Ich spüre die Kälte des eisigen Windes auf meiner Haut wie Schmirgelpapier, dass unnachgiebig meine Haut aufreißt. Die Schneeflocken, die mir ins Gesicht peitschen, fühlen sich wie Nadeln an, die unnachgiebig in mein Fleisch geschossen werden. Mein Körper ist taub und doch spüre diesen Schmerz der nicht aufhören will. Die Welt ist stumm und Grau, nur das Heulen des Wintersturmes erinnert mich daran, dass es nicht so ist. Meine hellen Haare fliegen wirr umher, finden keinen Platz und flüchten sich ängstlich vor dem, was noch kommen mag. Weiße Berge und die Graue Steinmauer, an der die Grenzsoldaten stehen, sind in meinem Blickfeld. Kalt und leblos.
Wie Vater. Ich will weinen, doch es ist zu kalt, meine Tränengefrieren auf meinen blassen Wangen. Steif stehe ich in der selben Position, wie vor einer Stunde, als ich von Lord Brends Tod, Vaters Tod, erfahren habe. Ich ging hierhin, an den Rand unseres Turmes undstarrte in die ferne Weite. Stemmte mich anfangs gegen die fast unbeugsame Kraft des Sturmes, doch jetzt spüre ich diese Kraft kaum noch. Mein Vater, Lord Brend, Hüter der Menschen, ehemalige rechte Hand des Königs und Sohn der letzten reinblütigen Familie, wurde eiskalt ermordet. Wie passend, schießt es mir durch den Kopf. Eiskalter Sturm, eiskalter Mord. Ich bin wütend, so unglaublich wütend, aber ich kann nichts machen. Nur hoffen und warten, dass der Sturm vorbei geht und uns aus seinen todbringenden Klauen lässt. Manchmal ist er ein willkommener Kämpfer und Mitstreiter aber heute ist er mein Feind. Und trotzdem heiße ich ihn willkommen. Schon merkwürdig. Was einst war ein Feind, sei nun dein ewiger Begleiter. Das hatte unser Priester immer gebetet, zu den Göttern des Lichts, zu den Heiligen. Doch heute standen mir nicht diese Götter bei, als der Gott der Dunkelheit seinen treuesten Verbündeten los schickte, sie alle zu holen.
Der Tod fordert viel. Heute mehr, alsgestern und morgen mehr als heute. Ich höre Vaters Stimme, wie er die letzten Worte spricht, bevor ihn seine Kraft verlässt, er leblos am Boden liegt, mit einer kleinen Eisschicht überzogen, bevorer stirbt.
"Finde deinen Weg, sei eine Brend und schütze die Menschen. Finde die verlorenen und bring sie zurück!"
Ich habe zwar keine Ahnung, was genau er meinte, aber ich werde mein Bestes geben, um seine Bitte zu erfüllen.
Wie aus weiter Ferne höre ich Irwin, der mich nun zum dritten Mal bittet, endlich ans Feuer zu kommen, ich würde mich den Tod holen. Im Moment ist es mir egal ob ich sterbe oder nicht.
Wer bin ich schon? Ein kleines Mädchen, nur eine halbe Brend und alleine. Ich bleibe stehen wo ich bin, schließe meine Augen und gebe mich der Welt hin. Ich höre das raue Knirschen der Eisblöcke die die hohe Mauer umgeben, ich höre das leise Flüstern der Frauen, die sich um das Essenkümmern. Ich höre das heisere Knistern des Feuers, die eisigen Rufe des Windes. Aber ich höre meinen Vater nicht. Ich weiß noch nicht, wer ihn umgebracht hat, aber während ich meine Augen wieder öffne und die tanzenden Flocken beobachte, setze ich mir zwei Ziele. Herauszufinden, wer meinen Vater umgebracht hat und wieso, und ihn umzubringen, wie es dem Mörder meines Vaters gebührt. Vielleicht sollte ich es mit seinem eigenen Schwert machen. Oder sollte ich ihn mit meinem Pfeil und Bogen erschießen? Oder ich erschieße ihn erst und steche dann noch mit seinem Schwert den letzten Stoß. Ich würde beobachten können, wie ihn das Leben verlassen würde. Wie er vom Tod geholt wird. Und dann würde ich das Blut sehen, die dunkelrote, warme Flüssigkeit, die sich träge auf dem dreckigen Boden ausbreitet. Die Männer um ihn herum würden mich fürchten. Oder zumindest respektieren. Ich wusste ganz genau, was ich wollte.
Ich hebe entschlossen das Kinn und drehe mich langsam und ruppig um. Die Zeit des sanften, kleinen, süßen Mädchens ist vorbei. Nun wird eine entschlossene, kalte Kriegerin an ihrer Stelle stehen und leben. Ich hebe meinen Mantel auf, der mittlerweile hart vor Kälte ist. Mein Plan steht, mein Entschluss ist gefasst und mit einem Ziel vor Augen, für dass es sich zu leben lohnt, gehe ich langsam in die Hütte und setze mich an das Feuer, ohne seine Wärme zu spüren. Mein Blick fällt auf das lange und schwere Schwert aus Adamant, das neben dem Feuer liegt und ich sehe mich dem Mörder dieses Schwert durch das Herz stechen.
Aber ich sehe nicht die besorgten Blicke der Frauen, ich sehe nicht den traurigen und mitleidigen Blick Irwin's. Ich sehe auch nicht, was mit Vater passiert. Ich sehe nichts. Nur Schwärze. Ich fühle nicht, wie die Hitze meine Haut auftaut, ich fühle nicht, wie die Tränen endlich fließen und auf meine Hände tropfen. Ich fühle auch nicht den Schmerz, den ich empfinden sollte. Alles was ich fühle ist Kälte, Rache und Wut. Bis in mir das Feuer des Sturmes brennt und ich in Flammen stehe. Bis ich gar nichts mehr fühle. Bis ich einschlafe und traumlos die Nächte verbringe.