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Nach dem Prompt „Geierschildkröte [Tierische Geschichten mit Klempnern]“ der Gruppe „Crikey!“
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Der junge Tusk drehte den Kopf und schnupperte neugierig. Natürlich stieg kein Geruch aus dem Wasser auf, oder wenn, hätte der Strom ihn längst mit sich flussabwärts gerissen. Doch dort, nahe am Ufer, war ein dunkler Schatten zu sehen, der sonst nicht dort war.
Und wie jeder Tusk wusste, bedeutete Veränderung Beute. Vielleicht hatten die Menschen hier einen Sack Gold im Wasser versteckt. Oder er war verloren gegangen und angespült worden. Karrenräder führten dicht neben dem Schatten durch eine Furt, also war der Sack vielleicht beim Transport unbemerkt herabgefallen. So oder so würde das Gut nun dem ehrlichen Finder gehören. Mit der spitzen Zunge leckte sich der Tusk über die bleichen Lippen, halb vorfreudig - welcher Ruhm ihm beschieden wäre, wenn er mit einem ganzen Sack Gold zum Turm zurückkehrte! -, halb nervös, da er sich nun aus dem Schutz der Bäume wagte.
Schritt für Schritt wagte er sich in die kühlen Fluten, näher zu dem dunklen Objekt. Es war fast halb so groß wie er, breit und rundlich. An der Spitze bemerkte er einen hellen Schimmer. Eine Goldkette? Interessiert griff er zu, um sich seinen Schatz anzusehen, bis zum Hals ins Wasser gebückt.
Der goldene Faden hing jedoch fest. Im nächsten Moment schnappte etwas zu und quetschte seine Finger, dass der verhinderte Beutegreifer schrill aufjaulte.
Gebissen! Der Sack hatte ihn gebissen!
⁂
Hastig stürmte Mareno aus seinem Versteck. Der Schrei konnte nur eines bedeuten: Seine Falle hatte funktioniert!
"Hab ich dich, du Dieb!", rief er triumphierend. Dann stoppte er am Fluss. Denn im Wasser saß nicht etwa einer der anderen Händler, die er im Verdacht hatte, seine Waren stehlen und kopieren zu wollen, sondern bloß ein Tusk. Und Tuskgi waren zwar Diebe, aber nicht intelligent genug, um die feinen Gerätschaften, die Mareno verkaufte, nachzubauen. Ganz zu schweigen davon, dass sie sich wohl kaum für Rohrleitsysteme interessierten - soweit er wusste, hatten ihre Türme Aborte, die außen an der Mauer angebracht wurden, und wie ein Plumpsklo mit etwas mehr Höhe funktionierten.
Ein wenig zögerlich näherte er sich dem zitternden, blauhäutigen Wesen, dessen große Ohren nervös zuckten. Der Tusk starrte ihn ängstlich an. Er schien noch jung zu sein.
Mareno hockte sich zu ihm ins Wasser und streichelte die Schildkröte. "Komm, lass los. Willst du nicht lieber einen Fisch?" Er zog eine kleine, silbrige Bestechung aus der Tasche und überzeugte die große Schildkröte davon, die Finger des Tusks loszulassen. Sanft führte er den Jungen zurück ans Ufer, wo sie sich mit durchnässter Kleidung hinhockten.
"Lass mal sehen", brummte Mareno und nahm die Hand des Diebs vorsichtig zwischen seine Finger. "Du musst echt Pech gehabt haben, Kleiner. Eigentlich warte ich schon seit einer Stunde auf meine Konkurrenz. Ich habe extra darauf geachtet, dass sie sehen, wohin ich fahre. Was ein Unglück, dass du vor ihnen auftauchen musstest." Er verband die Finger des Tusks mit einem kühlen Lappen, als er plötzlich das Knirschen von Wagenrädern hörte.
"Schnell, versteck dich!" Er zog den verdutzten Tusk mit sich ins Gebüsch.
Hier sah Mareno, wie ein Händler auf der gegenüberliegenden Flussseite, von der Stadt aus, ans Ufer kam und den Karren bremste.
Es war Bowares. "Natürlich! Du Mistkerl!", flüsterte er.
Der andere Mensch war mehr als nur wohlgenährt - er platzte förmlich aus allen Nähten seiner bunten Kleidung, und doch hatte dieser reiche Händler es nötig, anderen, die ärmer als er waren, noch etwas wegzunehmen!
Bowares bemerkte den Schatten im Wasser sofort. Er drehte den Kopf ein paar Mal, ehe sich ein breites Grinsen auf sein Gesicht stahl. Zu Fuß watete er dann ins Wasser, wobei er sich die breiten, mit mehreren Goldringen bewehrten Hände rieb.
"Endlich", flüsterte Mareno mit einem breiten Grinsen, während der Tusk ihn verwirrt ansah. "Die richtige Beute."