Unruhig lief die schlanke, hochgewachsene Frau in ihrem Quartier auf und ab. Normalerweise hätte sie sich längst zur Ruhe begeben, doch auch jetzt, eine Woche nach der zwischenzeitlichen Amnesie der Besatzung der ENTERPRISE, fand sie abends keine Ruhe. Zu viel war geschehen in dieser Zeit des Vergessens.
Sie war einem Mann nahe gekommen, und nun war da seitdem diese emotionale Unsicherheit. Ob es wohl Zufall war, dass auf Bajor, in der Provinz, aus der sie stammte, jetzt gerade der Frühling anbrach?
Die Frau verharrte und fuhr sich mit dem Zeigefinger über den Nasenkamm. Zum Fenster ihres Quartiers hinaus auf die sternengesprenkelte Schwärze des Weltalls blickend wurde ihr klar, mit jemandem reden zu müssen. Dafür kam nur eine Person infrage: Guinan.
Auf dem Gang wäre Ro Laren beinahe Lieutenant-Commander Data in die Arme gelaufen. Der Androide wich ihr jedoch geschickt aus und sagte mit angenehmer Stimme: „Guten Abend, Fähnrich. Darf ich fragen, wohin sie kurz vor Mitternacht so eilig wollen?“
„Ins Zehn-Vorne“, gab Ro bereitwillig Auskunft. „Ich muss mit Guinan sprechen.“
Obwohl Ro wusste, dass Data nicht zu echten Gefühlen fähig war, schien er in diesem Moment fast amüsiert zu wirken. „Dann befinden Sie sich auf dem falschen Weg, Fähnrich. Ich sah Guinan vor wenigen Minuten, als sie sich auf dem Weg zu ihrem Quartier befand. Wenn Sie sich beeilen, dann besteht eine Chance von siebenundachtzig Komma drei-fünf-neun Prozent, dass Sie Guinan dort noch wach vorfinden werden.“
Die Bajoranerin schenkte dem Androiden ein Lächeln. „Vielen Dank für diese Auskunft, Commander. Auch für die exakte prozentuale Angabe meiner Chance. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.“
Damit ging Ro in die entgegengesetzte Richtung davon.
Etwas außer Atem, da sie forsch ausgeschritten war, um Guinan noch wach vorzufinden, kam sie vor dem Quartier der El-Aurianerin an. Die dunkelhäutige Frau hatte, nur kurze Zeit nach ihrer Ankunft auf der ENTERPRISE, auf sehr unkonventionelle Art und Weise Freundschaft mit ihr geschlossen. Gelinde gesagt…
Dabei war ihr bereits bei der ersten Begegnung mit Guinan aufgefallen, dass sich in ihren Augen eine Lebenserfahrung widergespiegelt hatte, die sie bei noch keinem humanoiden Wesen sonst hatte entdecken können.
Vor dem Schott des Quartiers der El-Aurianerin angekommen legte Ro Laren ihre Hand auf den Meldekontakt und atmete auf, als es sich öffnete und Guinan sie hereinbat. Die Bajoranerin realisierte, dass die charismatische Frau noch keinerlei Vorbereitungen getroffen hatte, sich zur Ruhe zu begeben.
„Guten Abend, Laren“, begrüßte sie Guinan. „Wenn Sie mich so spät noch besuchen, dann liegt Ihnen wohl etwas auf Besonderes auf dem Herzen. Nehmen Sie also Platz.“
Ro Laren setzte sich auf den Rand eines Sessels und sah dabei zu Guinan auf. Dabei erklärte sie ohne Umschweife: „Es ist wegen Commander Riker. Als wir alle dieser seltsamen Amnesie unterlagen, da kamen wir uns näher. Hinterher reagierte er aber so distanziert.“
„Das stört Sie, nicht wahr?“
Ro sah ihr Gegenüber bezeichnend. „Ja, Guinan.“
Als Ro Laren, eine halbe Stunde später das Quartier ihrer Freundin verließ, und den hell erleuchteten Gang hinunter schritt, da ging es ihr bereits etwas besser. Doch das Problem an sich war nicht aus der Welt. Darum hatte sie beschlossen, den Rat von Guinan in die Tat umzusetzen und mit Commander William Riker zu reden. Und das so schnell wie möglich.
