Angst! Ich bin da und passe auf!"
Ermutigt durch den vorherigen Erfolg, begann Fia von neuem zu schütteln.
Stolz drehte sie sich zum Wetterengel um.
"Es geht! Ich kann es auch! Jetzt bin ich eine richtige Flockenfrau!"
Sanft wuschelte der Wetterengel seinem Schützling durch die Haare und lächelte.
"Möchtest du mit mir einen Spaziergang im Flockentreiben machen?"
Fia nickte begeistert.
Der Wetterengel bedeutete der Wolke, sie auf einem Feld nahe eines Städtchens abzuladen.
Hand in Hand spazierten sie kurz darauf im dichten Schneegestöber durch den Ort. Hinter den Fenstern brannten Kerzen und warfen warmes Licht auf die Strassen und Gassen. Fia blieb stehen und schaute interessiert in Häuser und Stuben. Ein leises Lächeln legte sich auf ihr Gesicht.
Sie beobachtete die Menschen, die dick angezogen an ihnen vorbei eilten. Nicht alle schienen den Schnee zu mögen. Oder doch: Sie entdeckte eine Gruppe von Kindern, welche sich unter viel Gelächter eine Schneeballschlacht lieferte.
Schweigend bestiegen der Wetterengel und Fia nach einer Weile wieder ihre Wolke, welche sie sicher zurück in die himmlischen Gefilde trug. Der Wetterengel spürte, dass Fia innerlich einer grossen Frage nachging. Dabei wollte er sie nicht stören.
Spät in der Nacht klopfte Fia an die Türe des Wolkensaals.
Der Wetterengel schien sie erwartet zu haben, denn er öffnete ihr sofort.
Es fiel ihr schwer, zu sagen, was ihr Herz bewegte. Und doch spürte sie, dass sie sonst keinen Schlaf finden würde.
Der Wetterengel wartete ruhig.
"Ich … es tut mir leid … ich … möchte keine Flockenfrau mehr sein!" Der Wetterengel nickte leicht und bedeutete ihr, weiterzusprechen.
"Ich möchte den Menschen keine Kälte und keinen Schnee bringen, Wetterengel. Auch wenn beide wichtig sind für die Natur. Und die Kinder sich daran freuen.
Vielmehr möchte ich den Menschen Lichter bringen. Solche, wie wir sie gesehen haben in den Häusern. Lichter, welche die Herzen der Menschen erwärmen.
Ich … weiss noch nicht genau wie … aber ich möchte wieder hinunter auf die Erde. Mich unter die Menschen mischen. Irgend etwas wird mir schon einfallen!"
Sanft nahm der Wetterengel Fia in die Arme.
"Wusste ich's doch!" flüsterte er bewegt in ihre Haare.
"Du hast eine andere Aufgabe als zu schneien."
Noch lange sassen sie in dieser Nacht beisammen und sammelten Ideen für Fias neues Wirken auf der Erde.
"Ab und zu werde ich dir einen speziellen Gruß schicken, Fia."
Der Wetterengel lächelte verschmitzt.
"Willst du mir eine Riesenschneeflocke schicken?" Fia kicherte.
"Ich werde mir schon etwas einfallen lassen! Dafür bin ich ja der Wetterengel! "
Er zwinkerte, doch dann wurde er wieder ernst.
"Du wirst mir hier fehlen, Fia. Aber es ist ganz klar, dass du deine Aufgabe bei den Menschen erfüllen darfst.
Bitte lass mich aber wissen, wenn du mich brauchst.
Auf jeden Fall werde ich dich von Zeit zu Zeit besuchen kommen."
Die beiden lächelten sich in tiefstem Einverständnis an.
Dann nahm der Wetterengel Fia behutsam in seine Arme.
"Mach's gut, kleines Licht!"
Bereits am nächsten Morgen fand sich Fia auf der Erde wieder.
Glücklich wanderte sie durch Städte und Dörfer, über Hügel, durch Wälder und Felder.
Sie lächelte Kindern zu, Frauen und Männern. Sie sprach leise mit Tieren und Pflanzen.
Wenn es schneite, schaute sie nach oben und ihr Gesicht leuchtete. Manchmal tanzte sie im Flockentreiben, voller Freude und Hingabe.
Sie bemerkte nicht, dass viele Menschen, die ihren Weg kreuzten, wie verzaubert stehen blieben, ihr nachsahen, bis sich ihre Spur verlor.
"Ich glaube, ich habe heute einen Engel gesehen", sagten sie und lächelten ebenfalls.
Das Lächeln ging um die Welt.
Fias Lächeln.