Endlich ist es so weit!
Heute sind alle beisammen. Mama, Opa, die Zwillinge, alle sind zu mir gekommen. Dieser Adventssonntag wird perfekt. Hach, was ich mich freue!
Ich hocke vor dem Ofen und stiere durch die Scheibe, die abstrahlende Wärme prickelt auf meinen Wangen. Der Duft des Bratens umgarnt meine Nasenflügel, leise Klaviermusik dringt aus dem Lautsprecher meiner Boxen. Eine Aufnahme des weltberühmten Virtuosen K. Hasitzky, dem liebsten Pianisten meiner Mutter. Früher hat sie stundenlang seinen Lieder gelauscht, anstatt meinem Blockflötenspiel Beachtung zu schenken. Zurecht! Ich hatte nie das Zeug zur Musikerin, war die "personifizierte Talentfreiheit", wie sie es so trefflich formuliert hat. Damals haben mir ihre Worte zugesetzt, aber das ist Schnee von gestern! Heute ist sie hier, heute habe ich mich selbst übertroffen und sie wird garantiert kein böses Wort verlieren.
Genau wie Opa Harald. "Hach, wenn ich dir nur einen Mann backen könnte!", waren seine Worte, jedes Mal, wenn ich unbegleitet zum Weihnachtsbesuch erschienen war. Aber wie recht er hatte! Verpickelt, klein, immer ein Lebkuchenstück zuviel in der Hand - bei Gott, ich war nie liebenswert! Umso dankbarer macht es mich, dass er mich stets darauf hingewiesen hat. Ach, liebster Opa - was wäre ich nur ohne deine gut gemeinten Ratschläge? Zu schade, dass du vor mir nicht mehr den Mund aufmachen wirst. Aber wenigstens bist du da!
Und, ach, meine Brüder! Wie lange habe ich sie nicht gesehen? Immer in der Welt unterwegs, erfolgreich im Job, großartige Liebhaber! Jedes Weihnachtsfest habe ich mich mit anderen traumhaften Damen an ihrer Seite unterhalten, zuletzt sogar mit einem wundervollen Herren. Oh, wenn ich nur auch so wortgewandt und intelligent wäre wie sie, würde ich mit Sicherheit ein glückliches Leben führen. Am liebsten würde ich mich stundenlang von ihren Erfolgen berieseln lassen, aber das wird nicht möglich sein. Trotzdem möchte ich sie in den Mittelpunkt stellen, heute, da wir endlich vereint sind. Ruhig und friedlich in vollendeter Familienidylle, wie ich es mir immer gewünscht habe!
Der Ofen piepst, ich drehe die Temperatur herunter. Ich habe mich nicht an die Garzeit gehalten, die Mama mir genannt hat, als wir zum letzten Mal miteinander gesprochen haben. Die Bratenkruste ist schwarz.
Perfekt.
Ich öffne die Ofenklappe, ein rauchiger Schwall sengender Luft kommt mir entgegen. "Nicht mal einen Braten zubereiten kann sie", tönen Opas Worte in meinem Kopf. Ich schmunzle und hebe das Rost samt Auflaufform heraus, atme die feinen Rußpartikel ein, Glückseligkeit überkommt mich.
Ein makellos verbrannter Braten!
Mama würde mich beschimpfen, wenn sie das sähe! Opa würde kopfschüttelnd den Raum verlassen. Die Zwillinge würden lachen und sich mit ihren Dates ins Gästezimmer zurückziehen. Aber heute wird das nicht passieren, heute bleiben alle bei mir. Heute sind sie für mich genauso, wie ich es mir seit meiner Geburt gewünscht habe.
Warm, schweigsam, für mich da.
Und sehr, sehr gut durchgegart.