Sie bog bereits in den Gang zu ihrem Quartier ein, als ihr ein Gedanke kam. Warum sollte sie bis morgen warten? Vielleicht ging Riker noch einem seiner Hobbys nach? Momentan hatte er erst nachmittags Dienst.
Die Bajoranerin gab das Kommando: „Computer! Gib den momentanen Aufenthaltsort von Commander Riker an!“
Mit einschmeichelnder Stimme kam, nur einen Augenblick später, die modulierte Antwort des allgegenwärtig scheinenden Bordcomputers: „Commander Riker hält sich gegenwärtig auf Holodeck-4 auf.“
Ein Lächeln umspielte die geschwungenen, roten Lippen der jungen Frau. Dies schien einer der seltenen Tage zu sein, an denen ihr das Glück hold war. Riker war noch wach und das wollte sie nutzen. Sie musste dringend mit ihm darüber reden, was sich vor einer Woche zwischen ihnen abgespielt hatte. In seinem Quartier. Als sie vermutet hatte, Riker und sie müsse eine romantische Beziehung verbinden. Etwas, das sich letztlich als nicht zutreffend erwiesen hatte.
Als der Commander sich ihr und Troi erklären wollte, nachdem alle Besatzungsmitglieder ihr Erinnerungsvermögen wiedererlangt hatten, da hatte sowohl sie selbst, wie auch die Betazoidin, Riker die kühle Schulter gezeigt.
Doch das entsprach ganz und gar nicht dem, was sie in diesem Moment am liebsten getan hätte. Überhaupt nicht!
Vor Holodeck-4 angekommen kontrollierte Ro Laren an der Wandkonsole das laufende Programm. Es schien sich tatsächlich um eines von jenen zu handeln, das der Commander der ENTERPRISE bevorzugte.
Ro Laren zögerte bevor sich ihre Hand der Konsole näherte.
Das Schott öffnete sich mit einem vernehmlichen Zischen und die Bajoranerin betrat einen Raum, den sie so zuvor nie gesehen hatte. Offensichtlich handelte es sich um eine Art von Lokal, denn neben einer Bar und mehreren Tischen und Stühlen, gab es so etwas wie eine Bühne. Dort entdeckte sie eine Band die musizierte. Zu Ro Larens gelinder Überraschung entdeckte sie dort auch Riker, der dort auf einem Instrument musizierte, das sie in seinem Quartier gesehen hatte. Vor einer Woche erst.
William Thomas Riker entdeckte sie in demselben Moment und er entlockte seinem Musikinstrument einen fürchterlich quäkenden Ton.
Ro verzog schmerzhaft das Gesicht dabei. Sich aufmerksam umsehend sagte sie, einer Eingebung folgend: „Computer, ein rotes Kleid für mich!“
Einen Augenblick später stand sie nicht mehr in Uniform da, sondern trug ein fließendes Kleid, das ihre schlanke Figur sehr vorteilhaft betonte. Sie bahnte sich einen Weg zur Bühne, die Riker inzwischen, ohne seinem Musikinstrument, verlassen hatte. Die Band spielte indessen ohne Riker weiter, der ebenfalls keine Uniform, sondern Zivilkleidung, trug.
Dicht vor ihr stehen bleibend erkundigte sich Riker: „Was machen Sie denn hier, Fähnrich. Soweit mir bekannt ist, haben Sie Frühdienst.“
„Ich konnte nicht schlafen, Commander“, gab Ro zurück. „Wegen Ihnen.“
Riker nickte knapp. „Ich kann mir denken, worauf Sie anspielen. Ich wollte bereits vorige Woche etwas dazu sagen, doch ich kam ja nicht dazu.“
Ro Laren senkte den Blick, bevor sie wieder zu ihm aufsah. „Tanzen wir, Commander?“
Schief grinsend kam Riker der Aufforderung nach. Dabei sagte er nach einer Weile, mit leicht distanziertem Tonfall: „Es tut mir leid, Fähnrich Ro.“
„Eng an den Commander geschmiegt rannen zwei Tränen über die Wangen der jungen Bajoranerin. „Ja, mir auch…“
ENDE