Der Heilpark
Die Herbstsonne hatte mich zu einem Spaziergang
in einem nahe gelegenen Park inspiriert. Wir
nennen ihn den "Heilpark", weil hier ganz früher
Menschen zur Kur waren, die Tuberkulose
und andere Krankheiten hatten.
Die Bäume hier sind teilweise schon über
100 Jahre alt und verströmen eine ganz
besondere Energie. Gepaart mit der schon etwas
tiefer stehenden Sonne und einem leichten,
angenehmen Wind übten die herbstlich gefärbten
Blätter einen besonderen Reiz aus und bewegten
sich verspielt durch den Nachmittag.
Tausend Sachen gingen mir noch durch den
Kopf und deshalb wollte ich ein wenig
"abschalten". Bei meinem Gang auf den
verschlängelten Wegen durch den Park
fiel mir ein älterer Herr auf, der auf einer
der weissen Bänke sass. Leicht vornüber
gebeugt schien er in seine geöffneten Hände
zu blicken.
Ich überlegte mich zu ihm zu setzen, doch etwas
liess mich zögern und so entschied ich mich
dazu, noch eine Runde zu drehen. Nach etwa
15 Minuten kam ich wieder an der selben Stelle
an. Der Mann sass immer noch da. Immer noch
blickte er in seine geöffneten Hände.
Ich fragte ihn, ob ich mich zu ihm setzen
dürfte - er nickte nur kurz, ohne aufzublicken.
Ein seltsames Gefühl beschlich mich, als ich
so neben ihm sass. Ich überlegte, was das sein
könnte. Ich war mir sicher, dass es mit dem
Mann neben mir zu tun hatte. Irgendwie
fühlte es sich an, als würde er auf einer inneren
Ebene Kontakt zu mir aufnehmen wollen.
Ich versuchte möglichst unauffällig zu ihm
herüber zu blicken. Er musste schon sehr
alt sein. Mindestens 90 oder noch älter
dachte ich. Ich blickte wieder nach vorn,
hob meinen Kopf und schaute in die
wunderschön herbstlich gefärbten
Baumkronen. Dann schloss ich meine Augen.
Ich zuckte leicht zusammen und spürte
plötzlich die Hand des alten Mannes auf
meinem Knie. Dann fing er an zu reden....
War auch mal hier zur Kur - vor über
40 Jahren. Alle haben geglaubt, ich schaff'
es nicht - aber ich bin noch da. Seine sehr
beruhigend wirkende Stimme und ein
Gefühl des Vertrauens liessen mich meine
Augen geschlossen halten.
Hab' mich damals mit ihm angefreundet - mit
ihm da "oben". Aber er wollte mich noch nicht.
Sagte mir, ich hätte noch was zu tun hier. Dann
hab' ich's plötzlich gemerkt. Die Energie in
meinen Händen. Ein starker Fluss, der heilt,
wenn er soll und wenn es richtig und
angebracht ist.
Lag bei uns in der Familie. Mein Vater hatte
es auch schon. Hat es aber nur bei Tieren
angewendet. Hunde, Pferde, Kühe, Katzen - er
hat alle geheilt. Nur mit seinen Händen.
Ich mach's bei den Menschen - wenn es
dran ist..... Ich spüre es, wenn es dran ist.
Ich hab' damals meinen Beruf aufgegeben.
Hat mir nichts mehr gegeben. Nur noch
mit meinen Händen gearbeitet. Macht nicht
reich, nur innerlich. Hab' hier nix zu hinterlassen,
wenn ich gehe - aber ich nehm' ne Menge mit,
verstehst Du?
Plötzlich hatte ich meinen Vater im Kopf - ich
weiss nicht warum- aber es war so. Ich bemerkte,
wie Tränen mir über die Wangen liefen. Ich
liess es einfach geschehen. Du hast es auch,
sagte er zu mir. "Ich bin Achim", waren seine
letzten Worte. Dann nahm ich nichts mehr
von ihm wahr.
Als ich nach einer Weile meine Augen wieder
öffnete, sass ich allein auf der Bank.
Hatte ich geträumt?
Achim...., so hiess mein Vater....
Tolkien